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Menschen nehmen im kanadischen Edmonton an einer Mahnwache für die Opfer des Flugzeugabsturzes teil.

© dpa

Absturz bei Teheran: Flug 752 – eine kanadische Tragödie

138 Passagiere an Bord der Maschine aus Teheran wollten nach Kanada reisen. Justin Trudeaus Regierung will sich an der Aufklärung des Unglücks beteiligen.

Tausende Kanadier versammelten sich zu Mahnwachen vor Parlamenten, Universitäten und Gemeindezentren. Mit Kerzen gedachten sie der Opfer des Flugzeugabsturzes von Teheran. Diese Katastrophe, die sich am frühen Mittwochmorgen viele Tausend Kilometer von Kanada entfernt ereignete, ist auch eine kanadische Tragödie. 138 der 176 getöteten Menschen waren Kanadier oder gerade auf dem Weg nach Kanada. In vielen Gemeinden des Landes ist der Verlust dieser Menschen zu spüren.

Der sichtlich erschütterte Premierminister Justin Trudeau trat wenige Stunden nach der Tragödie in Ottawa vor die Presse. „Menschen, die nun nicht mehr nach Hause kommen zu ihren Eltern, ihren Freunden und Kollegen oder ihren Familien, ein jung verheiratetes Paar, eine vierköpfige Familie, eine Mutter und ihren beiden Töchter, Studenten und engagierte Universitätsmitarbeiter. Alle hatten so viele Fähigkeiten, so viel Leben vor sich“, sagte Trudeau. Der Absturz von Flug 752 ist der größte Verlust kanadischer Menschenleben seit dem Bombenanschlag auf ein Air-India-Flugzeug 1985.

Viele Menschen an Bord mit iranisch-kanadischen Hintergrund

Für Kanada und die kanadisch-iranische Gemeinde ist das Unglück ein schwerer Schlag. Besonders betroffen ist die Stadt Edmonton. 30 der Opfer kommen aus der Hauptstadt der Provinz Alberta. „Wir haben einen wesentlichen Teil unserer Gemeinde verloren“, sagt Payman Parseyan, Mitglied der iranisch-kanadischen Gemeinde Edmontons. „Jeder Bewohner Edmontons, der iranische Wurzeln hat, kennt jemanden, der auf diesem Flug war“, sagte er dem Sender CBC. Weil sie Probleme haben, durch die USA zu reisen, fliegen Kanadier iranischer Herkunft von Kanada lieber nach Europa und von dort nach Teheran.

Über die Weihnachtsfeiertage und den Jahreswechsel besuchten sie Familienangehörige und Freunde in ihrer Heimat. Und für junge Iraner sind kanadische Universitäten ein attraktiver Ausbildungsplatz. An zehn Hochschulen Kanadas von Halifax bis nach Vancouver versammelten sich Menschen in Trauer, um verstorbenen Kommilitonen, Freunden und Professoren zu gedenken.

Mit tränenerstickter Stimme sprach etwa Hamed Esmaeilion, ein Zahnarzt aus Richmond Hill bei Toronto, über seine Frau Parisa Eghbalian und die neunjährige Tochter Reera. 2010 waren sie mit ihrer damals sechs Monate alten Tochter aus dem Iran nach Kanada emigriert, „für ein besseres Leben“. Dass Kanada seit 2012 keine diplomatischen Beziehungen zum Iran unterhält, erschwert nun die Mitarbeit an den Untersuchungen zur Unglücksursache. Auch die Bemühungen, die Opfer zur Beisetzung nach Kanada zu überführen, sind dadurch erschwert. Die kanadische Regierung versucht nun, sich im direkten Kontakt mit der iranischen Führung zu arrangieren. Daneben hat Italien, das die kanadischen Interessen im Iran vertritt, seine Unterstützung angeboten.

Kanadische Regierung will sich an Aufklärung beteiligen

Die Ursache des Absturzes ist noch unklar. Die kurz nach dem Start in Teheran abgestürzte ukrainische Passagiermaschine hatte nach ersten Erkenntnissen der iranischen Ermittler noch versucht, zum Flughafen zurückzukehren. Augenzeugen berichteten von einem Brand an Bord der Maschine. Teheran will die Flugschreiber „im Ausland“ auswerten lassen, zudem werden ukrainische Experten an den Untersuchungen beteiligt.

Premierminister Trudeau und Verkehrsminister Marc Garneau wollen über die Unglücksursache nicht spekulieren. Das Flugzeug habe offensichtlich zunächst „in völlig normaler Weise“ an Höhe gewonnen, ein völlig standardmäßiger Start, sagte Garneau. Dann sei etwas „sehr Ungewöhnliches“ passiert, wolle aber keine Mutmaßungen anstellen. Aufschluss erhofft sich nicht nur Garneau von den Flugschreibern. Die Regierung strebt an, dass die kanadische Flugsicherheitsbehörde an der Auswertung von Daten der Flugschreiber an den Ermittlungen beteiligt wird – aufgrund der vielen Kanadier unter den Opfern.

Auf die Frage, ob er kategorisch ausschließen könne, dass das Flugzeug abgeschossen wurde, antwortete Trudeau: „Das kann ich nicht. Es ist zu früh zu spekulieren.“ Und bat darum, nicht über die Unglücksursache zu spekulieren. Jetzt, direkt nach dieser „schrecklichen, schrecklichen Tragödie“, richte die Regierung ihr Augenmerk auf die Familien, die trauern. Erst in den in den kommenden Tagen und Wochen wolle man die Frage stellen: „Wie konnte das passieren?“

Die Reaktion der Regierung Trudeau zeigt auch den Wandel in der kanadischen Gesellschaft. Als vor nahezu 35 Jahren bei dem Anschlag auf die in Vancouver gestartete Air-India-Maschine 278 Kanadier indischer Abstammung getötet wurde, sprach man von einer „indischen Katastrophe“. Die Regierung in Ottawa richtete eine Beileidsadresse an die indische Regierung, obwohl die meisten Opfer Kanadier waren. Das jetzige Unglück wird als kanadische Tragödie gesehen, auch wenn viele der Opfer iranischer Herkunft sind. „Das ganze Land steht an eurer Seite“, sagt Trudeau. „Wir teilen eure Trauer.“

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