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Ein Kamikaze-Flieger versucht bei heftigen Winden seine Maschine auf das Deck eines Schiffs der US-amerikanischen Pazifikflotte zu steuern. Die Verteidiger schießen aus allen Rohren auf die winzige Maschine, die schließlich neben dem Schiff ins Meer stürzt.

© imago

70 Jahre Kamikaze: Mit Kirschblüten in den Tod

Vor 70 Jahren flogen japanische Kamikaze ihre letzten großen Angriffe auf US-Kriegsschiffe – Jahrzehnte später inspirierten sie Selbstmordattentäter.

„Liebe Mutter, mein großes Bedauern ist, dass ich nicht mehr für dich tun konnte, bevor ich sterbe. Aber als Krieger für den Kaiser zu sterben, ist eine Ehre. Es ist etwas, worüber du glücklich sein kannst, sei nicht traurig.“ Die Zeilen eines jungen Mannes dürften aus dem Frühjahr 1945 stammen, einer Zeit, in der junge Japaner dringend gebraucht wurden. Die USA griffen die strategisch wichtige Inselgruppe Okinawa an. Würde sie an die Amerikaner fallen, stünde der Invasion des japanischen Festlandes kaum mehr etwas im Wege. So flogen Tausende Kamikaze dagegen an.

Bei einer der letzten großen Offensiven der Japaner im Zweiten Weltkrieg, vor genau 70 Jahren am 11. April 1945, jagten noch einmal zahllose Piloten kleiner Flugzeuge in sechs verschiedene US-amerikanische Flugzeugträger. Zwischen 1944 und 1945 sollen sie zwischen 2500 und 2800 Attacken geflogen sein, mehr als 85 Prozent der Draufgänger starben dabei. Oft gelten die Kamikaze-Piloten von damals als Vorbilder für Selbstmordattentäter von heute:

Ohne die japanischen U-Boote und Kampfflugzeuge, die samt Steuermann und Bombe in US-amerikanische Militärziele gesteuert wurden, gäbe es womöglich auch junge Beispiele terroristischer Anschläge nicht: Das Attentat vom 11. September 2001, als ein entführtes Linienflugzeug ins New Yorker World Trade Center gelenkt wurde, sowie die Logik der Anschläge in London, Madrid und anderen Metropolen wie auch Kriegsgebieten der Welt haben viel Ähnlichkeit mit den Kamikaze.

Folklore und Religiosität

Nach anfänglichen Erfolgen hatte sich für Japans Armee ab 1942 die Niederlage abgezeichnet. Japan nahm einen Rückschlag nach dem anderen hin, verlor Gebiete in Südostasien und anderswo im Pazifik. Um das Blatt vielleicht noch wenden zu können, dachte sich Admiral Takijiro Ohnishi, der die japanische Marineluftwaffe auf den Philippinen kommandierte, eine neue Taktik aus. Die Stärke der USA lag in den überdimensionierten Flugzeugträgern, die die kleinen japanischen Flugzeuge mit ihren 250-Kilo-Bomben kaum beschädigen konnten. Ohnishis Idee: Verzichtete man auf die Rückkehr der eigenen Flieger, würden die Chancen erheblichen Schadens an der US-Waffe steigen.

Zuerst verkaufte sich die neue Taktik nur schwer, auf die ersten Kampagnen meldete sich noch kein einziger japanischer Soldat freiwillig. Dann aber griff die Regierung auf Folklore und Religiosität zurück. Für den japanischen Kaiser würde man sterben, und da dieser laut der Urreligion des Shinto direkt von den Göttern abstammte, handele es sich bei einem Kamikazeangriff quasi um einen göttlichen Auftrag. Wer hingegen lebend von seinem Einsatz zurückkehrte, habe versagt und richte Schande für sich und seine Familie an.

Briefe der Soldaten, die sich schließlich zum Dienst meldeten, dokumentieren zerrissene Seelen. Der Stolz über den patriotischen Dienst stand auf der einen Seite, der Wille nach Leben auf der anderen. Aber im ultranationalistischen Japan der 1940er Jahre gab es wenig Widerstand, viele der Piloten glaubten, etwas Gutes zu tun. Fotos aus der Zeit zeigen denn auch Kirschblüten an den Karosserien der Flugzeuge oder den Uniformen der Soldaten. Warum? Die Kirschblüte hatte die Regierung zum Symbol der Märtyrer gemacht – diese in Japan von allen geliebte Blüte, deren Schönheit zeitweise aufscheint, aber unweigerlich erlischt, ist Sinnbild für das Leben überhaupt.

Geblendet von der Kirschblüte

„Geblendet von der Ästhetik der Kirschblüte, nahmen die Kamikaze ihren eigenen Tod in Kauf“, schreibt die Heidelberger Religionsforscherin Inken Prohl in einem Aufsatz. Was für Laien zunächst weit hergeholt wirken mag, sieht Pohl in der Symbolik und Religiosität als Parallele zu jüngeren Selbstmordanschlägen aus islamistischen Motiven. Nicht bestimmte Religionen seien an sich anfällig für Gewalt, sondern die Art, wie diese durch mächtige Symbole und Visionen instrumentalisiert würden.

Jenseits des göttlichen Kaiserdienstes und des Bildes der Kirschblüte war in Japan auch noch der Name Programm. Die japanischen Schriftzeichen des Wortes „Kamikaze“, die sich ebenso „shinpu“ lesen lassen, heißen übersetzt „göttlicher Wind“. So hatten die Japaner des 13. Jahrhunderts eine günstige Windlage genannt, die die damals mächtigen Mongolen von einer Invasion der japanischen Inseln abgehalten hatte. Das meteorologische Glück stärkte den Mythos, dass Japan das von den Göttern gesegnete Land war. Die mörderischen Piloten sollten die modernen göttlichen Boten werden.

Nicht jeder aber war einverstanden mit dem Narrativ des Krieges. Ein anderer der vielen hinterlassenen Briefe der Kamikaze kurz vor ihren Einsätzen liest sich so: „Morgen wird einer, der an Demokratie glaubt, diese Welt verlassen. Er mag einsam dreinschauen, aber sein Herz ist gefüllt mit Genugtuung. Die faschistischen Italien und Deutschland sind besiegt. Autoritarismus heißt, auf zerbrochene Steine zu bauen.“

Dieser Brief stammt aus einem Einsatz kurz nach dem großen Gefecht von Okinawa um den 11.April 1945. Kurz darauf, als im August desselben Jahres Russland gegenüber Japan den Krieg erklärt hatte und die USA zwei Atombomben über Japan abwarfen, kapitulierte der Kaiser persönlich. Der Erfinder der Kamikazeeinsätze, Admiral Ohnishi, nahm sich das Leben. Ein Akt der Ehre, schließlich war seine Taktik am Ende erfolglos gewesen.

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