zum Hauptinhalt
Ein Mann erhält ein Gegenmittel gegen eine mögliche Opiod-Überdosierung.

© John Minchillo/AP/dpa

400.000 Tote durch Opioide: Amerikas Gier, Amerikas Schmerz

Alle elf Minuten stirbt in den USA ein Mensch an Opioiden. Die Hersteller der Schmerzmittel wurden damit reich - und sollen nun bei der Aufarbeitung helfen.

Die Idee ist eigentlich genial. Die Verantwortlichen sollen helfen, den Schaden wieder gut zu machen, den sie angerichtet haben. Im Fall des amerikanischen Pharmakonzerns Purdue steckt nach Ansicht von Kritikern allerdings eine perfide Strategie dahinter: Purdue, dessen Schmerzmittel Oxycontin viele verantwortlich für die aktuelle Opioid-Krise in den USA machen und gegen den mehr als 2000 Klagen laufen, hat in dieser Woche Insolvenz beantragt.

Staatsanwaltschaft erhebt schwere Vorwürfe gegen die Sacklers

Mit dem Gläubigerschutzverfahren soll das Unternehmen in eine Stiftung der öffentlichen Hand überführt werden, deren Zweck es ist, mit neuen Arzneimitteln bei der Bewältigung der Epidemie zu helfen. Gleichzeitig soll aber das umstrittene Oxycontin weiter vertrieben werden. Der Konzern hofft, damit die Klagen beizulegen. Die Kritiker vermuten, dass Purdues Eigentümerfamilie Sackler so ihr Geld in Sicherheit bringen will.

„Während unser Land sich von dem Massensterben erholt, das die Sacklers mit ihrer Gier angerichtet haben, versucht die Familie, sich aus der Verantwortung zu ziehen“, sagte New Yorks Generalstaatsanwältin Letitia James, die den ausgehandelten Vergleich wie mehrere Kollegen anderer Bundesstaaten ablehnt.

Die New Yorker Staatsanwaltschaft war es auch, die in der vergangenen Woche weitere schwere Vorwürfe gegen die Sacklers erhoben hat. Demnach hat die Familie, die auch durch ihre großzügige Unterstützung berühmter Museen bekannt ist, eine Milliarde Dollar unter anderem auf Schweizer Bankkonten versteckt.

Nach Schätzungen des US-Magazins „Forbes“ beläuft sich das Vermögen der Sacklers auf rund 13 Milliarden Dollar. Die Familie bestreitet diese Zahl. Aber mehrere Staaten, darunter New York, Massachusetts und North Carolina, gehen davon aus, dass das Vermögen sogar noch größer ist, da es auf diverse Auslandskonten verteilt sei.

Pharmakonzerne verschleierten Suchtgefahr, so der Vorwurf

Diesen sagenhaften Reichtum hat die Familie maßgeblich durch das Geschäft mit Schmerzmitteln angehäuft. Um diese flächendeckend zu vermarkten, hätten sie die Suchtgefahren verschleiert, so der Vorwurf. Ahnungslose Schmerzpatienten seien aus Profitstreben ausgenutzt worden. In einer schier beispiellosen Dimension: Zwischen 1999 und 2017 sind nach Behördenangaben fast 400.000 Menschen in den USA an den Folgen von Opioid-Missbrauch gestorben. Alle elf Minuten stirbt in Amerika jemand an einer Opioid-Überdosis.

Vor dem Hauptquartier des Pharmakonzerns Purdue protestierten Betroffene gegen die Eigentümerfamilie.
Vor dem Hauptquartier des Pharmakonzerns Purdue protestierten Betroffene gegen die Eigentümerfamilie.

© Zuma Press/Imago images

Dabei nutzten die Pharmaunternehmen ein tatsächlich existierendes Problem: Als Purdue 1996 Oxycontin auf den Markt brachte, gab es viele chronische Schmerzpatienten, denen nicht geholfen wurde. Medizinische Studien, die von der Industrie unterstützt wurden, behaupteten aber, dass rund 100 Millionen Amerikaner an chronischen Schmerzen litten – ein Drittel der Bevölkerung. Darunter fielen die Leiden von Krebspatienten, aber auch alltägliche Probleme wie Rückenschmerzen.

Hersteller vermarkteten die neuen „Wunderpillen“ aggressiv

Mit Medikamenten wie Oxycontin, dessen Wirkstoff ein synthetisches Opioid ist, gab es für viele Patienten auf einmal angeblich harmlose Linderung. Auch für die privaten Krankenversicherungen waren diese Mittel attraktiv, da sie günstiger als langfristige Therapien waren.

Die Hersteller vermarkteten die neuen „Wunderpillen“ aggressiv, obwohl etwa Purdue früh Hinweise dafür hatte, dass sein Medikament schnell abhängig machte. Zwischen 1991 und 2011 verdreifachten sich die verschriebenen Schmerzmittel in den USA von 76 Millionen auf 219 Millionen pro Jahr.

Purdue brachte Oxycontin 1996 auf den Markt.
Purdue brachte Oxycontin 1996 auf den Markt.

© Jeff Chiu/AP/dpa

Als die Behörden vor knapp zehn Jahren begannen, die Verschreibung dieser Medikamente stärker zu regulieren, waren viele Patienten bereits abhängig. Als Alternative stiegen viele auf das illegale und günstigere Opioid Heroin um, und dann später auf das synthetisch hergestellte Fentanyl, das besonders leicht zu bekommen war.

Mit verheerenden Folgen: Da Fentanyl bis zu 50-mal stärker als Heroin wirkt, können viele Abhängige das Opioid nicht richtig dosieren und riskieren eine tödliche Überdosis Die Zahl der Drogentoten schnellte in die Höhe.

Mit einem schnellen Ende der Krise ist nicht zu rechnen

Inzwischen hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass die USA es mit einer nationalen Epidemie zu tun haben. An vielen Orten wird gegen die Hersteller und Vertreiber der Opioid-Schmerzmittel geklagt. Städte, Gemeinden und Bundesstaaten setzen auf hohe Entschädigungszahlungen, um die Krise einzudämmen und ihre Folgen in den Griff zu kriegen.

Dabei ging die Zahl der Drogentoten durch eine Überdosis im vergangenen Jahr erstmals zurück: 2018 starben rund 68.600 Menschen, 2017 waren es noch rund 72.200 gewesen, bei zwei Dritteln von ihnen war eine Opioid-Überdosis die Todesursache. Doch die US-Gesundheitsbehörde HHS warnt, mit einem schnellen Ende der Krise, die sich mehr als 20 Jahre aufgebaut hat, sei nicht zu rechnen.

Die Familie Sackler indes versucht, zu retten, was zu retten ist. Ihr Ruf ist ohnehin dahin: Museen wie das Metropolitan Museum in New York, die Tate Modern in London und der Louvre in Paris beendeten inzwischen ihre jahrelange Zusammenarbeit mit ihnen. Sie wollen das Geld dieser Familie nicht mehr haben.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false