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Haiti

© dpa

30. Januar 2010: Tag 13: Doc Hollywood im Krisengebiet

Während viele Menschen in Haiti hungern, machen sich medizinische Helfer gegenseitig Konkurrenz. Die Stimmung ist gereizt.

Ein brasilianischer Arzt, der unangemeldet samt Schwestern in ein Krankenhaus einmarschiert und erklärt, er werde jetzt hier arbeiten. Fernsehdoktoren, die mit ganzen Kamerateams in Krankenhäuser einfallen und live operieren. Je mehr sich die mediale Aufmerksamkeit auf die zahlreichen Helfenden in Haiti verschiebt, mehren sich auch die Klagen über „Emergency-Rambos“. Gerade Medizinprofis würden immer häufiger von Hilfsindivudualisten mit fragwürdigen Absichten behindert, klagen Ärzte von Hilfsorganisationen. Zugleich ensteht auch zwischen den Profis Konkurrenz. Denn während in Haiti immer noch viele Menschen hungern und die Lebensmittelausgabe nur punktuell funktioniert, gibt es inzwischen sehr viel medizinisches Personal in der Hauptstadt. Zu viel, sagen manche. Denn die Hilfe verwandelt sich mancherorts bereits in absurdes Theater.

Das kann so aussehen: In mehreren Geländewagen fährt eine TV-Crew in der kleinen Straße vor dem Krankenhaus „Hôpital Espoir“ in Port-au-Prince vor. Mit Flutlicht, Kameras, viel Material und einem Schönheitschirurgen aus Los Angeles samt Assistentin. Der Tross ist unterwegs im Auftrag der amerikanischen Dokusoap „The doctors“ und will im Krankenhaus „Espoir“ vor laufender Kamera operieren.

Im Einvernehmen mit der haitianischen Klinikleitung arbeiten im Espoir zurzeit ausländische Ärzte der deutschen Hilfsorganisation Humedica. Sie operieren materialsparend und versuchen, Amputierte zu versorgen. Sie schrauben seit Tagen sogenannte Fixateure an gebrochene Arme und Beine von Patienten, um diese zu richten. Und nun taucht zum Ärger der Ärzte ein plastischer Schönheitschirurg auf und verlangt einen Operationssaal, um die Narbe im Gesicht eines Jungen vor laufenden Kameras zu beseitigen – aus Sicht des übrigen Personals ein nachgeordnetes Problem.

Der TV-Arzt indes hat von einem modernen OP im Espoir gehört. Einen Anästhesisten aber hat das Team nicht dabei. Sie fragen Norman Hecker aus Tübingen, ob er helfen kann. Der 35-Jährige lehnt ab. Den modernen OP würden die Deutschen auch gern nutzen, er liegt allerdings im einsturzgefährdeten Trakt des Hospitals. Das ist auch dem Schönheitschirurgen zu heikel, aber er hat das Einverständnis der heimischen Klinikverantwortlichen und will nun einen anderen Saal. Also findet Norman Hecker, der reichlich genervt wirkt, einen OP und einen Anästhesisten aus Los Angeles für die amerikanischen Kollegen. „Passt doch auch viel besser zu Doc Hollywood“, sagt der deutsche Arzt bissig.

Die Stimmung ist gereizt. Kurz vor „Doc Hollywood“ hatte schon ein Bauchchirurg aus Korea mit einem Fernsehteam im Morgengrauen im „Espoir“ operiert. „Die haben die gebrauchten Lappen einfach an die Wand geschmissen“, berichtet eine Chirurgin fassungslos. 15 Kittel und 30 Paar Handschuhe hätten die Koreaner für die OP verbraucht. „Wir sind zu Hause auch was anderes gewöhnt, aber wir haben doch kaum Material, da müssen wir uns alle umstellen“, meint die Ärztin. Der Arzt aus Asien, so erzählen Anwesende, habe während des Operierens Erklärungen in Richtung Kamera gesprochen.

Ihre zweite Dependance in Delmas 31 in einem Hospital der Grace Children’s Foundation wollten die Ärzte von Humedica gegen Ende der Woche schließen. Auch dort spielten sich zuletzt absurde Szenen ab. Zu Anfang der Woche etwa tauchte ein brasilianischer Arzt mit mehreren Schwestern auf und verlangte, mitarbeiten zu können. Appelle, er möge sich bitte an die Regeln halten, interessierten ihn nach Angaben der übrigen Ärzte nicht. „Er kam ohne Französischkenntnisse, ohne Dolmetscher“, erzählt der Bonner Allgemeinmediziner Michael Brinkmann, der in dem Krankenhaus tätig ist. Für ihn stand fest: „Entweder er geht oder wir.“ Am nächsten Morgen war der Mann wieder verschwunden.

Als Nächstes kamen amerikanische Militärärzte. Eigentlich hatte nach Auskunft der Humedica-Helfer der haitianische Kinderarzt des Krankenhauses seine Arbeit wiederaufnehmen sollen. Doch dann kündigten einige zur Foundation gehörige Amerikaner an, die Leitung zu übernehmen. Nach Darstellung von Brinkmann wurde das Krankenhaus von den Amerikanern regelrecht „gestürmt“. So etwas habe er noch nicht erlebt, sagt der Arzt, und er sei schon bei vielen Einsätzen dabei gewesen, von Somalia bis Pakistan. Brinkmann fügt diplomatisch hinzu: „Es ist ungewöhnlich, dass ein bestehendes System durch ein anderes internationales Team übernommen wird.“ Den Deutschen würde kaum etwas bleiben, als hier und da eine Röntgenaufnahme zu machen. Sie wollen ihren verbliebenen Patienten daher nun anderswo helfen. Ins „Espoir“ wechseln können sie aber nicht – dort gibt es mehr als genug Ärzte.

Derartige Dinge passieren nicht nur den Helfern von Humedica. In dieser Woche machte auch ein CNN-Reporter Schlagzeilen, der Neurochirurg ist und zu einem Notfall hinzugezogen wurde. Samt Kamera. Ein erfahrener Notfallkoordinator, der lieber nicht namentlich genannt werden will, berichtet außerdem von einem Krankenhaus, wo das Verhältnis Arzt-Patient inzwischen fast eins zu eins ist. Im Hôpital de la Communauté Haitienne seien Teams aus aller Herren Länder angekommen, es herrsche babylonisches Sprachwirrwarr „Keiner versteht den anderen. So geht das nicht.“ Insgesamt, so beklagte die UN in einer Erklärung am Freitag, gebe es dennoch zu wenig medizinische Hilfe, vor allem für die Nachversorgung. An die Vermittlungsstelle, die Ärzte besser verteilen soll, wenden sich aber viele Teams nicht.

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