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Touristen fahren in einem Paddelboot über ein Spreewald-Fließ im Hochwald in Burg Kauper (Brandenburg).

© picture alliance / dpa

Orts- und Perspektivwechsel am Pfingstwochenende: Warum es so viel Vergnügen bringt, einfach mal rauszukommen

Reisen waren schwierig zuletzt, umso mehr lockt an Pfingsten das Berliner Umland. Denn manchmal braucht man Abstand - auch von sich selbst. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Anna Thewalt

Theodor Fontane, der bekanntlich eine besondere Beziehung zu Brandenburg pflegte, schrieb einmal: „Ein Vergnügen eigener Art / ist doch eine Wasserfahrt. / Und ein Vergnügen (frage nicht wie) / ist eine Berliner Landpartie.“

Einfach mal wieder rauskommen – das wünschen sich viele nach langen Wochen, in denen die Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus den Bewegungsradius erheblich einschränkten.

Zur neuen Normalität gesellte sich schnell eine gewisse Eintönigkeit: kein Theater, kein Kneipenbier, keine Reisen, und bei allen im Homeoffice nicht einmal der Gang zur Arbeit.

Die Begrenztheit der möglichen Erlebnisse hatte eine räumliche Komponente, die Eintönigkeit ging einher mit einer „Einörtlichkeit“. Wohl dem, der eine Laube hat! Alle anderen erlebten ihre eigenen vier Wände neu – so viel zu Hause war selten.

Schlauchboot-Tour auf dem Kanal statt Spreewald-Ausflug

Die Ostseeinseln wurden für Besucher gesperrt, Brandenburg bat die Berliner, von Landpartien abzusehen. Einfach mal rauskommen! Aber wohin? Statt des Ausflugs in den Spreewald versuchten es einige Berliner mit einer Schlauchboot-Tour auf dem Landwehrkanal. Nur, dass eben viele gleichzeitig die gleiche Flucht suchten.

[Alle aktuellen Entwicklungen in Folge der Coronavirus-Pandemie finden Sie hier in unserem Newsblog.  Über die Entwicklungen speziell in Berlin halten wir Sie an dieser Stelle auf dem Laufenden.]

Nach der weitgehenden Öffnung lockt nun das Berliner Umland an diesem Pfingstwochenende die Großstädter wieder ins Freie. Brandenburgische Dörfer stellen sich auf einen Ansturm ein, man erwartet die Besucher mit einer Mischung aus Freude und Sorge.

Sehnsucht nach Tapetenwechsel

Warum aber gibt es diese Sehnsucht nach Luftveränderung und Tapetenwechsel? Sie ist verwandt mit dem Fernweh, doch es geht weniger um die geografische Entfernung als schlicht um das Neue, den Wunsch, Abwechslung und etwas Außergewöhnliches zu erleben.

„Jeder Ort ist eine Möglichkeit, die Welt zu sehen, erkennen und zu verstehen“, schreibt der Geograf Tim Cresswell in seinem Buch „Ort. Eine kurze Einführung“. Eine neue Sicht auf die Dinge ist leichter zu erreichen, wenn auch die Umgebung gewechselt wird.

Denn jeder Ort ist mit Emotionen verknüpft. Und so schön manches Zuhause auch sein mag, so ist es doch meist eng verbunden mit Routinen, Verpflichtungen, Alltag und den dazugehörigen Gefühlen. Wer eine Auszeit davon haben möchte, erreicht dies leichter, wenn er sich wegbewegt.

Erholung wartet woanders

Dem vagen Gefühl, dass Entspannung eher woanders als am eigenen Wohnort wartet, ging 2015 ein Forscherteam um die Erholungsforscherin Jessica de Bloom nach.

In einer Studie konnte sie belegen, dass Menschen tatsächlich erholter sind, wenn sie freie Tage außerhalb ihrer Wohnstätte verbringen. Und nicht nur das: In einer weiteren Untersuchung fand de Bloom heraus, dass nach freizeitlichen Reisen oder Ausflügen (die Länge spielte dabei keine Rolle) die kognitive Flexibilität der Menschen größer, ihre Ideen vielfältiger waren als vorher.

Eine Luftveränderung ist somit viel mehr als eine bloße Veränderung der Luft. Es ist die Möglichkeit, nicht nur einen anderen Ort zu erfahren, sondern sich selbst gleichsam neu zu erleben.

Ohne Ortswechsel weniger Anregung

Menschen definieren sich nicht nur in Bezug zu anderen Menschen in ihrer Umgebung, sondern auch zu der Umgebung selbst. In Corona-Zeiten ist diese deutlich stetiger als sonst.

Ohne Ortswechsel weniger Anregung und Stimulanz für neue Ideen. Zwar können Routinen auch an einem Ort durchbrochen werden und innovative Gedanken befördern – das Frühstück in der entgegengesetzten Reihenfolge zubereiten, kann dafür schon ausreichen, wie die Psychologin Simone Ritter herausfand.

Das Vergnügen, Abstand zu gewinnen

Solche kleine Routineänderungen in den vertrauten Räumen können also etwas bewirken – aber dass sie die Sehnsucht nach Ortsveränderung stillen, darf stark bezweifelt werden.

Umso größer dürfte an Pfingsten die Freude über das wieder möglich gewordene Vergnügen von Berliner Landpartien sein. Das Abstandsgebot gilt dabei weiter, doch endlich kann dabei auch wieder etwas Abstand zu Berlin und sich selbst gewonnen werden.

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