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Buchara. Im Zentrum der Hauptstadt der gleichnamigen Provinz befindet sich ein gut erhaltener historischer Kern.

© Konstantin Kolishko

Orient Silk Road Express: Zug nach Samarkand

Seidenstraße, Plov, Wodka, Hamam – und das Grab des toten Diktators Karimov. Szenen einer Entdeckungsreise in Usbekistan.

Dadam, dadam, dadam. Die Schienen Usbekistans sind – im Gegensatz zu deutschen Schienen – nicht fest miteinander verschweißt. Die kleinen Lücken garantieren im heißen Sommer das gefahrlose Ausdehnen des Metalls, doch jetzt fröstelt es. Dadam, dadam, dadam …

Wie ein wunderbar geborgenes Kind schaukelt der Passagier auf der Polsterpritsche im Schlafwagen. Im Schein der Funzel wippen Troddeln, die den weinroten Vorhang beiseite halten. Eben, so registriert man beruhigt, hat der Heizer im Flur Kohle nachgekippt. Wohlige Wärme zieht durch einen Schacht ins Abteil. Nebenan rumpelt es. Wahrscheinlich hat sich jemand den Kopf gestoßen.

Die Bilder des Tages ziehen vorbei

In der Nacht stoppt der „Registan“ langanhaltend quietschend, dann rangiert er. Abertausende Sterne sind am Himmel über der Wüste zu sehen, irgendwo im Nichts zwischen den Städten Buchara und Chiwa. Moment mal, wechseln wir gerade die Fahrtrichtung?

Buchara, „die Edle“, liegt hinter uns. Die Bilder des Tages ziehen vorbei. Da ist die gewaltige, begehbare Zitadelle Ark. Ganz oben auf dem welligen Lehmbau logierte der Emir und schoss auf alles, was ihm nicht gefiel. Der Vorplatz war mit Sand belegt, weil Sand Blut absorbiert.

Einsteigen, bitte. Der Seidenstraßen-Express macht Halt in der Nähe von Buchara.
Einsteigen, bitte. Der Seidenstraßen-Express macht Halt in der Nähe von Buchara.

© promo

Dann das Gastmahl bei einer Familie, die das Nationalgericht Plov zubereitet: Reis mit Rosinen und Hammelfleisch. Auf dem Tisch die Tellerchen mit Vorspeisen, Rote-Bete-Salat, marinierte Auberginen, gedämpfte Honigkarotten, eingelegter Rettich mit Koriander.

Überhaupt, die Kräuter: Der Basilikumduft Bucharas bleibt in der Nase. Denn wo andernorts schnöde Büsche als Weg- und Fahrbahnbegrenzung dienen, gedeihen in Usbekistan kilomterlange Basilikumbeete. Schließt man die Augen, wähnt man sich in einer gigantischen Caprese.

Dadam, dadam, dadam … der Zuckerwatteverkäufer im menschenleeren sowjetisch geprägten Vergnügungspark … zwischen Riesenrad und Pfeilwurf-Bude fabriziert er stoisch seine kreisrunden Bäusche …

Die Passagiere im Silk Orient Road Express reisen komfortabel

Früh am Morgen behauptet jemand, der Zug habe in der zweiten Nachthälfte die turkmenische Grenze passiert, weil Teile des Weges gesperrt gewesen seien. In der Dämmerung ist eine Wüste von der Farbe eines älteren Golden Retrievers sichtbar, kein Hinweis auf Zivilisation.

So sieht es also aus, das sagenumwobene Netz aus Karawanenstraßen, das Seidenstraße heißt. Seit etwa 115 vor Christus bis ins 13. Jahrhundert hinein transportierten Händler über diese Route alles, was ihnen wertvoll schien, von China in den Mittelmeerraum: Gewürze, Stoffe, Glas, Porzellan, innovative Pferdegeschirre – natürlich auch Ideen und Lehrwerke, Traditionen und Techniken.

Die Inneneinrichtung des Speisewagens kann durchaus vom Essen ablenken.
Die Inneneinrichtung des Speisewagens kann durchaus vom Essen ablenken.

© promo

Die Karawansereien hatten es damals deutlich beschwerlicher als die Passagiere des „Registan“. Aus der Dusche am Ende des Waggons strömt heißes Wasser – vorausgesetzt, man hat seinen Namen am Vorabend in den Duschplan eingetragen –, im Salonwagen serviert ein schnauzbärtiger Russe mit Samtwams Tee, Fladenbrote und Eier. Die Zugführerin heißt Olga, sie eilt mit kräftigen Schritten von Wagen zu Wagen, die schweren Türen öffnen sich fast wie von allein für sie. Olga sagt, sie fühle sich für das Wohlergehen jedes Einzelnen an Bord verantwortlich, und das bedeutet, den Wünschen und Hygienevorstellungen von anspruchsvollen Israelis, Niederländern, Deutschen und Amerikanern zu entsprechen, die in dem Charterzug für kurze Zeit zusammenleben.

Sicherheitshalber hat Olga ein Fläschchen Desinfektionsmittel und ein Fläschchen Wodka in jedes Abteil stellen lassen – jetzt bitte nur nicht verwechseln, rät sie.

20 Frauen trinken Wodka aus Teeschalen, wir auch

Die Kleinstadt Chiwa gehört zum Weltkulturerbe der Unesco und wurde in ihrer langen Geschichte häufig belagert, jetzt von uns. Es weht ein eiskalter Wind durch die verschachtelten Gassen mit ihren Medressen, Moscheen und Minaretten, deswegen ist unsere Reiseführerin gnädig. Sie springt kurzweilig von Dschingis Khan zu Timur Lenk, von Schah Nadir zu den Eroberungsversuchen russischer Zaren. Das Geschäft der Strickhandschuh-Händler boomt. Die schwarz-lockigen Persianermützen dagegen bleiben liegen: Dass sie aus dem Fell ungeborener Schafe genäht wurden, dimmt den Kaufimpuls.

Dies ist keine Museumsstadt, hier leben Menschen. Vor einem Wohnhaus tanzt ein Gaukler. Will er die weithin als solche erkennbare Touristengruppe für ein paar Scheine der usbekischen Inflationswährung Sum unterhalten? Nein. Er ist Teil einer Beschneidungszeremonie, zwei Schwestern mit bunten Kopftüchern ziehen die Fremden ins Haus, wo der blasse Fünfjährige in einer Ecke lagert und mit einem Tablet spielt. Um einen langen Tisch sitzen 20 Frauen jeden Alters mit goldverblendeten Zähnen und trinken Wodka aus Teeschalen. Wir jetzt auch.

Die Reiseführerin übersetzt extreme Gastfreundschaft. Nach einer halben Stunde werden wir geherzt wie lang vermisste Verwandte. Zum Abschied reicht man bestickte Taschentücher.

Samarkand. Wie das schon klingt!

Samarkand. Der Registan ist eine Pilgerstätte – auch für Architekturfreunde aus aller Welt. Drei Koranschulen säumen den zentralen Platz.
Samarkand. Der Registan ist eine Pilgerstätte – auch für Architekturfreunde aus aller Welt. Drei Koranschulen säumen den zentralen Platz.

© Fotolia

Zurück auf der staubigen Straße der Oasen-Stadt schauen wir uns ungläubig an: Ist das gerade wirklich passiert? Nach dieser unverhofften, lauten und wodkatrunkenen Freundlichkeitsattacke verblasst selbst das prunkvollste Mosaik.

Samarkand. Wie das schon klingt! Nach grünblauen Kuppeln vor türkisfarbenem Himmel, nach den schillernden Märchenfiguren Usbekistans, in Ordnung, nach 1001 Nacht. Die Stadt gilt als architektonischer Höhepunkt Zentralasiens. Wir gehen ins Hamam.

Zwei Plastikschüsseln mit Wasser und Seifenschaum, darin weicht je ein Kleinkind ein. Sie beobachten gleichgültig, wie ihre Mütter einander den Rücken mit Luffa-Handschuhen malträtieren. Rosa, rot, signalrot leuchtet die frisch gepeelte Haut der Frauen. Im Hamam muss der Schmutz ab – die wenigsten Haushalte Usbekistans verfügen über Dusche und Badewanne. Ein Drittel der Menschen lebt unterhalb der Armutsgrenze. Also geht man einmal die Woche zum Abschrubben, Massieren und Abhängen ins Dampfbad. Eine nicht nur wegen des dichten Nebels schwer zu durchschauende Choreografie der Nackten, bei der alle gleich sind.

Jetzt liegen wir unter Schaumbergen auf gekachelten Tischen. Die junge Nackte will wissen:

Wie lange bist du hier?

Soll ich schrubben?

Es geht, mit Händen und Füßen. Eine Dicke klatscht uns mit der flachen Hand auf den Rücken.

Karimov war "wie ein Vater", "ein gütiger Mensch"

Nicht nur die Frauen häuten sich, ganz Usbekistan steht womöglich vor einer Neuauflage.

Am 4. Dezember wählte das Volk einen neuen Präsidenten. Der Tod des bisherigen Langzeitdiktators Islom Karimov ist am 2. September bestätigt worden. Karimov war Präsident seit 1991, als Usbekistan nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion seine Unabhängigkeit erklärte.

Egal, wen man auf der Straße fragt, die Reiseführerin übersetzt: „Er war ein gütiger Mann.“ – „Er war wie ein Vater.“ – „Wir sind unermesslich traurig über seinen Tod.“

Aus dem dicht besiedelten Ferghanatal strömen viele Menschen an das Grab Karimovs in Samarkand. Es ist die letzte Ruhestätte eines Mannes, der Folter duldete und Oppositionelle verfolgen ließ, zuletzt die Chefin der NGO „Human Rights Defenders’ Alliance of Uzbekistan“ in die Psychiatrie einweisen ließ und mit aller Härte gegen jeden Islamismus-Verdacht vorging.

Unser Übersetzer bedeutet, die Mützen abzunehmen und zu schweigen. Frauen links, Männer rechts. Der Muezzin betet kurz und knapp Richtung Mekka, in den Gesichtern zweier Frauen knirschen die Kieferknochen. Eine Pflichtübung.

Usbekistan ist kein freies Land

Viele sagen: So lange alles ruhig bleibt, es keinen Krieg gibt und Usbekistan vom islamistischen Terror und den Taliban verschont bleibt, soll es gerne in Unfreiheit weitergehen. Aller Wahrscheinlichkeit nach, davon gehen Beobachter aus, wird es auch so kommen. Am Sonntag wurde Karimovs Premierminister Shawkat Mirsijajew zum neuen Präsidenten gewählt. Menschenrechtler befürchten, Mirsijajew könne womöglich noch autoritärer regieren als sein Vorgänger.

Ein junger Usbeke, er kellnert in einem Restaurant in Samarkand, sagt zu den Wahlen: „Es ist gut, dass Mirsijajew reich ist.“ Warum? „Weil er deshalb kein Geld nehmen muss.“ So kann man den Wunsch nach einer korruptionsfreien Regierung auch ausdrücken.

Ein andermal treffen wir die frühere Chefin einer Baumwollplantage – Usbekistans erfolgreichstes Exportgut. Als wir sie auf die Bedingungen der Ernte ansprechen, versteinert sich ihr Gesicht zu einer gleichgültigen Maske. Wir wollen gerne ein Feld besichtigen, doch das wird unmöglich gemacht. Amnesty International berichtet von Zwangsarbeit.

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Auf den Straßen der Stadt, selbst auf dem Basar, herrscht eine disziplinierte Stimmung. Kaum jemand hupt, niemand hetzt, begehrt auf. Das Lauftempo ist gemächlich. Die Waren kommen aus China oder einheimischer Produktion. Handgeschmiedete Messer und Ikat, der Wolkenstoff, gehören zu den beliebtesten Mitbringseln.

Seit einigen Jahren setzen die Behörden auf Tourismus, seitdem existiert eine gemäßigte Form der Privatwirtschaft. Grund und Boden kaufen können die Usbeken nicht, eine Langzeit-Pacht ist hingegen möglich. Inzwischen gibt es in den Städten einige Hotels und B&B’s, die sich auf europäische Touristen eingestellt haben.

Freiheit steht dennoch nicht auf dem Programm. In einer Karaoke-Bar im Keller eines Wohnkomplexes werden alle Liedbestellungen, die das Wort „Freedom“ enthalten, ignoriert.

Abendstimmung auf dem Registan-Platz, Samarkands größter Attraktion. Drei jahrhundertealte Medressen. Der Tiger über dem Portal der Sher-Dor-Medresse bleckt die spitzen Zähne. Unzählige handgebrannte Kacheln, vergoldete Mosaiken. Schlendern und staunen.

Ein Hochzeitspaar lässt sich fotografieren – die Braut im schneeweißen Sahnebonbon-Kleid und mit dem vorgeschriebenen gespielt traurigen Gesicht: Zu viel Fröhlichkeit könnte von der Verwandtschaft mit Promiskuität verwechselt werden. Hin und wieder entweicht ihr dennoch ein Lächeln.

Reisetipps für Usbekistan

DIE ZUGREISE

Lernidee Erlebnisreisen ist ein Spezialveranstalter für Bahnreisen weltweit. Im Angebot hat Lernidee neben der Transsib in Zentralasien unterschiedliche Reisevarianten mit dem Orient Silk Road Express in Usbekistan, Turkmenistan und Kasachstan.

Die 14-tägige Sonderzugreise „Registan“ durch diese drei Länder findet vier Mal jährlich zur idealen Reisezeit im März, April, September und Oktober statt. Im 4-Bett-Abteil ist sie ab 3170 Euro buchbar, im 2-Bett-Abteil ab 4590 Euro. Eine 10-tägige Reise mit dem Orient Silk Road Express durch Usbekistan wird im Mai und September angeboten und kostet ab 2270 Euro (4-Bett) bzw. 3040 Euro (2-Bett) – enthalten sind bei allen Reisevarianten jeweils auch der Flug ab/bis Deutschland, Hotelübernachtungen, Mahlzeiten und Ausflüge. Weitere Erlebnisreisen in Usbekistan und auf der Seidenstraße bietet Lernidee individuell (per Zug oder mit Chauffeur) ab 1750 Euro bzw. 2820 Euro an (exkl. Flüge ab/bis Deutschland). Information und Buchung: Lernidee Erlebnisreisen, www.lernidee.de, team@lernidee.de, 030/786 000-0.

EINREISE INDIVIDUELL 
In der usbekischen Botschaft in Berlin muss ein Touristenvisum beantragt werden. Nach der Ankunft hat man 72 Stunden Zeit, sich in einem Hotel zu registrieren. Alle Informationen dazu unter uzbekistan.de. Besondere Impfungen sind nicht erforderlich. Usbekistan gilt als sicheres Reiseland. Das Fotografieren von Bahnhöfen, Flughäfen und der U-Bahn in Taschkent (der einzigen U-Bahn Zentralasiens) ist streng verboten. Wer Russisch kann, ist klar im Vorteil – mit Englisch kommt man nicht weit.

FLUGVERBINDUNGEN 

Turkish Airlines fliegt von Berlin über Istanbul in die Hauptstadt Taschkent, Aeroflot über Moskau.

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