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Rainer Wolf ist Bewusstseinsforscher und Mitglied im Wissenschaftsrat der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften.

© privat

Naturwissenschaftler Rainer Wolf im Interview: „Niemand hat ein Recht auf eigene Fakten“

Ein Drittel der Deutschen glaubt an Übersinnliches. Der Naturwissenschaftler Rainer Wolf fordert Hellseher, Telekinetiker und Wünschelrutengänger in einem Wettbewerb heraus.

Herr Wolf, seit 14 Jahren testen Sie für die Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften Menschen, die behaupten, Psi-Fähigkeiten zu besitzen. Was hat man sich darunter vorzustellen?

Wir testen angebliche Fähigkeiten, die sich mit den heute bekannten Naturgesetzen nicht vertragen. Also Gedankenlesen, Wünschelrute gehen, Telekinese ... Jedes Jahr melden sich Leute, die beherrschen angeblich die tollsten Sachen. Einer bat, dass ich in einem Gebiet von 20 mal 20 Kilometern einen Goldbarren vergrabe, den er dann mit einem Pendel über einer Landkarte aufspüren wollte. Er lag mehr als zehn Kilometer daneben.

Warum machen Sie sich die Mühe überhaupt und tun das nicht einfach als Quatsch ab?

Bei exotischen Behauptungen ist es wichtig, dass man keine Vorurteile hat. In der Geschichte der Wissenschaften kam es ja schon oft vor, dass neue Ideen nicht ernst genommen wurden. Als Alfred Wegener 1912 seine Theorie von der Kontinentalplattenverschiebung vorstellte, wurde er ausgelacht. Erst nach Wegeners Tod kam man drauf, dass sich die Erdplatten nachweislich zwischen zwei und sechs Zentimetern pro Jahr bewegen. Man sollte also auch „Spinner“ im Prinzip erstmal ernst nehmen.

Das Allensbach-Institut hat festgestellt, dass der Glaube an Parawissenschaften in Deutschland zunimmt. Logik zählt in Debatten um Alternative Fakten, Impfen oder Klimawandel oft nicht mehr als Gefühl. Melden sich mehr Leute bei Ihnen?

Das schwankt. In den vergangenen Jahren gab es durchschnittlich vier Angebote, für die sich Tests realisieren ließen. Wir diskutieren stets gemeinsam, wie man es anstellen kann. Der Kandidat ist dabei König.

Keine Einschränkungen?

Unsere einzige Bedingung ist: Der Test muss doppelt verblindet sein. Das bedeutet, dass weder der Kandidat noch die anwesenden Versuchsleiter wissen, was Sache ist. Durch welche Leitung jeweils Strom fließt oder unter welchem Eimer ein aktives Handy versteckt ist. Man kann sonst nicht ausschließen, dass jemand unbewusst Körpersignale der Versuchsleiter deuten kann. Die Versuche sind so angelegt, dass der Kandidat mit 99-prozentiger Wahrscheinlichkeit Erfolg haben sollte, wenn er die Fähigkeit wirklich besitzt. Viele Menschen unterschätzen, dass oft schon allein durch die Wahrscheinlichkeit eine hohe Trefferrate erzielt wird. Wenn die Chancen 50:50 stehen, und man 50 Mal testet, dann beweist ein Ergebnis von 25 richtigen Antworten nicht die vermutete Fähigkeit, sondern nur die Gesetze der Statistik.

Wenn im Kino Aliens angreifen, steigt die Zahl der Ufo-Sichtungen. Sehen Sie Moden, was Ihre Kandidaten angeht?

Elektrosmog kam in den vergangenen Jahren nicht mehr vor. Ich vermute, weil heute jeder ein Handy besitzt. Wünschelrutengänger sind nach wie vor ein Renner. Insgesamt testen wir deutlich weniger Frauen, da diese oft in Richtung Heilbehandlung tendieren. Alles, was mit medizinischen Verfahren zu tun hat, können wir im Labortest nicht untersuchen, dazu bräuchte es klinische Untersuchungen. Männer neigen eher zu technischen Dingen wie Pendeln oder Telekinese.

Im Internet finden sich zahlreiche Videos, in denen Menschen eine Metallfolie auf einer Nadel in einem geschlossenen Glasgefäß vermeintlich „Kraft ihres Geistes“ rotieren lassen. Wie ist das zu erklären?

Das haben wir im vergangenen Jahr überprüft. Hat auch nicht geklappt. Theoretisch ist es möglich, dass über einen winzigen Spalt Luft ins Innere der Glaskuppel gelangt, die Strahlungswärme der Hand kann eine Bewegung auslösen, ebenso elektrostatische Aufladung. In anderen Versuchsaufbauten zeigte eine Zeitrafferkamera schlicht eine aus physikalischer Sicht erwartbare Dreh-Pendelbewegung. Ansonsten ist Betrug natürlich immer eine Option. Zum Beispiel mit Magneten.

Da kommen sicher viele, die glauben, Sie austricksen zu können.

Nein. Das ist noch nie passiert, und das ist mir ganz wichtig. Die Leute, die sich testen lassen, sind keine Schwindler wie Uri Geller, der beim Gedankenlesen oder Löffelverbiegen nachweislich gemogelt hat. Trotzdem täuschen sie nicht nur ihre Kunden, die sie ja häufig bezahlen, zum Beispiel um Wasseradern mit der Rute zu finden, sondern vor allem auch sich selbst. Sie sind wirklich überzeugt, dass sie diese Fähigkeit besitzen.

Das ist das Ende der Aufklärung

Warum glauben Menschen so etwas?

Der Verhaltensforscher Konrad Lorenz sagte: „Der Mensch ist das Tier, das den allergrößten Blödsinn glaubt.“ Wir neigen zum Aberglauben, weil wir von Tieren abstammen, und die sind nachweislich abergläubisch. Der Psychologe B. F. Skinner hat mal Tauben in Käfige gesetzt. Zuerst bekamen sie Futter, wenn sie auf einen Schalter drückten. Das haben sie schnell rausbekommen. Danach kamen sie in identische Boxen, wurden aber nach Zufallsprinzip gefüttert. Das Ergebnis war, dass die Tauben nach kurzer Zeit immer wieder die Tätigkeit wiederholten, die sie in dem Moment ausgeführt hatten, als sie Futter bekamen. Die eine putzte sich, die andere hob das Bein. Da wurde eine zeitliche Korrelation fehlgedeutet als Kausalität. Der Witz aber ist: Evolutionär betrachtet ist das eine sinnvolle Verhaltensweise.

Wieso das?

Lebewesen, die nicht in der Lage sind, rational nachzudenken, sind darauf angewiesen, auch im zufälligen Zusammentreffen von Ereignissen einen ursächlichen Zusammenhang zu vermuten, um sich einen Selektionsvorteil zu verschaffen. Man liegt ja nicht immer falsch. Wenn ich einen bestimmten Weg benutze und werde nicht überfallen, dann ist es eine gute Idee, diesen Weg immer wieder zu benutzen. Es könnte doch der Grund für mein Überleben sein. Unsere Gehirne sind evolutionär darauf ausgelegt, Muster in Zufallsmustern zu erkennen.

Die amerikanische Psychologin Gertrude Schmeidler sagte, die Menschen teilten sich etwa 50/50 in Schafe und Ziegen, also in Leute, die eher glauben und Leute, die eher zweifeln.

Wir haben wohl die Anlage zu beidem. Ich würde vermuten, dass es eine große Rolle spielt, wie die persönliche Entwicklung aussieht. Ob man eher zum skeptischen Denken erzogen wird oder in einem Elternhaus oder auch einer Schule groß wird, wo magisches Denken propagiert wird. Dann ist man gegenüber solchen scheinbaren Psi-Phänomenen wesentlich aufgeschlossener.

Kann man skeptisches Denken lernen?

Sicher. Und das ist natürlich auch etwas, was wir mit den Tests fördern wollen. Eine Art Verbraucherschutz, quasi. Von den 60 Leuten, die wir inzwischen getestet haben, sagten nachher allerdings nur vier auf Dauer: Ich habe mich getäuscht. Denen haben wir die größte Hochachtung ausgesprochen. Oft ist es aber wie bei dem Mann, der behauptete, er könne feststellen, ob Obst mit Pestiziden behandelt wurde. In der Nachbesprechung sagte er, er müsse akzeptieren, dass er sich die Fähigkeit wohl suggeriert habe. Aber am nächsten Tag kam eine E-Mail, er habe mit einer höheren Macht Kontakt aufgenommen, und die habe ihm gesagt, er dürfe ruhig weitermachen.

Ist das für Sie nicht wahnsinnig frustrierend?

Ach, wir haben uns daran gewöhnt. Durchschnittlich ein Drittel der Bevölkerung ist überzeugt, dass es paranormale Fähigkeiten gibt, und dass sie diese auch schon selbst erlebt haben. Die kann man durch Gegenbeweise nicht überzeugen. Ein weiteres Drittel ist sich nicht sicher. Diese Leute können wir mit unseren Tests erreichen und zu skeptischem Denken bringen. Ansonsten hat natürlich jeder das Recht, zu glauben oder nicht zu glauben, was er will. Aber niemand hat ein Recht auf eigene Fakten. Alternative Fakten gibt es nicht! Ich finde es schlimm, wie selbstverständlich in der Bevölkerung inzwischen akzeptiert wird, dass der eine dies als Fakt sieht und der andere eben jenes. Das ist das Ende der Aufklärung.

Sie glauben also an eine objektive Wahrheit?

Ja. Allerdings müssen wir auch sehen, dass wir über die objektive Wirklichkeit keine absolut sicheren Aussagen machen können. Die Wissenschaft kann ja nicht mal zweifelsfrei beweisen, dass es den Pumuckl nicht gibt – Negativaussagen lassen sich grundsätzlich nicht beweisen.

Diesen Umstand könnte man gegen Sie verwenden.

Natürlich. Aber in der Geistesgeschichte gibt es Moden, und derzeit ist es eben modern, dass man esoterisch denkt. Doch es wird sich wieder bessern, weil diese vermeintlich alternativen Ideen letztendlich erfolglos sein werden. Wer aus dem Fenster springt, weil er die Schwerkraft anzweifelt, den entfernt die natürliche Selektion.

Wir werden ständig getäuscht

Warum fällt es den Leuten so schwer, ihren Glauben an Übersinnliches abzulegen?

Das Gefühl, zu glauben, verschafft subjektiv Sicherheit. Da besteht eine Parallele zwischen paranormalen und religiösen Vorstellungen, dem Wunderglauben zum Beispiel. Häufig entsteht so ein Glaube aus einem traumatischen Erlebnis. Viele Kandidaten berichten, dass sie durch Schicksalsschläge auf bestimmte Möglichkeiten aufmerksam wurden. Scheitern sie im Test, stellt das ihr Lebenswerk infrage. Die haben oft über Jahrzehnte hinweg mit ihrer Methode gearbeitet und damit scheinbar Erfolg gehabt.

Wie erklären Sie das, wenn die Techniken offensichtlich gar nicht funktionieren?

Wünschelrutengänger haben in vielen Fällen Erfolg, weil sie intuitiv am Gelände ablesen, an dieser Stelle könnte was sein. Es gibt zum Beispiel bestimmte Pflanzen, die Grundwasser anzeigen können. Wir hatten auch mal jemanden, der sagte, er sei in der Lage, Wolken mittels Kraft seiner Gedanken aufzulösen. Wenn man das untersucht, stellt man fest, dass sich viele Wolken tatsächlich spontan von selbst auflösen, und wenn man ein bisschen Erfahrung hat, kann man das aus der Form ablesen. Ich möchte aber noch mal deutlich sagen: Die Leute nehmen solche Indizien nicht bewusst, sondern intuitiv auf. Die Wünschelrute schlägt da aus, wo der Wünschelrutengänger es bewusst oder unbewusst erwartet! Dann wird gebohrt, man findet Wasser. Toll, sagen alle. Was aber müsste man machen? Man müsste fünf Meter daneben, wo die Rute nicht ausgeschlagen hat, auch bohren, da würde man nämlich auch Wasser finden. Passiert aber nie, weil das so teuer ist.

Das ist ein Argument für Bauchentscheidungen.

Beide Wege sind sinnvoll. Man kann ruhig intuitiv Entscheidungen treffen, aber man sollte doch so viel Gehirnaktivität einschalten und sich fragen, ob etwas tatsächlich plausibel ist. Das machen die meisten Bauchentscheider nicht.

In der Medizin zeigen jedoch auch Methoden, die nicht plausibel sind, mitunter einen Effekt.

Natürlich sollte man solche Placeboeffekte nutzen! Ich finde das eine wunderbare Sache. Mein Hausarzt hat mir als Kind mal eine Warze mit dem Röntgengerät weggestrahlt – nur war der Apparat gar nicht eingeschaltet. Gefährlich wird es, wenn wissenschaftsmedizinische Behandlung zugunsten von pseudomedizinischer ignoriert wird. Wenn Sie Krebs haben, hilft Ihnen die Schulmedizin immer noch besser als die Homöopathie.

Können wir uns wenigstens auf unsere fünf Sinne verlassen?

Leider nein, auch unsere Sinne können uns massiv täuschen. Wenn Sie eine Brille aufsetzen, die Fernes nah und Nahes fern erscheinen lässt und dann ein Gesicht angucken, sieht das nicht aus wie ein Hohlkopf. Unser Gehirn sagt, das kann nicht sein und korrigiert die Hohlform automatisch. Die wesentliche Botschaft ist: Wir werden ständig getäuscht. Wenn man Glück hat, merkt man das, und wenn man noch mehr Glück hat, kann man sogar erklären, warum man sich täuscht. Freimachen von Täuschungen kann man sich nicht. Tröstlich ist aber, dass unsere Einschätzungen im Alltag recht verlässlich funktionieren. Auch das verdanken wir der natürlichen Selektion. Der Affe, der eine falsche Vorstellung von dem Zweig hatte, auf den er sprang, der gehört nicht zu unseren Vorfahren.

Als Hobbyzauberer schaffen Sie Illusionen und vermeintliche Wunder. Ist das nicht gefährlich, weil Sie so den Wunderglauben noch befeuern?

Kein seriöser Zauberer würde behaupten, er arbeite nicht mit Tricks. Um beispielsweise Materie auf Entfernung in Bewegung zu versetzen, muss Energie übertragen werden. Es ist kein Beispiel in der Physik bekannt, wo das ohne messbaren Austausch gelungen wäre. Die Kräfte, die man kennt, die schwache und die starke Kernkraft, die Gravitation und der Elektromagnetismus erlauben das nicht. Wenn echte Telekinese gelänge, würde das eine wissenschaftliche Revolution auslösen! Selbstverständlich gibt es viele Dinge zwischen Himmel und Erde, die noch nicht in den Büchern stehen. Aber, und das darf man nicht vergessen: Es gibt auch viele Dinge, die in Büchern stehen, die es zwischen Himmel und Erde nicht gibt.

Wünschen Sie sich manchmal, es wäre anders?

Ich gestehe, dass ich bei der Durchführung der Tests ab und an ein komisches Gefühl habe. Was sagst du jetzt, wenn der Kandidat wirklich Erfolg hat? Das wäre sehr spannend! Aber ich würde trotzdem eine Wette mit höchstem Einsatz wagen, dass paranormale Phänomene, wie man sie heute versteht, prinzipiell auf Selbsttäuschungen beruhen – oder auf verborgenen Tricks.

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