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Bremer Biomülltonne mit Apfelsinen und Mandarinen oder Clementinen

© imago images / Eckhard Stengel

Nach Verbot des Containerns: Der Umgang mit Lebensmitteln in Deutschland ist zynisch

Menschen dürfen hierzulande Lebensmittel nicht aus dem Müll holen. Aber überall wird ihnen Lebensmittelmüll verkauft. Eine Empörung.

"Sage mir, was du isst, und ich sage dir, was du bist." Das schrieb der französische Philosoph und Gastronomiekritiker Jean Anthelme Brillat-Savarin vor 200 Jahren. Ich musste daran denken, als ich am Donnerstag meinen Wocheneinkauf erledigte. Der wird von Woche zu Woche übersichtlicher, somit auch leichter zu tragen, kostet mich aber mittlerweile das Dreifache. Nach all den Lebensmittelskandalen habe ich mir strikte Einkaufsregeln auferlegt: keine Fertiggerichte, kein abgepacktes Fleisch und Käse, kein behandeltes Obst und Gemüse, kein vorgebackenes Brot. Ich kämpfe verzweifelt dagegen an, schlechte Lebensmittel zu kaufen, was bei meiner dreiköpfigen Familie noch irgendwie machbar ist. Wie das größere Familien finanziell hinbekommen, bleibt mir ein Rätsel.

Ich dachte darüber nach, warum es in meiner Kindheit noch möglich war, sich als Arbeiterfamilie gut zu ernähren, und warum sich heute in dem gleichen Land, das elf Milliarden Euro Finanzüberschuss erwirtschaftet, viele Menschen nicht mal das Nötigste leisten können. Zwei CDU-Politiker trieben diesen Zynismus in den letzten Tagen zusätzlich auf die Spitze.

Zuerst meldete sich Sachsens Justizminister Gemkow, Sprecher der CDU-geführten Bundesländer, aus einem Fünf-Sterne-Hotel in Travemünde: „Wir wollen nicht, dass sich Menschen in eine solche menschenunwürdige und hygienisch problematische Situation begeben“, erklärte er die Ablehnung eines Antrags des grünen Hamburger Justizministers Steffen, Containern gesetzlich zu erlauben, also Lebensmittel aus dem Müll zu holen. Schließlich, so Gemkow, gehe es auch um die Haftung, falls jemand verdorbene Lebensmittel aus Containern esse und krank werde.

Ohne zu hinterfragen, essen viele, was ihnen vorgesetzt wird

So hört es sich immer an, wenn Politiker versuchen, Sinnvolles sprachlich so zu verschwurbeln, dass plötzlich Richtiges falsch und Falsches richtig klingt. Wenn ich das richtig verstanden habe, darf man Lebensmittel zwar nicht aus dem Müll holen, aber Lebensmittelmüll verkaufen. Und als ich mich kopfschüttelnd fragte, ob denn jetzt alle irre geworden sind, meldete sich just unsere Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner per Videobotschaft zu Wort. Nein, sie hat den Beschluss ihres Parteikollegen nicht als unmenschlich und absurd kritisiert, wie ich eine Millisekunde gehofft hatte.

Stattdessen hat sie sich als Verstärkung den Deutschland-Chef von Nestlé an ihre Seite geholt und sich so mit einem Konzern verbündet, der Menschen weltweit das Trinkwasser abzapft und ihnen teuer in Flaschen wiederverkauft, Zuckerbomben wie Frühstücksflocken „gesund“ nennt, Regenwald rodet und mit Kaffeekapseln und Plastik galaktische Mengen Müll produziert.

Wer als oberste Instanz die Lebensmittelüberwachung sträflich vernachlässigt und gesundheitsschädliche Verstöße wie eine Ordnungswidrigkeit behandelt, gibt den Konzernen die Legitimität, uns den Dreck weiter als Nahrung unterzujubeln. Und wenn doch mal einer erwischt wird, ist die Geldstrafe verglichen mit den Profit so gering, dass munter weitergemacht wird. Ganz schuldlos sind wir Verbraucher aber auch nicht. Ohne zu hinterfragen, essen viele, was ihnen vorgesetzt wird. Wir sind beim Einkauf nicht davon befreit, den eigenen Kopf zu benutzen, und könnten Produkte einfach mal links liegen lassen.

Brillat-Savarin, der französische Philosoph, sagte noch einen schönen Satz: „Das Schicksal der Nationen hängt von der Art ihrer Ernährung ab.“ Ich möchte ergänzen: Das Schicksal von Politikern hängt davon ab, ob sie sich auf die Seite der profitorientierten Lebensmittelkonzerne oder die der Verbraucher schlagen.

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