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Nichts mehr übrig von der Schweinezuchtanlage in Alt Tellin: Die etwa 10 Jahre alte und umstrittene Großanlage war am 30.03.2021 zu großen Teilen abgebrannt.

© Stefan Sauer/dpa

Nach Großbrand in Alt Tellin: „Die Tiere waren traumatisiert und haben unheimlich geschrien“

Ein Jahr nach dem Feuer in der Schweinemastanlage, bei dem über 60.000 Tiere verbrannten, spricht Martin Hofstetter von Greenpeace über die Ereignisse.

Vor einem Jahr brannte eine der größten Schweinezuchtanlagen in Deutschland. Über 60.000 Schweine kamen am 30. März 2021 bei dem Feuer in Alt Tellin in Mecklenburg-Vorpommern ums Leben.

Betreiber der Anlage ist die Landwirtschaftliche Ferkelzucht Deutschland (LFD). Die Zuchtanlage in Alt Tellin war eine der größten von elf Standorten des Unternehmens. Wie der Deutsche Tierschutzbund damals mitteilte, war der Brand eines der verheerendsten Großfeuer in einer Nutztieranlage in Deutschland überhaupt. 

Martin Hofstetter war am 31.März 2021, einen Tag nach dem Brand, vor Ort. Der gelernte Landwirt ist Landwirtschaftsexperte bei Greenpeace und spricht im Interview über die Ereignisse in Alt Tellin und über die Schweinezucht und Mastanlagen im Allgemeinen.

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Herr Hofstetter, wie kam es vor einem Jahr zu dem Feuer in der Schweinezuchtanlage in Alt Tellin?
Es ist bis heute nicht geklärt, was die Brandursache ist. Das ist ein bisschen erstaunlich, weil das normalerweise, wenn es einen Feuerherd gibt an einer bestimmten Stelle oder man Brandbeschleuniger sieht, dann relativ schnell geklärt wird. In diesem Fall scheint es komplexer zu sein. Es ist äußerst ungewöhnlich, dass es so lange dauert.

Anfangs sprach man von knapp 55.000 Tieren, die verbrannt sind. Nun geht man von über 60.000 Schweinen aus. Wie kommt das?
Im Grunde wusste es vielleicht am Anfang der Betreiber der Anlage selbst nicht. In der Anlage sind ja Sauen, die permanent Ferkel werfen. Und diese Ferkelwürfe sind unterschiedlich groß und die werden nicht dauernd gezählt.

Martin Hofstetter ist Landwirtschaftsexperte bei Greenpeace.
Martin Hofstetter ist Landwirtschaftsexperte bei Greenpeace.

© privat

Welche Anzahl an verstorbenen Tieren hat man nun insgesamt?
Es sind wohl über 62.000 Schweine gewesen. Das Entscheidende ist, dass aufgrund der schlechten Brandschutzvorkehrungen nur ein sehr kleiner Bruchteil gerettet wurde und 96 bis 97 Prozent der Tiere gestorben sind.

Was passierte mit den knapp 1.500 Schweinen, die überlebt haben? Wo sind die nach dem Brand hingekommen?
Die Tiere sind in einen Bereich neben der Biogasanlage getrieben worden. Ich selbst bin am Tag nach dem Brand dort gewesen und an dem 31. März wurden die Tiere verladen und sollten zu ein oder zwei weiteren Ställen, die auch zu dem Unternehmen gehören, gebracht werden.

Wie haben Sie den 31.03.21 vor Ort erlebt?
Ich habe selber Schweinemast gelernt, habe Tiere zum Schlachter gefahren. Aber an dem Tag war ich erschüttert. Die Tiere waren tatsächlich traumatisiert und haben unheimlich geschrien. Sie haben sehr ungewöhnliche Laute von sich gegeben, waren panisch. Die hatten einfach ein fürchterliches Erlebnis hinter sich. Schweine sind sehr kluge Tiere, die sind so clever wie Hunde, sagt man. Und die haben dort was erlebt, was sie extrem in Angst und Schrecken versetzt hat. Das Ganze war auch für mich wirklich hart zu erleben, neben dem Geruch nach verbranntem Fleisch und Asche.

Nur knapp 1.300 Schweine konnten bei dem Großbrand gerettet werden.
Nur knapp 1.300 Schweine konnten bei dem Großbrand gerettet werden.

© Deutscher Tierschutzbund e.V. Landesverband Mecklenburg-Vorpommern

Was passierte mit den toten Tieren?
Die Kadaver wurden zusammengefahren und mit Kalk bestreut, damit es nicht so stinkt. Die blähen dann ja auch schnell auf und es waren damals relativ warme Tage danach. Dann wurden sie nach und nach zur Tierkörperbeseitigungsanlage und zur Deponie gebracht. Die toten Tiere galten als Sondermüll, weil sie mit den Stalleinheiten verschmolzen sind.

Sind derzeit noch oder wieder Schweine in der Anlage in Alt Tellin?
Nein.

Die Biogasanlage ist aber bis heute dort in Betrieb?
Ja, die ist noch in Betrieb. Die wird mit Mais betrieben und damals noch mit der Schweinegülle aus der Zucht. Das lief dann einfach ohne die Gülle der Anlage weiter.

Wie hat die Politik damals reagiert?
Vier oder fünf Wochen nach dem Brand war Dr. Backhaus [Till Backhaus, Landwirtschaftsminister von Mecklenburg-Vorpommern] das erste Mal auf der Anlage, er hat sich da am Anfang ja gar nicht sehen lassen. Frau Klöckner [Julia Klöckner, damalige Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft] ist dort nicht hingefahren. Die Politik hält gerne Abstand von solchen schrecklichen Anlagen, um mit solchen Bildern und ihrer eigenen Verantwortung daran nicht konfrontiert zu werden.

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Wie sind die Signale seitens der Politik heute, ein Jahr nach dem Brand?
Minister Backhaus ist klar, dass so ein Stall vor Ort überhaupt nicht mehr auf Akzeptanz stößt. Die Menschen in der Region haben nichts davon gehabt und sind eher entsetzt gewesen, was daraus da entstanden ist und wie da gebaut wurde. Es gab keine ökonomischen Vorteile, keine Wertschöpfung oder gut bezahlte Arbeitsplätze für die Region, es hat eigentlich nur dem Betreiber was gebracht.

In China boomen ja solche riesigen Anlagen seit Jahren. Dort werden Schweinehochhäuser und ganze Schweinedörfer gebaut. Ist so etwas in Deutschland noch denkbar?
Dass solche Ställe hier noch gebaut werden, das ist gesellschaftlich nicht möglich und das wird auch bald rechtlich nicht mehr möglich sein. Ich bin mir sehr sicher, dass das auf keinerlei Akzeptanz mehr stößt. Und ich glaube, dass alle verstanden haben, dass das eine Technologie ist, die bei uns keinen Platz findet. Wir müssen mit Nutztieren anders umgehen. Wir haben ein Tierschutzgesetz. Und die Nutztierhaltungsverordnung wird demnächst nochmal geändert werden müssen.

Das Rad zurückzudrehen und zu sagen: Wir gehen jetzt nochmal in eine Entwicklung mit Schweinehochhäusern, mit all den damit verbundenen ökologischen und tierschutzrechtlichen Problemen – das macht überhaupt keinen Sinn, das ist nicht vorstellbar.

Ein Feuerwehrmann inmitten von geretteten Tieren. Die Brandursache ist weiterhin unklar.
Ein Feuerwehrmann inmitten von geretteten Tieren. Die Brandursache ist weiterhin unklar.

© dpa / Stefan Sauer

Was halten Sie persönlich allgemein von Schweinezucht?
Ich bin jetzt 61 Jahre, habe Kinder und Enkel und fühle mich verantwortlich, was wir denen überlassen. Ich habe im Münsterland Landwirtschaft gelernt. Das ist ein toller, faszinierender Beruf. Mir tun nur manchmal die Landwirte leid, weil die in so einem Hamsterrad drinstecken, immer mehr zu produzieren, damit sie über die Runden kommen. Also ich habe ein gewisses Grundverständnis für Landwirte und Landwirtinnen, warum sie wirtschaften wie sie wirtschaften. Ich habe aber gar kein Verständnis für die Betreiber von Industrieanlagen.

Solche Anlagen wie in Alt Tellin?
Wenn man sich das anguckt, das ist irre. Da hat man einfach aus Kostengründen ein Ding dahin geklotzt, quasi ohne Brandmauern. Im Münsterland oder in Niedersachsen hätte das nicht passieren können, das wäre inakzeptabel gewesen. Man hat da wirklich ausgenutzt, dass das in einer Region gebaut worden ist, die extrem dünn besiedelt ist und wo man erwartete, dass da wenig Widerstand ist.

Großbrand im Schweinezuchtbetrieb in Alt Tellin (Vorpommern-Greifswald): Über 62.000 Tiere starben.
Großbrand im Schweinezuchtbetrieb in Alt Tellin (Vorpommern-Greifswald): Über 62.000 Tiere starben.

© dpa / Stefan Sauer

Hat das was mit der ostdeutschen Region und alten Strukturen zu tun?
Da gibt es einfach eine Geschichte, es gab ja auch Haßleben, Ferdinandshof und andere riesige Zucht- und Mastanlagen.

…wie das Schweinehochhaus in Sachsen-Anhalt.
Solche Anlagengrößen gibt es tatsächlich eigentlich nur in Sachsen, Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern.

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Warum geht der Mensch allgemein so mit Tieren um? Warum werden Schweine in Kastenständen gehalten oder männliche Küken geschreddert?
Das passiert, je mehr man sich von einem Tier entfernt. So interpretiere ich das. Kuh-Bauern geben zum Beispiel ihren Tieren Namen. Sie haben mit ihnen eine ganz starke Identifikation, kennen die Mütter und Großmütter ihrer Milchkühe. Wenn da was passiert, eine Seuche, ein Brand, dann trifft die das unheimlich hart. Bei Schweinebauern ist das schon anders: Da gibt es keine Namen, es läuft anonymer, die Tiere leben zudem viel kürzer auf dem Hof.

Und bei großen Hähnchenmästern ist es dann nochmal eine ganz andere Nummer, die haben überhaupt nichts am Hut mit ihren Tieren. Das heißt, diese Thematik der Mensch-Tier-Beziehung ist hier ganz entscheidend. Und wenn man Tiere hält, hat man auch eine Verantwortung.

…die hatte man dann in Alt Tellin eigentlich ja umso mehr bei der Masse an Tieren?
Also Alt Tellin, das hat mich einfach tatsächlich nochmal schockiert. Ich kenne Betriebe, die schon ordentlich groß sind, aber sowas hatte ich noch nie gesehen. Und diese Größenordnung, da ist einfach klar, das funktioniert nicht, das geht nicht. Da werden Tiere nur noch abstrakt als lebendiges Kapital betrachtet, mit denen Gewinne maximiert werden. Und das hätte auch Herrn Backhaus damals schon klar sein müssen und das werfe ich ihm auch vor.

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