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Mutmaßlicher Mörder von Maddie: Christian B. war durch Ermittlungspannen schon frühzeitig gewarnt

Recherchen des „Spiegel“ belegen folgenschwere Fehler der Polizeibehörden. Inzwischen wird Christian B. mit zwei weiteren Vermisstenfällen in Verbindung gebracht.


Der Fall der verschwundenen Maddie McCann gab den Polizeibehörden lange Zeit Rätsel auf. Am vergangenen Freitag konnten die Behörden endlich verkünden, einen Tatverdächtigen ausfindig gemacht zu haben: der Deutsche Christian B. soll jahrelang in Portugal gelebt haben und ist mehrfach vorbestraft. In seiner Akte sind finden sich mehrere Delikte: neben Einbrüchen, Drogenhandel und Vergewaltigung auch Fälle von sexuellem Missbrauch von Kindern.

Wie der „Spiegel“ berichtet, sollen den Polizeibehörden in Deutschland und Portugal mehrere folgenschwere Fehler unterlaufen sein. Am 4. November 2013 landete ein Brief der Polizei im Briefkasten des heute Hauptverdächtigen. Christian B. sollte als Zeuge zur Vernehmung im Polizeikommissariat Braunschweig erscheinen. Dabei ging es um die „Vermisstensache Madeleine McCann (Tatort Portugal) - Personenüberprüfung des Christian B.“

Christian B. wusste demnach schon früh darüber Bescheid, dass er ins Visier der Polizei geraten war.

Zeugen berichteten, dass B. aufgrund des Tatverdachts schwer getroffen gewesen sein soll. Zu diesem Zeitpunkt betrieb er einen Kiosk in Braunschweig und war bereits den Behörden als Krimineller bekannt. Laut der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (FAZ) lebte B. Anfang der 90er einige Jahre in einem Heim für schwer erziehbare Jugendliche in Würzburg. In einem psychiatrischen Gutachten des Bundeskriminalamtes wurde er als Psychopath bezeichnet, dem vieles zuzutrauen sei.

Ein Foto des Tatverdächtigen Christian B. nach seiner Verhaftung durch die italienische Polizei im September 2019.
Ein Foto des Tatverdächtigen Christian B. nach seiner Verhaftung durch die italienische Polizei im September 2019.

© AFP

Wieso es dennoch so lange dauerte, bis Christian B. mit dem Fall Maddie in Verbindung gebracht wurde, ist laut Spiegel wohl auf gravierende Ermittlungspannen zurückzuführen.

Die portugiesische Polizei schlampte bei der Spurensicherung und fokussierte sich zunächst auf die Eltern des entführten Mädchens als Hauptverdächtige. Erst nachdem sich der Verdacht gegen das Ehepaar McCann nicht erhärtete, gingen die portugiesischen Behörden von einer möglichen Entführung des Mädchens aus.

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Am 16. Oktober 2013 wurde der Fall Maddie in der ZDF-Sendung „Aktenzeichen XY...ungelöst“ präsentiert. Kate und Gerry McCann zeigten dort, gemeinsam mit dem Chefermittler von Scotland Yard, zwei Phantombilder. Beide Personen hatten sich wohl in Tatortnähe befunden und dazu auffällig verhalten.

Anstatt zu ermitteln lud die Polizei ihn als Zeugen ein

Es dauerte nur wenige Stunden, da meldete sich ein Mann beim BKA, der glaubte Christian B. erkannt zu haben. Er gab an, mit dem Verdächtigen zum Zeitpunkt der Tat einen Poolservice in Portugal betrieben zu haben. Anfang November überprüfte die Kriminalpolizei Braunschweig auf Anweisung des BKA die Personalie – und fand heraus, dass er bereits als Sexualstraftäter aktenkundig war. Doch dann passierte ein folgenschwerer Fehler.

Staatsanwalt Hans Christian Wolters spricht in der Staatsanwaltschaft zu Medienvertretern über die Ermittlungen im Fall Maddie.
Staatsanwalt Hans Christian Wolters spricht in der Staatsanwaltschaft zu Medienvertretern über die Ermittlungen im Fall Maddie.

© Ole Spata/dpa

Anstatt weiter zu ermitteln lud ihn die Braunschweiger Kriminalpolizei als Zeugen vor – ein unter Ermittlern ungewöhnlicher Vorgang. Die Braunschweiger Behörden ließen eine schriftliche Anfrage des "Spiegel" dazu „inhaltlich unbeantwortet“. Christian B. war also früh gewarnt, dass gegen ihn ermittelt wird und hatte dementsprechend ausreichend Zeit, eventuelle Spuren seiner Tat zu verwischen.

Wie die Staatsanwaltschaft mitteilte, reichen die Beweise gegen Christian B. weiterhin nicht aus, um eine Anklage zu formulieren. Es wird um Zeugen gebeten.

Neben Maddie könnte der Beschuldigte auch für mehrere andere Vermisstenfälle verantwortlich sein: Die belgischen Behörden nahmen im Zusammenhang mit dem Fall Maddie die Ermittlungen zum Mord an der deutschen Jugendlichen Carola Titze im Jahr 1997 wieder auf, wie ein Sprecher der Staatsanwaltschaft in Brügge am Donnerstag der Nachrichtenagentur AFP sagte. Auch in Portugal und den Niederlanden wird möglichen Verbindungen zum verdächtigen Christian B. nachgegangen.

Mögliche Verbindung zu zwei weiteren Fällen

Carola Titze war 1996 in Belgien getötet worden. Der verstümmelte Leichnam der 16-jährigen deutschen Urlauberin wurde damals im belgischen Küstenort De Haan gefunden. Die Ermittlungen konzentrierten sich auf einen deutschen Verdächtigen Anfang zwanzig. Der damalige Ermittlungsrichter Paul Gevaert hatte vergangene Woche eine mögliche Verbindung mit Christian B. ins Spiel gebracht. „Die Beschreibung passt“, sagte Gevaert der Zeitung „De Standaard“.

Auch in den Niederlanden beschäftigt B. die Behörden: 1995 war der siebenjährige portugiesische Junge Jair Soares an einem Strand südlich von Den Haag spurlos verschwunden. Nachdem die Ermittlungen bereits vergangenes Jahr wiederaufgenommen worden waren, "werden wir unsere deutschen Kollegen über die geeigneten Kanäle kontaktieren", um einer möglichen Verbindung zu dem Verdächtigen in den anderen Fällen nachzugehen, erklärte ein Polizeisprecher.

In Deutschland prüfen die Ermittler, ob Christian B. möglicherweise für das Verschwinden der fünfjährigen Inga aus Sachsen-Anhalt vor fünf Jahren verantwortlich sein könnte. Im Fall des sechsjährigen René aus Nordrhein-Westfalen, der 1996 in Portugal verschwunden war, fanden die Behörden Medienberichten zufolge bislang keine Anhaltspunkte für eine Verbindung zu den anderen Fällen. (mit AFP)

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