zum Hauptinhalt
Von oben reingucken ins unterirdische Museum.

© Ma Huisman / Amos Rex

Museumseröffnungen: Europas neue Staunräume

Unter dem Asphalt, über den Dächern, zum Mitmachen und Anschauen. Fünf Museumsbesuche in europäischen Städten, die sich lohnen.

Wo vor ein paar Jahren noch ein Busbahnhof war, leer und grau, ein einzelner Baum und ein turmartiger Schornstein in der Mitte, erheben sich heute künstliche Hügel. Bis zu fünf Meter hoch ragen sie aus dem Boden. Großstadtspielplatz mitten in Helsinki. Keine Regeln. Alles erlaubt. Gerade packen zwei Jungs mit Basecap ihr Skateboard aus. Das Paar neben ihnen kriegt davon nichts mit, knutscht lieber. Ein kleines Mädchen klettert, rutscht ab, versucht erneut den für sie recht großen Gipfel zu erklimmen. Oben krönen bullaugenartige Fenster mit einem Durchmesser von drei Metern die Kuppe. Wer es rauf schafft, kann durch sie hinunter gucken. In das Ende August eröffnete Museum Amos Rex.

Fünf Jahre Bauzeit, 50 Millionen Euro, finanziert allein aus Privatgeldern. Der vom einheimischen Architektenbüro JKMM gestaltete Komplex, in dem wechselnde Ausstellungen zeitgenössische sowie klassische und moderne Kunst des 20. Jahrhunderts zeigen, wurde von der BBC gerade zu einem der innovativsten Museumsbauten Europas gekürt. Die 2200 Quadratmeter großen Räume befinden sich gänzlich unter der Erde, die Bullaugenhügel dienen als Lichtquelle. Lobby, Kartenverkauf und Shop wurden in den nebenan liegenden Lasipalatsi integriert, ein ehemaliges Bürogebäude mit Glasfassade aus dem Jahr 1936, errichtet im funktionalistischen Stil, heute denkmalgeschützt. Das alte Kino „Bio Rex“, das seit jeher hier seinen Platz hatte und als Namenspate des Museums dient, ist geblieben.

Alt mischt sich mit neu. Museum mit Stadtalltag. Das überirdische, frei zugängliche Abenteuerland soll Menschen ins Unterirdische locken. So die Idee. Und unten geht das Erlebnis weiter. „Kunst war immer etwas, das an der Wand hing und respektvoll betrachtet wurde. Heute ist es interaktiv und kommunikativ“, sagt Museumsdirektor Kai Kartio. Jetzt also runter!

Einer von fünf Räumen wird zum neonbunten Digitaldschungel. Stehen die Menschen regungslos auf der Stelle, wachsen um sie herum computeranimierte Blumen. Malen Besucher Tiere, erwecken Scanner sie zum Leben. Auf dem Boden, an der Decke. Erst vor wenigen Sekunden mit Buntstiften geschaffen, erscheint nun ein Frosch auf der Wand – gelber Körper, blaue Beine, rotes Herz in der Mitte – und hüpft sogleich durch den Raum. Hat er Glück, wird er genug Schmetterlinge finden, sie fressen und sich vermehren. Ansonsten wird er selbst gefressen. Die grün-orangefarbene karierte Echse ist nicht weit.

„Massless“ heißt die Eröffnungsausstellung, die noch bis Anfang Januar zu sehen ist und die das japanische Digitalkunstkollektiv teamLab entwickelte. Eine 500-köpfige Gruppe, der neben Künstlern auch Programmierer, Komponisten und Mathematiker angehören. Mit Sensoren, Beamern und Computern haben sie in Helsinkis Untergrund eine kleine Wunderwelt geschaffen. Für die Ausstellung wurde der Raum abgedunkelt. Erst im Flur gelangt man zurück ins gleißende Hell. Der Blick geht nach oben. Da guckt das Mädchen mit großen Augen und winkt. Gipfel geschafft. Ann-Kathrin Hipp

Ankommen: Mit Finnair Direktflug ab Tegel

Ausspannen: Hinter der Uspenski-Kathedrale zu Johan & Nyström gehen, einen Espresso bestellen und mehr über Helsinki herausfinden unter visithelsinki.fi.

MO Museum, Vilnius

Gartenwelt mal anders.
Gartenwelt mal anders.

© MO Museum

Kunstwerke aus der Sowjetära, die zur Zeit ihrer Entstehung als ideologisch unbequem galten, zeigt das Modernaus Menos Centras, kurz MO, ab dem 18. Oktober in Vilnius. Das vom Architekten Daniel Libeskind (Jüdisches Museum Berlin) entworfene Gebäude versteht sich als Bindeglied zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Die Sammlung beleuchtet den kulturellen und sozialen Wandel des Landes seit den 1960er Jahren. Sie umfasst 226 Künstler und rund 4500 Gemälde, Zeichnungen, Drucke, Skulpturen, Fotografien und Videoarbeiten. Manche Stücke werden zum ersten Mal ausgestellt.

Einige Werke kommen in die Dauerausstellung in der Großen Halle, andere in die halbjährlich rotierenden Wechselausstellungen. Eine breite Treppe verbindet den frei zugänglichen Skulpturengarten mit einer Dachterrasse. Sie ist ebenfalls für alle offen und bietet einen Ausblick über die historische Altstadt der litauischen Hauptstadt. Das Museum hat einen eigenen Buchladen, ein Café und wird von einem multifunktionalen Veranstaltungszentrum mit zwei Ausstellungshallen ergänzt. Daniela Prugger

Ankommen: Nonstopflug mit Air Baltic von Tegel

Ausspannen: In Richtung Altstadt bei Lokys (Stikliu gatve 8) die Vergangenheit verdauen. Das Restaurant in einem Keller aus dem 16. Jahrhundert ist für seine Wildgerichte berühmt.

Lumen, Kronplatz

Hoch über Bruneck in Südtirol thront bereits ein spektakulärer Betonbau auf einem Gipfel, das von Reinhold Messner gegründete Messner Mountain Museum. In Sichtweite eröffnet nun eine Art viergeschossige Architektenhütte mit Spitzdach. Früher stand an selbiger Stelle die Bergstation, jetzt soll das Tiroler Archiv für Fotografie in das neue Gebäude einziehen. Das klingt natürlich etwas sperrig für Vergnügungssuchende, also hat man sich des lateinischen Worts für Licht bedient: Lumen. Davon braucht man bekanntlich etwas für ein gutes Foto.

Das Museum rückt die Bergfotografie in den Mittelpunkt seiner Ausstellung, thematisch unterteilt in die Bereiche Alpinismus, Natur und Kultur. Die Geschichte der Bergfotografie berücksichtigen die Macher genauso wie Fotokunst aus aller Welt. Dabei helfen Kooperationen mit der Zeitschrift „National Geographic“, die jährlich Sonder- und Wechselausstellungen kuratieren wird. Am 7. Januar 2019 eröffnet das Lumen auf dem 2275 Meter hohen Kronplatz. Ulf Lippitz

Ankommen: Mit dem Flugzeug bis Innsbruck, dann in die Bahn nach Bruneck umsteigen

Ausspannen: Die Aussicht ins Pustertal vom hauseigenen Restaurant genießen. Hier bereitet der Südtiroler Sternekoch Norbert Niederkofler Regionalküche unter dem Motto „Cook the Mountain“ zu.

Palazzo Merulana, Rom

Hineinspaziert.
Hineinspaziert.

© Andrew Milligan / dpa

Als der Palazzo im Frühjahr dieses Jahres eröffnete, sorgte die Ausstellung gleich für eine Kontroverse. In dem umgebauten Palast aus dem 19. Jahrhundert, wo früher das Gesundheitsamt saß, sind nun Werke der Fondazione Cerasi zu sehen: italienische Kunst aus den 1920er und 1930er Jahren. Rechtsextreme Organisationen jubelten, dass nun endlich „faschistische“ Künstler eine Würdigung erhielten.

Die Mitkuratorin des Museums, Francesca Villanti, erwiderte, dass es sich um eine Schau expressionistischer Malerei und Bildhauerei handle. Zwar hätten einzelne Künstler Mussolini politisch nahe gestanden, andere hielten jedoch Abstand zu ihm oder waren erklärte Antifaschisten. Schautafeln weisen die Besucher darauf hin. So stehen Befürworter wie Mario Sironi neben Gegnern wie Mario Mafia. Zur Künstlergruppe „Via Cavour“, die sich in einer Wohnung um die Ecke traf und deren Künstler im Palazzo gezeigt werden, gehörte auch der Maler Giorgio de Chirico. Für das Museum gilt der Grundsatz jeglicher Kunstbetrachtung: Gehirn einschalten nicht vergessen. Ulf Lippitz

Ankommen: Mit Easyjet und Ryanair ab Schönefeld

Ausspannen: Spaziergang ins Trendviertel Monti (20 Minuten) und an der Piazza della Madonna dei Monti in einem der Cafés über Kunst diskutieren.

Fondation Carmignac, Porquerolles

Blick ins Grüne.
Blick ins Grüne.

© Marc Domage

Um zur Stiftung zu gelangen, müssen Besucher seefest sein. Von La Tour Fondue, einer Halbinsel zwischen Marseille und Saint-Tropez, fahren sie 20 Minuten mit dem Boot hinüber auf die Insel Porquerolles, spazieren an Olivenhainen entlang, bis sie im Hinterland vor einem umgebauten provenzalischen Bauernhaus stehen: der Fondation Carmignac. Charles Carmignac stellt dort seit Juni die Kunstsammlung seines Vaters aus, Werke aus der Nachkriegszeit, darunter Schwergewichte wie Andy Warhol, Jean-Michel Basquiat und Maurizio Catellan.

Durch die Räume gehen Besucher barfuß auf kühlem Stein, im 15 Hektar großen Garten dürfen sie die Schuhe wieder anziehen und Skulpturen bewundern. Künstler aus der ganzen Welt verbrachten Zeit auf der Insel und haben sich von ihr inspirieren lassen – unter anderem der in Berlin lebende Jeppe Hein. Jede halbe Stunde werden maximal 50 Besucher hineingelassen, damit dem Museum nicht das Schicksal des Louvres ereilt: überwältigend zwar, aber auch überfüllt. Daniela Prugger

Ankommen: Mit Easyjet direkt nach Marseille (nächster Flughafen)
Ausspannen: Ganz einfach an den Sandstrand der Insel gehen, den Plage Notre Dame, und sich am azurblauen Wasser berauschen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false