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Die bunten Balkone gehören zu den Wahrzeichen von Valletta, der Hauptstadt von Malta.

© With Lai

Mittelmeerurlaub auf Malta: Wie die Maltesen ihre Identität finden

Arme-Leute-Essen im Sternerestaurant und von der Natur inspirierte Mode? Lange undenkbar auf der Mittelmeerinsel. Nun erinnert man sich hier seiner Traditionen.

Aus der Luft sieht Malta wie ein Flickenteppich auf einem Kalksteinfelsen aus. Weiße Gemäuer ducken sich an karge Erde, dutzende Kirchenkuppeln erheben sich aus dem dicht besiedelten Land, und drumherum wütet das Mittelmeer. An klaren Tagen sieht man Sizilien, an windigen bringt der Sturm Sand aus der Sahara mit.

Die isolierte Lage zwischen Europa und Afrika führte zu manchen Eigenarten. Eine arabisch klingende Sprache, die in lateinischen Buchstaben geschrieben wird. Eine liberale Wirtschaftsnation mit einer ultrakatholischen Gesellschaft. Die Homo-Ehe ist erlaubt, Abtreibungen sind in jedem Fall verboten. Was gehört zu uns? Darüber streiten die Malteser gern.

Kaninchen, Silber und Wein

Die Identität zu finden, das ist gar nicht so einfach. Lange Zeit regierten Ausländer: Phönizier, Römer, Araber. Sie alle brachten Ideen und Umstürze mit sich. Im Mittelalter kamen die Kreuzritter, vertrieben von Napoleons Armee Ende des 18. Jahrhunderts, die wiederum kurz darauf von den Briten verjagt wurde.

Erst seit 1965 hat Malta die Unabhängigkeit und kämpft ein bisschen damit, was nun maltesisch bedeutet. Die sehr verkürzte Antwort: Kaninchen, Silber und Wein.

Kann man daraus eine Identität kristallisieren? Jonathan Brincat ist es gelungen, wenigstens mit einem Teil davon. Brincat – oder Noni, wie ihn seine Freunde nennen und auch sein Restaurant heißt – kocht in der Hauptstadt Valletta moderne maltesische Küche. Das heißt vor allem: keine britischen Eigenheiten mehr, keine Chips, also Pommes Frites, zu jedem Gericht. Sondern Ziegenkäse, Blutorangen und eben Mümmelmann.

Sternekoch Jonathan Brincat (Mitte) und seine Crew im Restaurant Noni.
Sternekoch Jonathan Brincat (Mitte) und seine Crew im Restaurant Noni.

© Brian Grech

Brincat steht in seiner Küche, einige Meter unter der Erde, das Restaurant befindet sich im Untergeschoss eines Palazzo. Der Koch ist gekleidet im weißen Küchen-Ornat, trägt eine buschige Haarpracht am Kinn und keine auf dem Kopf. Er erzählt vom Arme-Leute-Essen Kaninchenragout, das früher allgegenwärtig war, jedoch in keinem gehobenen Restaurant serviert wurde. „Die Leute sagten, wieso soll ich ein Lokal gehen, das dieselben Gerichte wie zu Hause kocht?“

Heute ist es gerade dieses Essen, weswegen die Menschen kommen. Brincat hat das Fleisch zart zubereitet, es schmeckt ein wenig wie Hühnchen. Für seine Aufwertung der lokalen Küche hat er im Januar seinen ersten Michelin-Stern erhalten. Im Noni sitzen nun Englisch sprechende Touristen und Einheimische. Der Kellner misst vor dem Eintritt die Temperatur, sicher ist sicher in diesen pandemischen Zeiten.

Sieht nicht gut aus, schmeckt hervorragend

Jonathan Brincat schwärmt von den örtlichen Tomaten, die – er sucht nach einem dramatischen Vergleich, der die Intensität beschreibt – „wie ein Sonnenaufgang“ sind. Und die übrigens auch einer der Gründe waren, warum er aufgehört hat, in Londoner Spitzenrestaurants zu kochen. Der Geschmack auf der britischen reichte nie an die Erinnerungen von der heimischen Insel heran.

Oder die saftigen Feigen! Er kramt eine Frucht hervor, ein runzliges lilafarbenes Etwas, beißt hinein und strahlt. „Sieht nicht gut aus, schmeckt aber hervorragend.“ Wie könnte man die Küche des Landes besser auf einen Punkt bringen?

Zwei Straßenecken weiter, direkt am St. George’s Square – wo auch der größte Palazzo der Stadt liegt, der Großmeisterpalast – arbeitet Ron van Maarschalkerweerd daran, dass sein Geschäft tipptopp aussieht. Legt Hemden zusammen, streicht über Hosen. Zusammen mit seinem Partner Charles entwirft der 49-Jährige Mode – hochwertige Designs für Frauen und Männer.

Zwei Mal im Jahr zeigt Charles & Ron, so heißt das Label der beiden, die neue Kollektion auf der New Yorker Fashion Week. Wenn nicht gerade Corona alle Pläne über den Haufen wirft.

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Ron ist ein hochgewachsener Niederländer, der seit 28 Jahren auf Malta lebt. Er erzählt, wie die Maltesen früher einen großen Minderwertigkeitskomplex mit sich herumtrugen. „Die britische Kultur galt immer automatisch als besser als die eigene“, sagt er. Die Einheimischen schauten nach London oder Mailand, wenn es um Trends ging. Dass man sich von heimischen Dingen inspirieren ließ, war undenkbar.

Genau das tun die zwei Modeschöpfer. Sie holen sich Impulse aus der Geschichte und der Architektur des Landes, studieren die Pastellfarben auf der Nachbarinsel Gozo (die zu Malta gehört) und entwerfen daraus gelb-lila „Mismatches“, wie Ron sagt. Sie bewundern die alten Balkone in Valletta, die wie kleine Wintergärten in Grün, Rot oder Blau an den Fassaden kleben, und drucken sie als Motive auf Kleider.

Verspielte Fliesenmuster

Die Balkone sind das beliebteste Fotomotiv für Reisende. Früher dienten sie einem sozialen Zweck. Die Frauen der Adeligen durften allein nicht das Haus verlassen, von Balkon zu Balkon unterhielten sie sich, stickten dabei und sandten einander Nachrichten. Davon erzählen nun die Kleider: von ein bisschen Ermächtigung in einer Zeit der Unterdrückung.

Bis heute zieren Palazzi die Gassen der Hauptstadt Valletta, die etwa halb so klein ist wie der Tiergarten. Rauf und runter führen die Straßen, das kann in der Mittagssonne ganz schön schlauchen. Die Mächtigen von Malta wollten mit ihren Wohnsitzen prahlen, die Handwerkskunst der Erbauer zeugt von einer langer Tradition. Filigrane Figuren aus robustem Stein grüßen am Eingang, mächtige Säulen, und oft kühlen verspielte Fliesenmuster das sonnengetränkte Schuhwerk.

Robert Lia vor einer Wand mit typischen Malteser Kacheln aus seiner Werkstatt.
Robert Lia vor einer Wand mit typischen Malteser Kacheln aus seiner Werkstatt.

© Ulf Lippitz

Diese oft teppichgroßen Ensembles hat möglicherweise Robert Lia gelegt. Der 44-Jährige arbeitet seit 30 Jahren auf Baustellen, zuerst als Steinmetz, jetzt auch als Fliesendekorateur für altertümliche Muster. Er wartet in seiner Werkstatt in Fgura, etwa 20 Minuten Autofahrt entfernt von der Hauptstadt, trägt kurze Hosen, verstaubte Sneakers und ein gelbes Polo-Shirt mit dem Aufdruck „Malta Tiles“.

So heißt seine Firma, sie ist spezialisiert auf handgefertigte Quader, meist 20 mal 20 Zentimeter groß, die aneinandergereiht ein riesiges hypnotisches Widerholungsmuster ergeben.

Eingeführt haben die Fliesen französische Baumeister im 16. Jahrhundert, um die Paläste der Ritter und Adligen zu schmücken. Holz war rar auf der Insel, die Kacheln konnte man aus dem Staub des verbauten Marmors produzieren. Im Grunde macht es Robert Lia noch heute so, nur baut niemand mehr mit Marmor, also muss er den Staub aus Italien einführen, ihn in drei Schritten bearbeiten, die Muster darauf malen, trocknen und die kleinen Platten festpressen. Drei Wochen trocknen diese, bevor sie verarbeitet werden.

Lia holt eine kleine Kachel aus der Tasche, die er bald in Souvenirshops verkaufen will. Darauf ist das bekannteste Logo des Landes zu sehen: das Malteser Kreuz mit acht Spitzen. Vielleicht nicht erfunden auf der Insel, aber seit dem Mittelalter deren Corporate Identity. Die Kachel für Touristen ist ein Versuch, neue Geschäftsfelder zu erschließen. Seit Corona sind die Aufträge eingebrochen.

Straße in Valletta, die mit Glasbläserkunst geschmückt ist.
Straße in Valletta, die mit Glasbläserkunst geschmückt ist.

© Ulf Lippitz

Ach, das Virus. Viele Maltesen verzweifeln. Im Frühjahr war das Eiland komplett abgeschirmt, kein Schiff oder Flugzeug kam hinein. Dann öffneten die Behörden die Insel für Urlauber, es gab im Juli nur noch vier aktive Fälle auf Malta, doch plötzlich schossen die Zahlen wieder nach oben – denn die Behörden hatten auch Bars und Clubs gestattet, ihre Partys zu veranstalten.

Nun haben sich die Zahlen etwas stabilisiert, der Mittelmeerstaat steht nicht auf der Risikoliste des RKI, doch von einer Normalität im Reisegeschäft ist man weit entfernt.

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Das ist schlecht für die Wirtschaft. Sie hängt vom Tourismus ab. Wenn keine drei Kreuzschiffe im Hafen von Valletta liegen, nur wenige Pauschalreisende kommen, freuen sich die Spaziergänger und Romantiker aus den Boutiquehotels, doch die Insulaner trifft es ins Mark.

Eine Kutsche für Gaddafi

So wie Maurice Borg, 69 Jahre alt, Silberschmied und pensioniert. Eigentlich. Nun muss er das Familiengeschäft in Valletta wieder übernehmen, solange sein Sohn woanders Geld verdient, damit die Familie über die Runde kommt. Der hat eine Stelle als Lieferfahrer gefunden, „und er hasst den Job“, sagt sein Vater.

Zu den Borgs kommen in einem guten Sommer Touristen aus allen Ländern, lassen sich aus den feinen Silberfäden Anhänger oder Broschen anfertigen, eine Handwerkskunst, die es seit dem Mittelalter gibt. Damals wurden für die feinen Damen ganze Spitzengebilde aus Silberfäden entworfen, auch Deko-Objekte für den Haushalt. Borg erzählt stolz, dass in den 80er Jahren Gaddafi eine Kutsche aus Silber von ihm gekauft habe. Libyen ist einer der Seenachbarn der Insel.

Auf dem Weingut Marsowin genießen Besucher eine Weinprobe am Abend.
Auf dem Weingut Marsowin genießen Besucher eine Weinprobe am Abend.

© Ulf Lippitz

Malta will erwachen, kann aber im Moment nicht. Den Tourismus quält der Corona-Kater. Da hilft nur ein Schluck vom ältesten Gewerbe der Insel – dem Weinanbau. Ein Glas von der Gellewza-Traube, und Valletta strahlt am Abend für alle in den Goldfarben, wie es die Sonne bei ihrem Abschied vorgesehen hat.

Reisetipps für Malta

Hinkommen: Air Malta fliegt drei Mal pro Woche von Berlin auf die Insel. Tickets in der Economy kosten ab 205 Euro hin und zurück.
Unterkommen: Im 66 St. Paul’s, einem umgebauten Palazzo, kann man zentral entspannen, Doppelzimmer ab 106 Euro pro Nacht. Infos unter 66saintpaulsmalta.com.
Rumkommen: Eine Weinprobe auf dem Gut Marsowin lohnt sich, spektakuläre Sonnenuntergänge inklusive, marsovin.com. Die Reise wurde unterstützt von Visit Malta.

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