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Krawatte richten, weitermachen? Merz ist wie auch Lindner und Somuncu für Aussagen kritisiert wurden, die als gestrig gelten.

© Christoph Soeder/dpa

Merz, Lindner, Somuncu: Mann, wo ist das Problem?

Sexistische Witze und homophobe Unterstellungen als Rückzugsgefechte? Der Weg zur Gleichberechtigung aller ist lang, aber er hat begonnen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Ariane Bemmer

Es war eine ungewöhnliche Häufung, und sie wirft die Frage auf, wie es um die Männer bestellt ist. Was ist los? Ist etwas los? Innerhalb weniger Tage fielen drei von ihnen – der Komiker Serdar Somuncu, FDP-Chef Christian Lindner und der CDU-Politiker Friedrich Merz – mit öffentlichen Aussagen auf, die als sexistisch und homophob kritisiert wurden; als aus der Zeit gefallene Provokation, als klägliche Versuche, sich dem Bedeutungsverlust des Heteronormativen entgegenzustemmen.

Die Empörung war groß, die rhetorische Frage hieß: Ist die Gesellschaft nicht längst viel weiter? Und, ist sie es? Einerseits ja, andererseits nein.

Einerseits füllen Forderungen nach einem Ende des Mannseins die Zeitungen, andererseits gab es für die machohaften Provokationen auch Beifall: Lindner ist als Parteichef unangefochten, seine Anzüglichkeit auf dem Parteitag wurde beifällig bekichert, Merz möchte Bundeskanzler werden, auch Somuncu hat Fans, die Kritik an seinen Frauenbeschimpfungen als mimosig abtun.

Wie groß die so unterschiedlich denkenden Gruppen sind, ist nicht ganz klar. Die politischen Verhältnisse lassen den Schluss zu, dass sie sich die Waage halten. Und so müsste die Frage nach der Verortung der Gesellschaft vielleicht anders lauten und auch sagen, auf welchem Weg überhaupt die Gesellschaft weiter sein sollte.

Der Druck auf die traditionellen Männerbilder ist gewachsen

Die Progressiven wollen voran ins freie, faire, fürsorgliche Miteinander, die Konservativen halten fest an Tradition und Hierarchie. Die einen fordern bereits die Aufhebung sämtlicher Geschlechtszuschreibungen, da haben die anderen noch nicht wirklich verstanden, was verkehrt daran sein soll, Frauen hinterherzupfeifen.

Sich gegenseitig zu beschimpfen, als gestrig oder durchgedreht abzutun, ist schnell gemacht, bringt in der Sache aber nichts. In der Sache geht es nicht ohne Kommunikation und Überzeugungsarbeit. Es geht ums Mitnehmen. Alles andere führt nur zur Verhärtung von Fronten und treibt so letztlich die Gesellschaft auf den Stillstand zu.

Der Druck auf die traditionellen Männerbilder ist in den vergangenen Jahren schnell gewachsen. Immer mehr daran galt plötzlich als falsch, was eben noch erfolgversprechendes Rollenmodell war, stand nun im Feuer. Aber Zeit, das als Verbesserung zu verinnerlichen, blieb nicht.

Bis die Gleichberechtigung von allen verinnerlicht ist, wird es noch eine Weile dauern

Entsprechend hohl und angelernt wirkten die nachgeschobenen Entschuldigungen und Erläuterungen von Lindner & Co. Wie Dekodecken, die über einen hässlichen Fleck gezogen werden, der nun wieder unsichtbar ist, ohne weg zu sein.

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Dennoch könnte man die Dekodecke einen Fortschritt nennen. Sie zeigt, dass das Ziel der Gleichberechtigung aller ziemlich unangefochten dasteht. Jedenfalls, was die intellektuelle Beschäftigung mit dem Thema angeht. Bis sie von allen völlig verinnerlicht ist, wird es noch eine Weile dauern.

Vielleicht wird die Generation, die heute im Kleinkindalter ist, in ihrer Erwachsenenzeit mal amüsiert zurückschauen darauf, wie noch im Jahr 2020 – gar nicht so lange her dann – Männer über alles gesprochen haben, was nicht war wie sie.

So wie es heute unglaublich erscheint, dass bis 1977 Frauen nur arbeiten durften, wenn sie darüber den Haushalt nicht vernachlässigten. Wie unmodern, wie unverschämt, wie unangemessen, wie falsch! Ein Weg ist also eingeschlagen. Stetig weitergehen, lautet die Devise. Und öfter mal umschauen, wo die anderen sind.

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