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Mittelalterlicher Hobbydetektiv: Pablo Molinero in „Die Pest“.

© SkyVision/Movistar

Zweite Staffel von "Die Pest": Spürbare Lust am Grauen

In der Sky-Serie „Die Pest“ wird das Sevilla des Jahres 1597 in drastischer Weise reanimiert. An einigen Stellen wäre weniger mehr gewesen.

Von wegen Wiedergeburt! Wer denkt, das Ende des Mittelalters vor 500 Jahren habe mit dem Beginn der Renaissance Licht ins Dunkel okzidentaler Geistesverachtung gebracht, täuscht sich – oder sieht nicht genug fern. Sittengemälde großer Dynastien von „Tudors“ über „Medici“ bis „Borgia“ beleuchten den Übergang in die Neuzeit schließlich mit opulentem Ausstattungsfuror, der die Gesellschaften rings um Höfe und Kirchen als irdisches Inferno zeigt. Ab Mittwoch wieder dabei im Rennen um eine Authentizität, die förmlich vorm Bildschirm stinkt: „Die Pest“ [zweite Staffel, ab Mittwoch bei Sky].

Mitte 2018 hatte sich Sky den Quotenhit aus Spanien gesichert. Nun beginnt dort die zweite Staffel. Und da kann von Wiedergeburt erneut keine Rede sein, im Gegenteil. Das sechsteilige Actionmelodram um den renitenten Buchdrucker Mateo Núñez (Pablo Molinero) aus Sevilla, der sich als Hobbydetektiv mysteriöser Todesfälle vor Strafverfolgung durch die Obrigkeit schützt und nebenbei das Kind seines toten Kumpels sucht, handelt hauptsächlich vom Tod – unablässig, explizit, brutal. Genau damit hat der Plot die Zuschauer schließlich so fasziniert, dass Movistar+ eine Fortsetzung des Geschichtsthrillers in Auftrag gegeben hat, die ähnlich drastisch geraten ist, vor allem aber ähnlich teuer.

Die zehn Millionen Euro der ersten Staffel wurden auch diesmal erreicht, um das Sevilla des ausgehenden 16. Jahrhunderts akkurat in Szene zu setzen. In aller Ausstattungssorgfalt kriegt es der Exsoldat Mateo zwischen Hunger und Tyrannei, Inquisition und Ketzerei sechs Episoden lang mit Organisierter Kriminalität anno 1597 zu tun. Weil Sky gewohnt geizig mit Ansichtsmaterial ist, kann man dazu zwar weder inhaltlich noch ästhetisch allzu viel sagen; es suggeriert jedoch eine Lust am Verderben, die seit der Adaption von Umberto Ecos Mönchskrimi „Der Name der Rose“ State of the Art vormoderner Historisierungen ist.

Historisch verbriefte Grausamkeiten

War es 1986 ein – zumindest dem Mainstream wenig bekanntes – Gebräu aus Elend und Willkür, weltlicher und kirchlicher Barbarei, das die Ivanhoe-Ära ins Kinoarchiv verbannte, begann bald darauf ein Überbietungswettbewerb historisch verbriefter Grausamkeiten, der in Mel Gibsons Kreuzigungsgemetzel „Die Passion Christi“ seinen vorläufigen Höhepunkt fand. In dieser Tradition begräbt Alberto Rodríguez Liberto gewissermaßen auch sein Bakteriengemetzel unter Bergen verwesender Leichen im bildhaft stinkenden Moloch Sevilla.

Mit spürbarer Lust am Grauen stapelt der Regisseur nach den Büchern von Rafael Cobos und Fran Raújo abermals menschliche Kadaver und inszeniert die Überlebenden ringsum genüsslich als Aas in spe. Wie voriges Jahr geht es in „Die Pest“ zwar auch um soziokulturelle Fragen; die aufklärungsbedingte Entzweiung von Politik und Religion wird ebenso gestreift wie Kinderarbeit, Misogynie, das aufkeimende Bürgertum oder Anfänge von Empathie jenseits kirchlicher Almosen. Über allem aber wütet sichtbar die Nemesis körperlicher, moralischer, seelischer Verwahrlosung, von der sich die Renaissance noch längst nicht befreien konnte.

Umso deprimierender ist es, dass Liberto wie so viele seiner Kollegen dem Wanderhurensyndrom erliegt und das Spätmittelalter auf dem Weg in die Neuzeit bei aller Radikalität gern mal zu einer Art Zukunftsvergangenheit macht. Nicht nur, dass die Sprache der Protagonisten regelmäßig dem Tonfall sozialer Medien von heute gleicht; das Leben in Sevillas Mangelwirtschaftskloake bringt auch noch massenhaft bildhübsche Models beiderlei Geschlechts mit makellosem Gebiss hervor, deren Haut im trüben Tageslicht strahlt wie frisch aus der Nachtcreme-Reklame.

Jan Freitag

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