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Farbenfroher Frontalangriff. Eva Schulz setzt mit ihrer Sendung „Deutschland3000“ auf jugendliche Themen und eine bunte Aufmachung.

© rbb/Alex Janetzko

Zwei Jahre "Funk": „Auch dafür hast du bezahlt!“

„Guckst du ,Deutschland3000‘?": Das öffentlich-rechtliche Jugendprogramm „Funk“ wird zwei Jahre alt. Und will die TV-Welt reformieren.

Von Markus Lücker

Schnell war der Spott in sozialen Medien da, als Bayerns Ministerpräsident Markus Söder angekündigte, er wolle mit „Bavaria One“ die Raumfahrtwirtschaft in sein Bundesland holen. Doch statt in die Häme ihrer Altersgenossen auf Twitter einzusteigen, schlüpfte Moderatorin Eva Schulz in einen Astronautenanzug. Sie stellte sich in ihr Produktionsstudio in Friedrichshain vor einen Greenscreen, ließ die Kamera laufen und sagte vor einer ins Bild montierten Marslandschaft: „Alle greifen nach den Sternen. Nur Deutschland zündet nicht.“ Hinter ihr steigen derweil mit sausendem Geräusch kleine Cartoon-Raketen auf.

Sie spricht über Großinvestoren und wie fehlende Weltraumgesetze in Deutschland die Wirtschaft hemmen. Die Hintergründe hat Eva Schulz mit ihrem Redaktionsteam recherchiert. Jede Woche präsentiert sich die 28-Jährige so für ihren Online-Videokanal „Deutschland3000“. Mal zum Thema Jugendliche und Hartz IV. Mal führt sie Stasi-Opfer und Social-Media-Nutzer zusammen, um sich über Facebook auszutauschen. Das Projekt betreibt sie im Auftrag von „Funk“ – das Netzangebot von ARD und ZDF für jene Zielgruppe zwischen 14 und 29, die sich ihrem Ruf nach eher für Schminktipps auf YouTube interessiert und nicht für Bundestagsdebatten zur Pflegesituation. „Was übrigens Unsinn ist. Wir haben mit unserem Video zum Thema Pflege zwei Millionen Menschen erreicht“, betont Schulz.

Gerade erst hat „Funk“ sein zweijähriges Bestehen gefeiert. Zum 60 Formate umfassenden Angebot gehören neben politischen Sendungen wie „Deutschland3000“ die zweimal mit dem Grimme Online Award ausgezeichnete Wissenssendung „MaiLab“ und die hausintern produzierte Serie „Wishlist“ über eine App, die Wünsche erfüllt. Ausgespielt wird ausschließlich über das Internet, vorrangig über Drittanbieterplattformen wie YouTube. Im Oktober 2016 machten die Öffentlich-Rechtlichen dafür ein jährliches Budget von 45 Millionen Euro frei. ZDF Kultur und EinsPlus wurden eingestellt.

Das Millionenbudget bringt das Netzwerk immer wieder in Rechtfertigungszwänge. Auch, weil sich der Publikumszuspruch kaum zufriedenstellend interpretieren lässt. Laut von „Funk“ veröffentlichten Zahlen kennen rund 66 Prozent der 14- bis 29-Jährigen „Funk“ oder mindestens ein „Funk“-Format. Das lässt jedoch noch keine Schlüsse darauf zu, ob ein Kanalangebot tatsächlich auch als öffentlich-rechtlich wahrgenommen wird oder wie intensiv die Formate geschaut werden – ob etwa nur eine einzige, durch virale Verbreitung besonders erfolgreiche Episode gesehen wurde oder User regelmäßiger Zuschauer und Fans sind.

Fast 1,5 Milliarden mal seien Videos über YouTube und Facebook seit Netzwerkgründung aufgerufen worden. Die Aufrufzahlen, je nach Kanal, schwanken deutlich, häufig in Richtung der Unterhaltungsprogramme, auch wenn die Infoprogramme aufholen. Auch lässt die Intransparenz der Drittanbieterplattform für Außenstehende kaum Analysen darüber zu, ob ein Video tatsächlich in voller Länge angeschaut oder nur angeklickt und dann sofort wieder abgebrochen wurde. Und besteht das „Funk“-Publikum am Ende nicht doch nur aus Akademikerkindern aus der Großstadt?

Angebote auf Augenhöhe

Als im September der 22-jährige Markus B. in Köthen verstarb und sich Anwohner in den Straßen unter rechtsextremen Parolen zu Märschen versammelten, waren es fast ausschließlich soziale Medien, über die sich die Jugendlichen der Kleinstadt informierten. Auf Facebook kursierten gefälschte Fotos des Toten. Rechte streuten ausländerfeindliche Grafiken. Gerade auch diese Teenager mit konservativen und rechten Überzeugungen zu erreichen sei ein aktuell wichtiges Thema für das Netzwerk, sagt Florian Hager, Programmgeschäftsführer bei „Funk“.

In Zukunft sollen dazu neue Formate entstehen. Da gehe es auch darum, Personen zu finden, die konservative Perspektiven glaubwürdig vermitteln können. Für Hager sind die Videos und ihre Produzenten aber sowieso nur ein Teilaspekt. „Die eigentliche Meinungsbildung erfolgt in der Auseinandersetzung mit unseren Inhalten, die findet in den Kommentarspalten statt. Diese gehören bei ,Funk‘ genauso zu einem Format wie die Videos,“ sagt der 42-Jährige.

Für Eva Schulz war das die Überraschung: dass die Debattenkultur auf Facebook doch nicht so kaputt ist, wie sie es immer befürchtet hatte. Dafür stehen ihr allerdings auch drei Kollegen zur Seite, die Diskussionen in den sozialen Medien betreuen. Ihre eigene Arbeit bei „Funk“ ist für Schulz eine Investition in die Zukunft. Es geht um die Legitimierung des öffentlich-rechtlichen Systems vor den nachfolgenden Generationen. Wenn sie ein 20-Jähriger frage, warum er Rundfunkgebühren für das auf den Hauptsendern übliche Rentnerprogramm bezahlen sollte, könnte sie nun antworten: „Guckst du ,Deutschland3000‘? Auch dafür hast du bezahlt!“

Und es ist der Versuch, digitalen Journalismus für junge Menschen neu zu denken. Nicht als mit schnellen Schnitten und Emojis vollgestopften Konstrukten, sondern als Angebote auf Augenhöhe. Statt dem medialen Patriarchen der „Tagesschau“ spricht die große Schwester. Weil es auch neue Glaubwürdigkeit für die Medien bringe, wenn jemand nahbar und durch Messengerdienste immer erreichbar scheint. Selbst die Politik nimmt da „Funk“ ernster und lädt Eva Schulz auf exklusive Hintergrundgespräche ein.

Das Privatleben macht das komplizierter. Manchmal verbringt die Moderatorin Sonntagabende damit, stundenlang Nachrichten von Zuschauern über Instagram zu beantworten. Sie selbst sei das gewöhnt, „ganz viele von uns Creators stehen aber zum ersten Mal in dieser digitalen Öffentlichkeit.“ Shitstorms seien ihr bislang erspart geblieben, aber die Gefahr schwinge immer mit. Bei anderen Kanälen geht es da drastischer zu. „Funk“ habe ein Netzwerk von Coaches eingerichtet, die bei Stress durch Hassnachrichten helfen können.

Der kleine Jugendsender stehe im ständigen Kontakt mit den anderen Anstalten, als Versuchsfläche. Was funktioniert, werde oft übernommen. Brückenschlagen, nennt das Schulz – von der kleinen Innovationsinsel zurück zur großen, trägen Welt des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Auch wenn es unwahrscheinlich ist, dass Claus Kleber demnächst einen Astronautenanzug trägt.

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