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Der Abschied von "Wetten, dass..?" mit Moderator Markus Lanz.

© dpa

Zu unserem Ärger: Das Beste zum Schluss

Boom der Streamingdienste, Stress beim "Spiegel", Finale von "Wetten, dass..?" - und was war noch? Zehn Tagesspiegel-Autoren schreiben über die Höhe- und Tiefpunkte des zurückliegenden Medienjahrs 2014.

52 Mal wollten wir in diesem Jahr von Prominenten aus den Medien wissen, worüber sie sich geärgert und gefreut haben. Zum Jahresende haben zehn Autoren der Tagesspiegel-Medienseite diese Fragen selbst beantwortet.

Simone Schellhammer

Geärgert: Wir sind dann mal weg

Über die Selbstpulverisierung eines weiteren Großverlags. Nachdem der Jahreszeiten-Verlag 2010 vormachte, wie es geht, ein Verlag ohne schreibende Redakteure zu sein, war 2014 das Jahr, in dem Gruner und Jahr aufhörte, ein Verlag zu sein. Das Unternehmen, das nach wie vor zweistellige Renditen einfährt, hat als letzte Großtat bei „Brigitte“ und „Geo“ alle Textredakteure gefeuert, um den „Content“ künftig nur noch durch ein „agiles Kompetenzteam“ zusammenkaufen zu lassen.
Gefreut: Wenn alles still ist…

Gefreut: Erstens über eine originelle Idee des Journalistenverbandes „Freischreiber“: Weil im Gruner-&-Jahr-Gebäude am Hamburger Baumwall bald gespenstische Stille herrschen wird, schenkte er der dortigen Führungscrew zu Weihnachten die CD „Redaktionsgeräusche Vol. 1“. Zweitens über den „Tatort : Im Schmerz geboren“ mit Ulrich Tukur. Der Kunstwille, mit dem der HR manchmal danebenliegt, sorgte für eine nie gesehene Kombination aus Leichthaftigkeit, Ernsthaftigkeit und Schönheit.

Aus dem Amt gedrängt: Ex-"Spiegel"-Chefredakteur Wolfgang Büchner.
Aus dem Amt gedrängt: Ex-"Spiegel"-Chefredakteur Wolfgang Büchner.

© dpa

Tatjana Kerschbaumer

Geärgert: Generation Merkel

Dass es beim „Spiegel“ kriselt(e), war klar; aber der unsägliche „Generation Merkel“-Titel schlug dem Fass den Boden aus. Noch schlimmer als die haarsträubende These war der Blick auf die Autorenzeile: Dirk Kurbjuweit, eigentlich brillant, hatte den Text verbrochen. Die Protagonisten wirkten, als hätte Kurbjuweit zur Recherche das Facebook-Netzwerk seiner Kinder durchforstet und daraus besagte „Generation“ rekrutiert. Lieber Herr Kurbjuweit: Wir sind nicht alle so. Danke.
Gefreut: Thorsten Otto goes TV

Wer tolle, tiefgründige Interviews mag, wird Thorsten Otto lieben: Der Moderator des Bayerischen Rundfunks hat 2014 nicht umsonst den Deutschen Radiopreis mit seinem Format „Mensch, Otto!“ gewonnen. Für alle, die keine reinen „Ohrenmenschen“ sind, gibt es Otto mittlerweile auch mit Bild: Im Herbst startete seine TV-Talkshow, die jetzt alle vier Wochen im Bayerischen Fernsehen gezeigt wird (Sonntag, 23 Uhr 15). Thematisch selten Weltpolitisches, dafür Mensch pur.

Thomas Gehringer

Geärgert: Nicht wundern, Stärke zeigen!

Verlage haben lange Zeit mit dem Zeitungsgeschäft viel Geld verdient. Nun reagieren sie auf Auflagenschwund mit Stellenabbau. Dass Regionalzeitungen ihr Tafelsilber verscherbeln, Redaktionen schließen und Lokalseiten von Konkurrenzblättern übernehmen, höhlt die Meinungsvielfalt vor Ort aus. 2014 bei „Münsterscher Zeitung“, „Westdeutscher Zeitung“, „Darmstädter Echo“. Wer sich im digitalen Zeitalter seiner Stärken beraubt, muss sich nicht wundern, wenn er überflüssig wird.
Gefreut: Nicht kämpfen, versöhnen!

„Juden und Araber lehnen es ab, Feinde zu sein“: Während des Gaza-Kriegs im Juli starteten Abraham Gutman, ein jüdischer Student aus New York, und seine syrische Kommilitonin Dania Darwish den Hashtag #JewsAndArabsRefuseToBeEnemies und eine gleichnamige Facebook-Seite. Jüdisch-arabische Paare oder Freunde posteten und twitterten Fotos mit einfachen Botschaften, bis heute wird auf den Seiten über den Konflikt und eine mögliche Versöhnung diskutiert.

Joachim Huber

Geärgert: „Killing Fields“ beim „Spiegel“

Dreierlei: Wenn „heute“ und „Tagesschau“ nicht mehr Nachrichten mit Hintergrund machen, sondern permanent darauf verweisen, wo es Nachrichten mit Hintergrund gibt: bei heute.de und tagesschau.de. Wenn der „Wutbürger“ sich frustriert und als „Frustbürger“ den Medien dafür die Schuld gibt. Wenn „Der Spiegel“ sein „Killing Field“ der abgeschossenen Chefredakteure als Rettung des „Spiegel“-Journalismus feiert und doch nur die Jahrestantieme der Printredaktion sichert.

Gefreut: Ende und Anfang

Netflix et alii: Jetzt strömt mein Zuschauerleben in ganz neuen Bahnen. Freiheit, du heißt jetzt auch Fernsehen. Über das Ende von „Wetten, dass..?“ habe ich mich sehr gefreut. Die ZDF-Show ging gerade noch so rechtzeitig in die TV-Annalen ein, dass ich mich gerne an fast 34 Jahren ZDF-Show erinnere. RTL will jetzt mehr in Journalismus machen, bravo. Bisher: Günter Wallraff undercover, Jenke von Wilmsdorff undercover, „Pegida“-Reporter undercover – Journalismus undercover?

Markus Ehrenberg

Geärgert: Freundliche WG gesucht

1. Über den zu leisen, langsamen Abschied von „Zimmer frei!“. Bald keine WG mehr für Alsmann & Westermann.

2. Über Wildwuchs bei zig „Tatort“-Kommissaren und „Tatort“-Terminen. Wer will noch mal, wer hat noch nicht?

3. Stell’ dir vor, es ist Schach-WM, und keiner guckt hin. Nur ein Beispiel. Stattdessen pflastern ARD und ZDF ihre Tage und Wochenenden weiter mit Wintersport zu, stundenlang.
Gefreut: Emmy-Nominierung: beste Frisur

1.Über die „heute show“. Die wahre Nachrichtensendung. Welke & Co. stellen das Vertrauen in die Medien wieder her.

2. Über „True Detective“ und „Fargo“ (mit der unmöglichen Frisur vom Killer Billy Bob Thornton) – innovatives Erzählfernsehen auf Streamingdiensten wie Sky Go oder Netflix.

3. Über jeden „Polizeiruf“ mit Bukow und König.

Sonja Alvarez

Geärgert: Hass auf die Presse

Entsetzt bin ich über die Pegida-Anhänger und ihr Medienverständnis. „Lügenpresse“ zu brüllen, statt Fragen zu beantworten – das ist der denkbar einfachste Weg, um sich jeder kritischen Auseinandersetzung zu entziehen. Wer aber auf seine Demonstrationsfreiheit pocht, muss die Pressefreiheit gleichermaßen respektieren.

Gefreut: Lust auf 2015

Fantastisch, wie viele spannende Neugründungen es 2014 gegeben hat: das Online-Magazin „Krautreporter“, die Business- und Lifestyleplattform „Edition F“ oder das Recherche-Kollektiv „Correctiv“. Nur drei von zahlreichen Beispielen, die für Begeisterung am Journalismus stehen – und Lust aufs Medienjahr 2015 machen.

(Ringbahn S42) - Bei den Berlinern beliebt, im RBB weniger. Die Ringbahn wurde für eine Ranking-Show abgewertet.
Bei den Berlinern beliebt, im RBB weniger. Die Ringbahn wurde für eine Ranking-Show abgewertet.

© Doris Spiekermann-Klaas

Kurt Sagatz

Geärgert: Ranking-Skandal in ARD & ZDF

„Deutschlands Beste“ im ZDF, „Die schönsten Garten und Parks des Nordens“ im NDR – der Ranking-Skandal hat gezeigt, wie wichtig den öffentlich-rechtlichen Sendern die Meinung ihrer Zuschauer ist. Nicht die Anzahl der abgegebenen Stimmen entschied bei vielen Shows, vielmehr wurde passend gemacht, was nicht passte. Als Konsequenz wird nun jedoch nicht mehr Ehrlichkeit versprochen. Man verzichtet lieber auf Shows, bei denen die Zuschauer entscheiden.
Gefreut: Freude am Spenden

Die Kostenlosmentalität im Internet macht vielen Online-Auftritten schwer zu schaffen, denn allein mit Werbung lassen sich längst nicht alle Inhalte finanzieren. Die hohe Spendenbereitschaft für die Online-Enzyklopädie Wikipedia vor allem in Deutschland lässt jedoch erkennen, dass die Internetnutzer durchaus Angebote fördern, die sie für nützlich und sinnvoll erachten.

Stefanie Kaufmann Dimeski

Geärgert: Holt mich hier raus!

In diesem Jahr blicken wir auf 14 Jahre Casting- und 10 Jahre Realityshows in Deutschland zurück und ich frage mich, wie lange uns die Fernsehanstalten das noch antun wollen. Zickenkrieg und die öffentliche Vorführung von Menschen? Stattdessen sollten sich Sender überlegen, wie ein jüngeres Publikum in Zeiten von Youtube & Co. angesprochen werden kann, ohne flach zu werden. Ein Versuch in die richtige Richtung war das TV-Programm des Senders Joiz. Leider kam nun das viel zu frühe Aus.
Gefreut: Lasst sie rüber!

25 Jahre Mauerfall in diesem Jahr haben auch die Medien bewegt. Ein gelungener Beitrag war die ARD-Tragikkomödie „Bornholmer Straße“ mit Charly Hübner in der Hauptrolle. Dafür gab es einen Bambi und viel Lob. Und per #mauerfall diskutierte die Netzgemeinde das Ereignis.

Die Krautreporter
Die Krautreporter

© Tsp

Matthias Kalle

Geärgert: Tränen in den Augen

Über den Auftritt eines syrischen Flüchtlingschores in der ZDF-„Kabarett“-Sendung „Die Anstalt“. Über den Schnitt ins Publikum, denen die Tränen in den Augen standen. Über diesen unglaublich Zynismus, mit denen die Macher versucht haben, aus Flüchtlingsschicksalen Programm zu machen.

Gefreut: Wut auf Campino

Über die sechsminütige Wut, mit der Jan Böhmermann in seiner Sendung „Neo Magazin“ das angebliche Engagement von Prominenten um Campino für Afrika auseinandergenommen hat. Und darüber, dass das ZDF den Mut hatte, Jan Böhmermann und seine Show ins Hauptprogramm zu holen – noch mehr würde ich mich freuen, wenn seine Show den Sendeplatz der „Anstalt“ bekäme.

Barbara Sichtermann

Geärgert: Tod am Tropf

Am meisten geärgert hat mich im vergehenden Jahr, dass die Programmgewaltigen beim ZDF es nicht geschafft haben, die Show „Wetten, dass...?“ in Würde sterben zu lassen. Immer noch mal ein Versuch mit den falschen Leuten, wo alle wussten: Die Ära ist over. Leider können Shows keine Patientenverfügungen schreiben und sich den Tod am Tropf verbitten.

Gefreut: Auf den Inhalt kommt es an

Am meisten gefreut habe ich mich im zu Ende gehenden Jahr über den Start der „Kraut-Reporter“. Weil das ein Einspruch war gegen das ewige Gezeter, dass im Netz nur Oberfläche Platz finde und die Tiefe bei Print zu Hause sei. Stimmt nicht. Netz, Print, Medien, das sind alles nur Darreichungsformen, auf den Inhalt kommt es an, und dem ist es egal, in welcher Schüssel er schwimmt.

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