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Medien: Zerbrechliches Leben

Michael Schorrs „Schultze gets the blues“ ist ein tragikomischer Heimatfilm aus dem Mansfelder Land

Es ist eines dieser Leben, von denen man manchmal nicht weiß, worin denn eigentlich sein Sinn besteht, seine Bestimmung. Schultze (Horst Krause) ist Bergmann in einer Kaligrube in Sachsen-Anhalt. Jeden Tag geht es mit dem Rad zur Arbeit und dann mit dem Lift runter in den Schacht. Eines Tages werden er und seine zwei Kumpel Jürgen und Manfred in den Ruhestand geschickt. Jetzt habe er ja endlich viel Zeit für alles, bekommt er gesagt.

Aber Zeit wofür eigentlich? Oft sitzt Schultze also mit Jürgen und Manfred in der Stammkneipe am Dreier-Stammtisch. Nichts passiert. Ein Spielautomat wird aufgestellt. Seitdem gibt es eine Geräuschkulisse im leeren tristen Lokal. Oder Lisa, die junge, vorübergehend neue Bedienung tanzt einmal Spanisches auf einem Tisch. Da passiert mal etwas. So viel Zeit. Zuhause sitzt oder liegt der Herr Schultze auf seiner Couch. Kocht. Isst. Trinkt. Liegt. Sitzt. So unendlich viel Zeit jetzt. Und einmal, als er das Radio anmacht und an den alten Knöpfen dreht, da hält er plötzlich inne, bleibt er hängen bei einem Stück aus den amerikanischen Südstaaten. Da holt der Herr Schultze sein Akkordeon hervor, auf dem er alljährlich beim Musikfest der Kleinstadt die schon legendäre Schultze-Polka gibt, und spielt den jazzigen Sound nach. Den gibt es dann unter Protest auch auf dem diesjährigen Musikfest, „Negermusik“ rufen einige, andere klatschen, wenige nur. Und später dann, an Schultzes Geburtstag, da stehen sie vor seinem Häuschen, posaunen und singen und verkünden den ersten Preis des Vereins, eine Reise nach Amerika.

Im Land der unbegrenzten Möglichkeiten, da begibt er sich auf die Suche nach der Musik, zieht durch die Ortschaften, tuckert mit einem kleinen Kahn durch die Sümpfe und Flüsse des Südens. Und lebt vielleicht erstmals bewusst. Ist erstmals ganz bei sich. Als er eines Abends mit seiner neu gewonnenen schwarzen Bekannten tanzt und tanzt und tanzt, da geht es ihm später nicht gut. Da schläft er dann oben auf der Veranda ihres Hauses direkt am Fluss ein. Sie legt behutsam eine Decke über ihn. Und man hört, wie er ein letztes Mal ganz tief ausatmet. Fast befreit. Und dann ist Stille. Horst Krause ist dieser Schultze. Krause, den man etwa an der Seite von Imogen Koggen im „Polizeiruf 110“ sehen kann, ihm wurde diese Rolle von Regisseur und Autor Michael Schorr quasi auf den wohlig runden Leib geschrieben. Und wenn es die eine Rolle des Lebens gibt, der Schultze ist es für den Krause. Schultze, das ist ein Einsamer. Einer, der ein einfaches Leben gelebt hat und dabei das eigentliche Leben verpasst hat. Spät erst holt er nach, was noch nachzuholen bleibt.

Und über allem Abenteuer liegt auch Wehmut. Von dem Unwiederholbaren, von dem Vergänglichen sind auch die klar konturierten Bilder von „Schultze gets the blues“ bestimmt (Kamera: Axel Schneppat). Einmal, da ist von „diesem zerbrechlichen Leben“ die kurze Rede. Genau davon erzählt Michael Schorrs wunderbar poetischer Film, zwischen Schönheit und Schmerz, und so völlig unprätentiös, nüchtern beinahe: von diesem einen Leben, das wir als ewig wähnen, und das doch so sehr fragil und endlich ist.

„Schultze gets the blues“: ZDF, Dienstag, 22 Uhr

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