zum Hauptinhalt
Die YouTuberin „Dagi Bee“ präsentiert im Internet, was sie sich gerade eingekauft hat.

© Tsp

Zehn Jahre Youtube: Zeig’s mir!

Immer bunter, immer bizarrer: Auf YouTube präsentieren User ihre Einkäufe in „Haul“-Videos. Für kritische Konsumentscheidungen bleibt da allerdings kein Raum.

Was braucht es, um ein Star zu sein? Eine Stimme, die acht Oktaven umfasst? Ein Oscar-verdächtiges Schauspieltalent oder viel Geld, um den Platz im Rampenlicht einfach zu kaufen? Manchmal ist es ganz einfach: Eine Kamera, einen Laptop mit Internetzugang, eine volle Einkaufstüte von Billig-Modeketten wie Primark, Forever 21 oder H&M. Für immer mehr YouTuber ist das der Werkzeugkasten zum Erfolg.

„Süß! Megasüß! Cute!“ – wenn die 20-jährige Dagmara aus Düsseldorf als „Dagi Bee“ zu ihren mehr als 1,5 Millionen YouTube-Abonnenten spricht, ist alles irgendwie niedlich. Sie sitzt auf ihrem Bett, vor sich eine prall gefüllte Primark-Tüte. Sie hält T-Shirts und Schmuck in die Kamera und kommentiert die Errungenschaften zu leise plätschernden Gitarrenakkorden. Dagmara produziert regelmäßig solche Videos, sogenannte „Hauls“ (was sich vom englischen Wort für „Beute“ ableitet). Und tatsächlich scheint es oft, als ob Dagmara und andere „Haul“-YouTuber ganze Filialen ausgeraubt hätten. Viel und billig muss es sein. Mit Titeln wie „XXL Haul“, „Mega Haul“ und „Riesen Haul“ buhlen die Filme im Netz um Klicks. Mehr als 13 Millionen wurden allein bei YouTube hochgeladen.

Für kritische Konsumentscheidungen bleibt kein Raum. „Die hab ich mir einfach mitgenommen, weil ich die ganz süß fand“, sagt „Dagi Bee“ zum Kauf von Sandalen für 13 Euro. Auch süß: Ein Kaffeebecher, eine Lichterkette, ein Rucksack, das blütenbesetzte Haarband. Die junge blonde Frau kichert viel, schneidet Grimassen, ist begeistert von den Einhorn-Motiven ihres neuen Schlafanzugs („Sweet!“) und gerät in Ekstase über den „leckeren Geruch“ eines Shampoos.

Die Kommentare unter den Videos sind ähnlich euphorisch: Hunderte Komplimente, Nachfragen und vor allem Liebesbeweise. Dagmara erscheint auf YouTube als potenzielle beste Freundin, aber eigentlich ist sie ein echter Star fast zum Anfassen . „Es gibt keine derartige Asymmetrie wie beim gängigen Star-Kult“, sagt Mediensoziologin Elke Wagner von der Mainzer Johannes-Gutenberg-Universität. Statt Tendenzen zu folgen, die „von oben“ kommen, würden hierbei eigene Trends entwickelt. „Modemagazine spielen kaum noch eine Rolle.“

Seit einiger Zeit gehören Hauls fest zum YouTube–Programm. In den USA entstanden, sind sie nur eine der Video-Spielarten, mit denen YouTuber ihr Publikum persönlich und auf Augenhöhe ansprechen. In „How-to“-Videos flechten sie Zöpfe und backen Kuchen. In anderen Formaten beantworten sie Fragen ihrer Fans („Ask Dagi“), nehmen sie mit durch den Alltag („Follow me around“) und erfüllen Aufgaben in „Challenge“-Videos.

Orientierung für junge Mädchen

Doch in den Videos geht es nicht nur um Selbstdarstellung und Orientierung für junge Mädchen, sie sind auch mächtige Marketinginstrumente. „Derartige Videos sind für unser Beauty- und Fashion-Netzwerk Magnolia von großer Bedeutung“, sagt Thomas Feldmann vom Online-TV-Anbieter Mediakraft. Wie werbewirksam Hauls sein können, zeigt sich in Deutschland vor allem an den Clips zu Produkten der Drogeriemarktkette dm. Sucht man auf der Plattform nach dm-Hauls, bekommt man rund 128 000 Ergebnisse. Auch bei Dagmaras zumeist weiblichen und recht jungen Fans kommt das gut an. Innerhalb von zwei Wochen haben sie den aktuellsten Clip mehr als 900 000 Mal aufgerufen. Zum Vergleich: Den offiziellen dm-Kanal haben nur rund 24 000 User abonniert, das erfolgreichste Video wurde etwa 458 000 Mal geklickt. Darin geht es um fleischlose Ernährung, ein konkretes Produkt wird aber nicht beworben.

„Dagi Bee“ hingegen hält die Cremes und Pinsel direkt in die Kamera, lobt die schönen Verpackungen und die Wirkung gegen Falten, Augenringe, Spliss, Mundgeruch, Pickel – gut gelaunt, mit Blick für die Zielgruppe und authentisch. Eine bessere Werbung kann dm kaum haben. „Es freut uns, dass im Netz über dm-Produkte berichtet und diskutiert wird“, sagt Marketingchef Christoph Werner. Kooperationen mit einzelnen YouTubern bestünden aber nicht. Bisher läuft die Haul-Werbetrommel für dm also von allein. Andere Unternehmen helfen nach, indem sie Gutscheine und Produkte direkt an YouTuber schicken. Manche bezahlen für einen Marken-orientierten Haul oder bieten Erlösbeteiligungen für ein Produkt.

Wie kann ich aus mir selbst Kapital schlagen?

Eine Sprecherin von H&M wollte die Zusammenarbeit mit YouTubern weder bestätigen noch verneinen. Konzerne und YouTuber haben in der Regel kein Interesse daran, ihre gemeinsamen Geschäfte an die große Glocke zu hängen. Manche gesponserten Beiträge sind gekennzeichnet, in anderen Fällen läuft alles unter der Hand. Es ist die große Krux im Geschäft der Blogger, YouTuber und Instagram-Sternchen: Wie kann ich aus mir selbst Kapital schlagen, ohne meine Glaubwürdigkeit und damit die Grundlage meines Erfolgs zu zerstören?

Selbst ohne Firmen-Auftrag verdienen viel geklickte YouTuber oft recht gut (siehe Kasten). Die Ranking-Seite Socialblade schätzt ihr Einkommen anhand von Klicks und Preisen für eingeblendete Werbung. Sind sie besonders erfolgreich, können sie über YouTube-Partnerprogramme pro tausend Klicks einen bestimmten Betrag verdienen. Weil das Unternehmen keine konkreten Summen nennt, lassen sich Verdienste und Einkünfte via YouTube nur schätzen. Dagmara müsste demzufolge monatlich mindestens 3100 Euro im Netz verdienen – oder auch 49 000 Euro. „Dagi Bee“ hat auf Anfragen diesbezüglich nicht geantwortet. Stars sind eben doch viel beschäftigt.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false