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Der Gedanke an Sex lässt Marnie (Charly Clive) nie los. Für die jungen Frau ist das eine große Belastung.

© Sophia Spring/ZDF

ZDFneo-Serie „Pure“: Sex im Kopfkino

In den unpassendsten Momenten Sex im Sinn: In der ZDFneo-Serie „Pure“ muss eine Frau mit ihrer Zwangsstörung fertig werden.

Klar ist das eine Horrorvorstellung. Du richtest eine große Überraschungsparty für deine Eltern aus – und die artet in eine wilde Orgie aus. Alle nackt, jeder treibt es mit jedem, dein Vater macht sich über deine Freundin her, du selber hast Sex mit deiner Mutter. Marnie (Charly Clive) leidet unter einer Zwangsstörung, ständig und stets unpassend muss sie an Sex denken, wird in ihrem Kopfkino Sex praktiziert. Geht nicht anders, was ein Horror.

Voller Scham flieht die 24-Jährige aus ihrem Dorf in Schottland nach London, dort will sie ihren perversen und verstörenden Gedanken entkommen. Die kommen aber mit. Schnell zieht Marnie bei ihrer ehemaligen Schulfreundin Shereen (Kiran Sonia Sawar) ein, schnell findet sie Kontakt zur lesbischen Amber (Niamh Algar), zum attraktiven Joe (Anthony Welsh), zum pornosüchtigen Charlie (Joe Cole), den sie in einer Selbsthilfegruppe für Sex-Addicts kennenlernt. Amber verschafft ihr ein Praktikum in ihrer Redaktion, egal, dass eine Liebesnacht der beiden schiefgelaufen ist. Dort arbeitet auch Joe, kaum bahnt sich etwas an, funkt die Zwangsstörung dazwischen.

[„Pure“, ZDFneo, Freitag, 23 Uhr 40, alle sechs Folgen am Stück; in der ZDF-Mediathek ab Samstag]

„Pure“, eine sechsteilige Dramaserie der BBC, zu sehen nun bei ZDFneo, erschöpft sich nicht in diesem Korridor aus Anziehung und Abstoßung. Die Fiktion, geschrieben von Kirstie Swan nach den Memoiren von Rose Cartwright, will eine ernsthafte Auseinandersetzung sein mit „Pure O“, doch nicht verhandelt auf der medizinischen Schiene, sondern in einer sehr persönlichen Szenerie.

Schon das Umfeld von Marnie zeigt ja an, was für unterschiedlich schwere Päckchen Menschen zu tragen haben. Wenn es peinlich wird für Marnie, weil sie erneut schmutzige Gedanken überfallen, wird es auch lustig – ja, Sex verträgt sich mit Humor –, sie trägt eben dieses Geheimnis mit sich herum, das sie mit niemandem teilen kann außer mit Charlie. Kann ein Pornosüchtiger einer Sexsüchtigen helfen? Und dann steckt ihm seine Chefin die Zunge in den Hals, von Erektionsproblemen ganz zu schweigen.

Immer in Alarmstimmung

In Marnies Perspektive werden Fragen mentaler Gesundheit illuminiert, Lebensrezepte, die Suche nach Hilfe, diese Verzweiflung, wenn „Pure O“ wieder zuschlägt. Marnie ist immer in Alarmstimmung, klar und konfus zugleich. „Pure“ könnte in eine bloße Horrorshow abgleiten – das passiert nicht. Präsentiert wird sensitives wie dunkles, realistisch wie emotional nuanciertes, empathisches wie unsentimentales Fernsehen. Und die Produktion besitzt auch „Coming of age“-Potenzial, denn die versammelten diversen Figuren suchen erkennbar nach Halt und Platz in der Millionengesellschaft Londons. So öffnet sich das Ich der Marnie in das Wir ihrer Freundinnen und Freunden.

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Aneil Karia und Alicia MacDonald führen Regie in den sechs Folgen. Sie machen das behutsam und sorgsam, sie sind bemüht, die drastischen Einblicke in Marnies Bilderwelt der Zwangsstörung nicht auszuwalzen, sprich, fragwürdigen Vorteil aus den präsentierten Genitalien zu ziehen. „Pure“ wird nicht zur Freakshow. Die Serie bietet ein Doppelporträt: „Pure O“ und die davon gequälte Marnie.

Charly Clive spielt die 24-Jährige. Könnte rausgehen als Story von der LandNaiven, die in die große böse Stadt hineingeworfen wird. Aber so agiert Charly Clive nicht. Ihre Marnie ist unterwegs, auf der Reise, die eine Expedition ist. Wer ist sie, und wenn ja, wie viele ist sie? Das ist instrinsisch gespielt, mal ein bisschen zynisch, zumeist charmant. Was das Wortspiel erlaubt: „Pure“ und pures Fernsehvergnügen liegen eng beisammen.

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