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Der Mordanschlag: Petra Schmidt-Schaller als Sandra Wellmann und Ulrich Tukur als Hans-Georg Dahlmann.

© ZDF und Gordon Muehle

ZDF-Zweiteiler: Das Rohwedder-Attentat als TV-Film

Der ZDF-Zweiteiler „Der Mordanschlag“ interpretiert das RAF-Attentat auf Treuhandchef Detlev Karsten Rohwedder sehr großzügig.

Auch auf die Gefahr hin, zynisch zu klingen: Terrorismus ist offenbar nichts für Gesundheitsapostel! Wer sich derart gnadenlos mit dem Staat anlegt wie etwa die RAF, scheint aus Sicht realitätsgetreuer Fiktionalisierungen wie Uli Edels „Baader Meinhof Komplex“ offenbar permanent am Rauchen, Schwitzen, Hetzen, Schießen zu sein und kommt dabei so selten zur Ruhe wie die permanent rauchenden, schwitzenden, hetzenden, schießenden Terroristenjäger auf staatlicher Seite. Auch überm neuesten Spielfilm zu dieser blutigen Epoche hängt daher dauernd ein so dicker Dunst aus Tabak, Angst und Pulverdampf, dass man fast husten muss im Fernsehsessel.

Auch inhaltlich ist „Der Mordanschlag“ von einer Intensität, die den Zuschauern kaum einen Moment der Entspannung gönnt. Und das ist schon deshalb beachtlich, weil der ZDF-Zweiteiler sein Publikum 180 Minuten durch ein hinlänglich bekanntes Ereignis der jüngeren Zeitgeschichte treibt: das tödliche Attentat auf den damaligen Treuhandchef Detlev Karsten Rohwedder vor 27 Jahren. Allerdings heißt er im Drehbuch des versierten Krimi-Autors André Georgi Hans-Georg Dahlmann und wird zudem in ein Drama versetzt, das den echten Fall, sagen wir: äußerst großzügig interpretiert.

Anders als überliefert holt sich die meistgefährdete Person der frisch vereinten Nation nach Kanzler Kohl unter der Regie von Miguel Alexandre den Systemfeind höchstpersönlich ins Haus. Gesteuert von der RAF wird die unauffällige Sympathisantin Sandra Wellmann zur Assistentin des Nachlassverwalters der gescheiterten Planwirtschaft und ebnet so den Weg zum titelgebenden Angriff. Wobei Petra Schmidt-Schaller ihre Zivilistin mit einer zögerlichen Nervosität spielt, die erst im Kontrast zu Freund und Feind wirkt.

Auf der einen Seite wären das: zwei Mitglieder der dritten RAF-Generation, deren misanthropischer Trotz gespenstisch glaubhaft von Jenny Schily und Christoph Bach verkörpert wird. Auf der anderen: ihr Primärziel, das Ulrich Tukur souverän zwischen Pflichterfüllung und Empathie pendeln lässt. Im hochkarätig besetzten Ensemble fiktiver Terroristen, Bosse und Bürokraten bleibt sein Dahlmann die einzig verbürgte Figur. Ansonsten würfelt das ZDF fröhlich die Wirklichkeit durcheinander und zeigt sich im RAF-Showdown Anfang der Neunziger auch chronologisch flexibel.

SEK-Einsatz mit High-Heels

Susanne Albrecht, Alfred Herrhausen, Bad Kleinen: Auf engstem Raum verdichtet der Überwältigungsnostalgiker Alexandre („Die Frau vom Checkpoint Charlie“) einen wirtschaftskriminell angedickten Politthriller, dem auch Stereotype nicht erspart bleiben. Der Baader-Verschnitt Nikolai Kinski hat etwas Fiebrig-Viriles und Stefanie Stappenbecks BKA-Beamtin trägt selbst im SEK-Einsatz High Heels. Ihr Schutzobjekt Dahlmann sammelt derweil mit Sätzen wie „es geht nicht um Abwickeln, sondern Gestalten“ Sympathiepunkte, die seine Gegner von der Chemieindustrie durch sichtbare Hinterlist verspielen und somit für die Theorie präpariert sind, sie könnte den arbeiterfreundlichen Treuhänder mithilfe der Stasi beseitigt haben.

All dies ändert aber nichts daran, wie originell, intelligent und kurzweilig dieses klischeeanfällige Kapitel der Nachkriegsgeschichte inszeniert wurde. Trotz einiger Verschwörungstheorien ist „Der Mordanschlag“ nämlich gar kein Film übers vorletzte Gefecht des militanten Linksextremismus. Wichtiger ist ihm das Gift des Zweifels, mit dem ideologische Gewalt jeder Art Gesellschaften zersetzt. So wie die Täter irgendwann den Terror infrage stellen, ohne davon lassen zu können, stellen Opfer ebenso bald ihre Unschuld infrage, Angehörige ihre Loyalität, Behörden ihre Methoden.

Das ZDF erzählt diese Zerrüttung daher aus doppelter Binnenperspektive. Im Gefecht miteinander ringt die RAF schließlich wie der Staat um Sinn, Nutzen und Moral. Und niemand verkörpert das besser als der fabelhafte Maximilian Brückner, der als Einziger beim BKA die Chemiebranche verdächtigt. So ein Erzählstrang macht den Film zwar unangenehm verschwörungstheorieanfällig. Er macht ihn aber auch zu mehr als bloßem Geschichtsfernsehen. Sehr unterhaltsamem zumal. Auch wenn es manchmal schmerzt.

„Der Mordanschlag“, ZDF, Montag und Mittwoch, jeweils 20 Uhr 15

Jan Freitag

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