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Wolfram Grandezka, 45, spielt den Serienbösewicht Ansgar von Lahnstein, Chef der familieneigenen Bank. Stets frisch rasiert, mit Gel im Haar, immer im Anzug.

© ARD/Anja Glitsch

Wolfram Grandezka aus "Verbotene Liebe": „Unsere Zuschauer wollen Märchen“

Elf Jahre spielte Wolfram Grandezka eine Hauptrolle in der Soap „Verbotene Liebe“. Am Freitag läuft die letzte Folge, wie die ARD jetzt bestätigte.

Von Julia Prosinger

Alle Rettungsversuche verzweifelter Fans sind gescheitert. Wegen sinkender Quoten strahlt die ARD ihre Vorabendserie „Verbotene Liebe“ (VL) am Freitag um 18 Uhr 50 zum allerletzten Mal aus, wie der Sender am Donnerstag bestätigte. Nach gut 20 Jahren und 4664 Folgen. Bereits im Februar hatte der Sender von täglich auf wöchentlich umgestellt, aus der Daily Soap wurde eine Weekly. Neue Schauspieler, bessere Optik, schnellerer Plot. Die erhoffte Resonanz blieb aus. Wolfram Grandezka sprach mit Julia Prosinger über elf Jahre als Serienfiesling.

Herr Grandezka, was würde ein Ende von VL für das deutsche Fernsehen bedeuten?
Diese Mischung aus unbegrenzten Möglichkeiten und alltäglichen Problemen, die ist einmalig! Das ist anders als der Kram, der sich am Einerlei der Leute orientiert. Unsere Zuschauer wollen in eine Märchenwelt mitgenommen werden, um auch mal den täglichen Scheiß hinter sich zu lassen. Bei uns geht es halt nicht darum, wer die Pfandflaschen wegbringt oder die Spülmaschine ausräumt.

Im Gegenteil: Es geht um Schlösser, Rennpferde, Oldtimer, Diamanten. Sie spielen Ansgar Eduard Johannes Graf von Lahnstein...
...anfangs der Thronfolger, der von seinem Vater nicht die Liebe und Anerkennung bekommen hat, die ihm seiner Meinung nach zugestanden hätte. In den vergangenen Jahren, als ein neuer Teil der Sippe dazu kam, empfand er sich als der letzte echte Lahnstein umgeben von Parvenüs. Ich wurde vom nachdrängenden Sohn zum „Chef von dat Janze“.

Und vom Intriganten zum Publikumsliebling.
Als Böser kann man viel machen, was die Zuschauer gern selbst machen würden, aber nicht können. Ansgar ist ja nicht nur böse und sieht fantastisch aus. Er hat auch viele Möglichkeiten. Eine gewisse gesellschaftliche Position durch den Adelstitel und ne Menge Geld. So würden sich viele, zumindest kurzfristig, gern sehen. Ich hoffe, es hat auch damit zu tun, dass ich mich bemühe, einigermaßen unterhaltsam zu sein. Jedem ist klar, dass das nicht immer 100 Prozent logisch ist, was wir da machen. Ich versuche, es nicht zu sehr ins Drama gehen zu lassen und selbstironisch zu spielen.

Kommt man sich nicht wahnsinnig machtlos vor, wenn man tagsüber Graf ist und abends Wolfram Grandezka?
Ich bin mit meinem Privatleben sehr zufrieden. Auf die ständig vom Untergang bedrohte Bank und diese grauenhafte Familie kann ich gut verzichten. Es ist aber sehr nett, den ganzen Tag bei gutem Wetter auf dem Schloss zu verbringen. Färbt bestimmt ab, wenn man stattdessen in der Pathologie drehen muss.

Werden Sie auf der Straße um Geld angepumpt?
Normal ist eher die ältere Dame, die mir mit erhobenem Zeigefinger erklärt, dass ich doch meinen eigenen Vater nicht vergiften könne. Ich habe aber den Eindruck, die Leute begreifen seit den Reality-TV-Formaten zunehmend, dass es eine Fernseh- und eine echte Welt gibt. Die Zeiten, in denen Zuschauer sich auf die freien Wohnungen in der „Lindenstraße“ bewerben, sind wohl vorbei.

Sie haben Ansgar selbst kleine Manierismen gegeben: lila Socken, den abgespreizten Finger an der Teetasse oder das unablässige Single-Malt-Gesaufe.
Beim Dreh ist das in der Regel Eistee, Geschmacksrichtung Pfirsich, was Preiswertes wahrscheinlich. Je nach Alter des Whiskeys musste er auch mal dunkler sein, schmeckte aber nicht unbedingt besser. Dass Ansgar trinkt und raucht, ist stark auf meinem Mist gewachsen. Ich wollte die Figur politisch unkorrekt. Es hat natürlich Nachteile: Kann einem blühen, dass man sich morgens um halb neun eine Zigarre anstecken muss...

Im Vergleich zu anderen sitzt Ihr Graf praktisch immer. Man sieht ihn maximal mit den Händen in den Hosentaschen gelangweilt Aufzug fahren.
Sitzen passt zur Figur. Zum einen ist Ansgar ein „Schreibtischtäter“. Zum anderen sagt dieses Statische viel über ihn aus: Er hat es nicht nötig, sich zu bewegen, die anderen kommen zu ihm. Der König hält Hof. Ganz zufällig kommt mir das sehr gelegen, weil ich privat auch ein extrem fauler Mensch bin. Ich hasse wenige Dinge so sehr wie lange unnötig stehen. Fand ich schon als Kind ätzend. Also versuche ich es mir an einem langen Drehtag so bequem wie möglich zu machen.

Ansgar war in diesen elf Jahren mit ganz verschiedenen Frauen zusammen, er hatte mindestens 14 Affären, Liebeleien, einige Ehen. Ihr schönster Kuss?
Schön ist das nicht, eher ein technischer Ablauf. Ich habe drauf geachtet, dass nie der Eindruck entsteht, dass mir das Spaß macht. Allerdings kenne ich es anders herum. Dass eine Kollegin sich da ein wenig stärker engagiert hat. Das macht es extrem schwierig, dann ist man innerlich mehr auf der Flucht, als dass man sich in die Szene reinwirft.

Haben Sie eine Erklärung für die sinkenden Quoten von „Verbotene Liebe“?
Ja, eine ganze Auswahl. Aber das lässt sich in der Kürze der Zeit unmöglich adäquat und mit der gebotenen Ausgewogenheit darstellen. Da spielen so viele Faktoren hinein, dass jede Auswahl subjektiv und zwangsläufig willkürlich wäre. So oder so ähnlich nachzulesen in einem Politikerinterview Ihrer Wahl!

Im Ernst: Die Soap wurde deutlich schlechter, als sie vor ein paar Jahren plötzlich 45 statt 25 Minuten am Vorabend füllen musste.
Sagen wir mal: Sie wurde anders. Natürlich ist eine Verdopplung der Sendezeit zwangsläufig eine extreme Belastung in einem ohnehin straff getakteten Produktionsablauf. Einfach schon deswegen, weil sich bestimmte Kapazitäten nicht beliebig erweitern lassen. Zum Beispiel braucht man letztendlich Chefautoren, die den kompletten Überblick haben.

Auch für das Team hat der Tag nur 24 Stunden.
Wir haben mit der wöchentlichen Ausstrahlung deutlich gewonnen. Rein visuell wirkt alles hochwertiger und bestimmte Probleme fallen weg: Unsere Marktforschung hat vor Jahren festgestellt, dass auch „Vielseher“ nur zwei bis drei Folgen pro Woche schauen. Um denen das Dranbleiben zu erleichtern, hat man angefangen, langsamer zu erzählen, mit sogenannten Recaps. Man berichtet als Schauspieler das, was man gestern dem einen erzählt hat, heute dem anderen nochmal. Das ist wenig spannend für die, die immer schauen, und es ist schwierig, das unterhaltsam rüberzubringen. Auch als Schauspieler. Als die Weekly anfing, war ich total froh, dass diese Recaps wegfielen. Wer nicht guckt, guckt eben nicht.

Als Ansgar in der Weekly zum Vergewaltiger wurde, schalteten viele Zuschauer ab.
So schade das ist – aber in gewisser Weise auch charmant, dass die Zuschauer die Figur so nicht sehen. Ich ja auch nicht. Ich hatte Sorge, dass ihn das zu unsympathisch macht. Das hätte doch ein Schuldgefühl bei ihm ausgelöst, das man in all den Jahren hätte spüren müssen. Ich will nichts vorwegnehmen, aber es ist ja auch nicht hundertpro raus, ob Ansgar das wirklich war...

Haben Sie je daran gedacht auszusteigen?
Zumindest habe ich bei jeder Vertragsverhandlung laut darüber nachgedacht. Aber ich mag Ansgar sehr gern. Nur wenn er zu weichgespült würde, wäre ich weg. Die Figuren müssen Archetypen verkörpern. Deshalb wird es auch schwierig, wenn plötzlich alle mal ein bisschen böse sein wollen. Saufen, Weiber vögeln, unkorrekt sein - das sind Kernkompetenzen von Ansgar. Trotz aller unliebsamen Familienähnlichkeit geht es nicht, dass plötzlich andere Oscar Wilde zitieren. Ich habe mich zwar nie beschwert, aber: Freunde, das sind meine Texte!

Seit Dezember ist Drehschluss. Was machen Sie seitdem?
Reisen! Die letzten elf Jahre konnte ich nie länger als zwei Wochen weg. Einer muss halt der Böse sein.

Wie geht es mit Ihnen weiter?
Ich habe einige Angebote, darunter die Idee, eine Figur wie Ansgar in schon bestehende Formate zu integrieren. Darüber kann ich noch nicht sprechen. Außerdem entwickle ich gerade mit zwei Autoren zwei Projekte, auf die ich richtig Bock hätte. Mal sehen, was draus wird. Ich habe jedenfalls nicht, wie viele andere deutsche Schauspieler, diesen Drang, mal was ganz anderes zu spielen, um zu zeigen, wie wunderbar vielseitig ich bin. Davon halte ich gar nichts. Man ist – und das ist auch vernünftig – auf ein Spektrum festgelegt. Die Komödien von Robert de Niro will ich doch auch nicht wirklich sehen.

Das gesamte Interview sowie weitere exklusive Beiträge in: Stefan Mesch, Nikola Richter (Hg.). Straight to your heart. Verbotene Liebe 1995-2015. mikrotext, Juni 2015. Als ePub, mobi, PDF erhältlich. 4,99 €

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