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Der Papst allein auf dem Petersplatz und ein Osterfest ohne öffentliche Gottesdienste. Die Fernsehausstrahlung von Wim Wenders’ Dokumentation über Franziskus fällt in eine Zeit, die 2018 bei der Entstehung des Films niemand ahnen konnte.

© Yara Nardi/Reuters/AP/dpa

Wim-Wenders-Doku über Papst Franziskus: Ein Seelsorger ohne Berührungsängste

Wim Wenders’ Dokumentarfilm über Papst Franziskus sieht man in Corona-Zeiten mit anderen Augen.

Der Papst auf einem nahezu menschenleeren Petersplatz – seltsame Bilder aus dem Jahr 2020 sind das. Franziskus sucht den direkten Kontakt zu den Menschen wie bisher kaum ein anderes Oberhaupt der Katholischen Kirche. Er umarmt, küsst, schüttelt unzählige Hände, wäscht Gefangenen und Geflüchteten die Füße. Man sieht Wim Wenders’ Dokumentarfilm über Papst Franziskus in Corona-Zeiten zwangsläufig mit etwas anderen Augen.

Gleichzeitig haben die päpstlichen Ausführungen nichts von ihrer Aktualität eingebüßt. Dass unter all den natürlichen oder von Menschen herbeigeführten Katastrophen, die der Autor zu Beginn als deprimierende Beschreibung der Gegenwart aufzählt, ausgerechnet eine Pandemie fehlt, tut nichts zur Sache. Die Kritik des Papstes an Armut und Umweltzerstörung bleibt relevant, zumal das Coronavirus die Schwächsten wohl in besonderem Maße treffen wird. Oder ist die Pandemie auch eine Chance zu Veränderungen – ganz im Sinne von Franziskus, der eine Kultur gegenseitiger Achtsamkeit fordert? „Wir alle sind verantwortlich“, sagte er in seiner Rede vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen, in der er unter anderem die Wegwerfkultur anprangerte. Ein Satz, der kaum treffender in diese Zeit passen könnte.

500 000 Menschen sahen den Film im Kino

„Papst Franziskus – Ein Mann seines Wortes“ lockte vor zwei Jahren eine halbe Million Menschen in die deutschen Kinos. Für einen Dokumentarfilm ist das ein außergewöhnlich gutes Ergebnis, geschuldet sicher auch der Neugier nicht nur von Katholiken auf diesen unkonventionell erscheinenden Kirchenführer, der Verzicht nicht nur zu predigen, sondern auch zu leben scheint, und der sich nicht scheut, den Kardinälen vor laufenden Kameras die Leviten zu lesen. Auch in der Kurie sei die „Krankheit der Raffgier“ zu finden, sagt Franziskus. „In einer Kirche, die ihre Hoffnung auf Reichtum setzt, ist Gott nicht zu Hause.“

[„Papst Franziskus – Ein Mann seines Wortes“; ZDF, Freitag, 23 Uhr]

Sieben Jahre ist der 83-jährige Argentinier Jorge Mario Bergoglio nun im höchsten katholischen Amt. In den Favelas von Rio de Janeiro jubeln ihm die Massen zu, auf den Philippinen ringt er nach einem heftigen Taifun vor Tausenden Menschen um tröstende Worte, im US-Abgeordnetenhaus fordert er das Ende des Waffenhandels. Im Flüchtlingslager Moria auf Lesbos hält er eine Rede, die schmerzhaft aktuell klingt.

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Man sieht ihn in Gefängnissen, Krankenhäusern, auf einem Schiff vor Lampedusa, in der Shoah-Gedenkstätte Yad Vashem und der al-Aqsa-Moschee in Jerusalem – Franziskus ist ein Seelsorger ohne Berührungsängste. Einer, der Andersgläubige ausdrücklich „nicht bekehren“ will, aber seine Botschaft auch mit einer modernen Medienstrategie in die Welt zu tragen versteht. Die Veröffentlichung der Enzyklika „Laudato si'“, die sich mit Fragen von Umwelt und Klimaschutz beschäftigt, wird von einer kolossalen Lightshow am Petersdom begleitet. Er beantwortet im Flugzeug die Fragen mitreisender Journalisten, und auch Wim Wenders berichtete von keinerlei Einschränkungen: „Das Projekt war völlig offen, ich hatte tatsächlich Carte Blanche“, sagte er aus Anlass des Kinostarts.

Exklusiver Zugang zum Papst

Die Grund-Idee hatte er freilich nicht selbst. Bereits Ende 2013 kontaktierte der Vatikan den prominenten deutschen Filmemacher und bot ihm exklusiven Zugang für einen Film über den neuen Papst. Das Bildmaterial aus dem Vatikan-Archiv ergänzten Wenders und Co-Autor David Rosier mit Ausschnitten aus vier selbst geführten Papst-Interviews, bei denen eine spezielle Aufnahmetechnik dafür sorgt, dass Franziskus direkt in die Kamera blickt – und so zu jedem Zuschauer persönlich zu sprechen scheint.

„Geh und erneuere mein Haus“, forderte Gott von Franz von Assisi. Was Papst Franziskus bis 2018 in der Katholischen Kirche tatsächlich bewirkt hat, damit befassten sich Wenders und Rosier nicht – wollten es auch gar nicht. Ihr Film ist weder umfassende Biographie noch eine distanziert-kritische Auseinandersetzung, in der die mal bemerkenswert klaren, mal interpretierbaren Äußerungen von Franziskus zum Missbrauchsskandal oder zur Gleichstellung der Frauen hinterfragt würden. „Ich möchte eine beschreibende und offene Herangehensweise, keine wertende“, sagte Wenders im „Tagesspiegel“-Interview. Dem Papst bereitet er eine Bühne, und das Charisma des Kirchenführers macht den Film sehenswert. Eine Antwort auf die Frage, ob Franziskus die in ihn gesetzten Hoffnungen erfüllen kann, ist darin nicht zu finden.

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