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Wikis: Damit du weißt, was ich weiß

Bekannt sind Wikipedia oder GuttenPlag. Tatsächlich gibt es 130.000 Wikis. Beispielsweise zur Animé-Serie "Digimon", zum Frankfurter Flughafen oder zur Bundeswehr.

„Ob Mm je in das von ihr hier aufgeführte Werk reingeguckt hat?“, spöttelt GrafIsolan über den Verschleierungsversuch, den er soeben aufgedeckt hat. „Mm“, das ist Margarita Mathiopoulos, Guido Westerwelles außenpolitische Beraterin und ehemalige Professorin für Amerikanische Außengeschichte an renommierten Institutionen wie der Berliner Humboldt-Universität. Was ihr Kritiker, GrafIsolan, beruflich macht, bleibt geheim. Seine Profilseite auf der Plagiatsplattform „VroniPlag“ verrät lediglich sein Hobby: „396 Fragmente zu Mm“ sind aufgelistet. 396 Mal hat er also einer plagiierten Stelle aus dem Dissertationstext eine Originalquelle gegenübergestellt und aufgezeigt, wie schamlos die ehemalige Journalistin Mathiopoulos abgeschrieben haben soll. Die stolze Bilanz: 1681 Bearbeitungen hat der Plagiatsjäger seit seinem Beitritt zu der Community des „VroniPlag“-Wikis am 4. April geleistet.

Wiki ist hawaiianisch und heißt schnell. Schnell sind sie in der Tat, diese Vorzeigeprodukte des Web 2.0: Ende März wurde „VroniPlag“ ins Leben gerufen, Anfang April begann die Analyse zur Dissertation der Europaabgeordneten Silvana Koch-Mehrin (FDP), am 19. April lag ein Abschlussbericht vor. Noch rasanter geht es bei der Wiki-Galionsfigur Wikipedia zu: Kaum ist in den gängigen Nachrichtenagenturen der Tod eines Prominenten verkündigt, wird sein Artikel mit Todesdatum versehen und seine Lebensgeschichte ins Präteritum gesetzt. Die Wiki-Software macht’s möglich. Überall laden „Bearbeiten“-Buttons oder Bleistift-Symbole dazu ein, dem Artikel etwas hinzuzufügen, etwas wegzuradieren, umzuschreiben oder gar einen eigenen Artikel zu erstellen. Allein in der größten deutschen Wiki, der Online-Enzyklopädie Wikipedia, sind in Kollaboration von 6700 Autoren 1,25 Millionen Artikel entstanden, etwa 25 Millionen Mal wird die Seite täglich aufgerufen.

Da geht es auf dem „MeerundMehr“-Wiki doch etwas beschaulicher zu. Die Fan-Fiction-Plattform ist etwas für den besonderen Geschmack. Hier versammeln sich Zuschauer der Animé-Serie „Digimon“ oder Fans von Konsolenspielen wie „Halo“, die ihren digitalen Helden selbst erdachte Geschichten auf den virtuellen Leib schreiben. Oben links bietet ein lila Button an: „Starte ein Wiki“. 130 000 Wikis (auch WikiWikis oder WikiWebs genannt) sind auf diese Weise entstanden, unter ihnen auch „GuttenPlag“ und „VroniPlag“, die ebenso wie die StarWars-Fanseite „Jedipedia“ zu der Wikia-Gemeinschaft gehören. Die Palette reicht von der Wissenssammlung über die Lieblingsfernsehserie hin zur Genealogie-Plattform, sogar Harry Potter hat hier sein eigenes Lexikon. „Erstelle Dein eigenes Wiki in weniger als 5 Minuten“, bietet der Internet-Dienstleister an. Die Beteiligung an Wikis auch für Leute, die Schwierigkeiten mit der Programmiersprache haben, wird durch das Content Management System (CMS) MediaWiki möglich. In eine Art Formular kann man hier Überschriften und Text des Artikels eintragen, ohne auf die komplizierte Symbolsprache der Softwareentwickler zurückgreifen zu müssen.

Das nutzen nicht nur Fans von Computerspielen, sondern auch Unternehmen und – die Bundeswehr. „BeWiki“ heißt ihr Projekt, das sich die Prinzipien „Freiwilligkeit, Selbstkontrolle und Editierbarkeit für Jedermann“ zunutze machen möchte, um einen „iterativen Prozess mit wechselseitiger Konzeptentwicklung und Experimentation“ einzuleiten. Nun hat der digitale Diskurs also schon beim Bund Einzug gehalten, man setzt auf kreative Konzepte statt kurzem Report, freiwillige Beteiligung statt knappem Marschbefehl, auf horizontale Strukturen statt strenge Hierarchie. Auch Unternehmen nutzen die leicht zugänglichen Wissenspools, um Fachkenntnisse zu sichern und für alle zugänglich zu machen. Auf dem Wiki des Frankfurter Flughafen etwa sammeln „Skywikinger“ das „Wissen des FraPorts“. Ist der Traum des Mitmachweb in Erfüllung gegangen? Gibt es eine kollektive Intelligenz, an der sich jeder beteiligen kann, ungeachtet des Alters, des Berufs oder der Herkunft?

Was einst als Projektplattform für IT-Fachmänner begann, hat sich mittlerweile zum populärsten Wissensmedium der Welt entwickelt. Das kann man skeptisch betrachten und neben einer „Googleisierung“ auch von einer „Wikipediasierung“ der Informationsbeschaffung sprechen. Oder man kann sich darüber lustig machen, wie es die Macher von Stupidedia tun. Sie bezeichnen sich als „die seriöse Alternative zur spaßig gemeinten Freizeit-Enzyklopädie Wikipedia“, deren Duktus sie in parodistischen Artikeln aufs Korn nehmen. Über den „Kopieren-Einfügen“-Doktor Guttenberg amüsieren sie sich ebenso wie ihre Kollegen von „VroniPlag“: „Es stellte sich heraus, dass Guttenberg alle seine Vornamen aus der Wikipedia abgeschrieben hat und auch beim Doktorspielen schummelte.“

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