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Bilder, die einen Film ausmachen. Martin Schröder war Editor für den Dokumentarfilm „Angela Merkel – Im Lauf der Zeit“.

© MDR/BROADVIEW TV

Was Filmeditoren bewirken: Diener der Differenz, Apostel des Zusammenhalts

Früher hießen sie „Cutter“ oder „Kleberinnen“. Heute werden sie als Filmeditoren wertgeschätzt. Eine Danksagung.

Schreiben muss ich, um mich zu verbeugen: Vor einem Berufsstand im Allgemeinen und drei Menschen im Besonderen, es soll um Editoren gehen, Filmeditoren, deren Kunst und Handwerk im öffentlichen Bewusstsein immer noch bisweilen unterbelichtet sind. Früher nannte man sie Cutter und reduzierte sie damit auf Scherenhände und Schnittakrobaten, so als ob der „Filmstreifen“ nichts anderes wäre als ein Teppich, den man passgenau zuschneiden könnte. Dieses Bild stimmte nicht einmal als Zelluloid in der Ära des Stummfilms tatsächlich per Hand geschnitten und von sogenannten „Kleberinnen“ wieder zusammengefügt wurde.

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Doch wie vielfältig und vielschichtig die Kunst der Filmeditoren ist, lernte ich selbst erst wertschätzen und kennen, als mich das Leben in einen Schnittraum, Edit Suite, verschlug, wo ich ein Porträt über Angela Merkel anfertigen sollte. Ein halbes Dutzend Bildschirme und ein digitales Schnittprogramm namens Avid schüchterten mich ein. Ich fühlte mich wie im Cockpit eines Jumbo-Jets, den ich plötzlich ohne Ausbildung fliegen sollte.

Ohne den Editor Martin Schröder hätte ich das damals weder überlebt noch geschafft und diese Lebensrettungskompetenz gilt seither für alle Editoren, mit denen ich arbeiten konnte. Mit wachsender Begeisterung verstand ich, was sie leisten, was sie können, wie komplex ihre Tätigkeit ist. Die seelsorgerische Kompetenz, Leben zu retten, die ich persönlich erfuhr, trifft aber auch den Kern ihres Tuns, denn Editoren bergen Biographien, retten Geschichten vor dem Verschwinden, geben komplexen gesellschaftlichen Entwicklung Gesicht und Stimme.

Bilder, die einen Film ausmachen. Sandra Brandl arrondierte in dem Film „Die Unbeugsamen“ die Szene, als sich die Granden der CDU wie Bundeskanzler Helmut Kohl (links) auf dem Parteitag 1989 von Renate Hellwig wegdrehten.
Bilder, die einen Film ausmachen. Sandra Brandl arrondierte in dem Film „Die Unbeugsamen“ die Szene, als sich die Granden der CDU wie Bundeskanzler Helmut Kohl (links) auf dem Parteitag 1989 von Renate Hellwig wegdrehten.

© SZ Photo

Was machen sie eigentlich? Sie sichten und ordnen das Material, das können hunderte Stunden Neudreh- und Archivmaterial sein, sie riechen, tasten, schmecken, fühlen, wo eine Geschichte steckt, eine Emotion, ein Gesicht, eine Aura oder eine Energie, die heraussticht. Editoren sind also dünnhäutig im besten Sinne, sie wittern den Goldgehalt eines Bildes. Zugleich heben sie das einzelne Bild, das Frame, in einen Rhythmus, einen dramaturgischen Bogen, sie tanzen im Sitzen mit Auge und Finger.

Ich war höchst erstaunt, dass Editoren selbst oft die Musik anlegen, den Komponisten (wenn es welche gibt) instruieren und oft von Anfang an Musik, aber auch Ton, Sound, Geräusch als integrale Filmbestandteile denken. Die drei Editoren, die unsere Filme zum Atmen brachten, Martin Schröder („Angela Merkel – Im Lauf der Zeit“), Sandra Brandl („Die Unbeugsamen“) und André Hammesfahr („Schwarze Adler“) sind ungemein musikalisch gebildet und sie schneiden bisweilen mit dem Ohr.

Gemeinsam ist ihnen auch, dass sie im Schnitt mitunter vollkommen unerreichbar sind, weil sie sich derart auf verschiedene Bild- und Tonspuren einlassen und konzentrieren, dass sie auf mich wie buddhistische Mönche wirken, die auf den acht Pfaden der Versenkung und Erleuchtung wandeln. Am besten lässt man sie schweben. Man wird überhaupt reich beschenkt, wenn man sie wandern lässt. Editoren sind keine Ausführungsorgane, sie nehmen keine Anweisungen, sondern allenfalls Ideen entgegen und bilden mit dem Autor im besten Fall eine unio mystica, wo sich im Dialog eine Vermählung von Idee und Realität, von Funke und Flug ergibt. So habe ich es erlebt.

Bilder, die einen Film ausmachen. André Hammesfahr war Editor des Dokumentarfilms „Schwarze Adler“, in dem unter anderem Ex-BVB-Profi Patrick Owomoyela (rechts) mitwirkte.
Bilder, die einen Film ausmachen. André Hammesfahr war Editor des Dokumentarfilms „Schwarze Adler“, in dem unter anderem Ex-BVB-Profi Patrick Owomoyela (rechts) mitwirkte.

© dpa

Man skizziert eine Bildstrecke, der Editor skizziert sie auch. Wir prüfen tänzerisch: Hat das Kraft? Schwingt das? Hat das Rhythmus? Dient es der Geschichte? Dient es den anderen Künsten wie Kamera, Musik, Ton? Und gleichzeitig überlegen wir, dient dieser Schnitt, diese Perspektive dem Interviewpartner? Nehmen wir diesen Seufzer mit? Dürfen wir zeigen, wenn jemand wie in „Schwarze Adler“ während des Interviews in Tränen ausbricht?

Zur Medienethik gehört auch, dass Editoren sehr genau darüber nachdenken, wie man mit Menschen umgeht. Man darf den gefilmten Menschen, den Interviewpartner, den O-Ton-Geber nicht zum Ding und Objekt machen. Man muss, selbst wenn man seinen Stadtpunkt nicht teilt, seine Perspektive gelten lassen und seine Binnensicht erst einmal verstehen, ehe man ihn oder sie in Beziehung zu widerstreitenden Perspektiven setzt.

Meine Vermutung ist, dass Editoren eher selten anfällig sind für Verschwörungstheorien oder populistische Vereinfachungen, weil sie selbst sehen und am besten wissen, wie komplex Geschichten sind. Sie sehen nicht nur hinter die Bilder, sie erleben auch, wie Geschichten in den öffentlich-rechtlichen oder privaten Sendern entstehen und welche Eigenmacht einerseits dramaturgische Prinzipien aber auch die Materialien haben und wie diffus Macht ist.

Politische Tätigkeit

Jeder, der einen Tag im Schnittraum verbrächte, würde fortan ein Wort wie „Lügenpresse“ meiden, denn er würde erkennen, dass sich die Wirklichkeit nie einem noch so manipulativen Willen vollständig unterwirft. Insofern ist die Tätigkeit der Editoren auch eine eminent politische, denn sie sind letztlich Anwälte der Vielschichtigkeit und helfen uns im medialen Echoraum Geschichten multiperspektivisch zu denken und zu fühlen.

Vor diesem Berufsstand verbeuge ich mich und vor „meinen“ drei Editoren, die ich – das mag merkwürdig klingen – oft als eine Dialog-Gemeinschaft denke, als eine Erörterungsinstanz, mit der ich im Kopf Geschichten angehe. Sie haben alle Aufmerksamkeit verdient, weil sie selbst sich in den Aufmerksamkeitsdienst noch der entlegensten Erzählungen und stillsten Menschen stellen.

Ihre Kunst der Montage ist ja die Kunst, sich selbst unsichtbar zu machen und den anderen Gewerken und damit der Narration zu dienen. Ja, ich würde, um das Seelsorger-Motiv des Anfangs noch mal ins Gesellschaftspolitische zu wenden, soweit gehen und sagen, wir brauchen mehr editorisches Denken, im Alltag und im immer stärker formatierten Fernsehen der öffentlich-rechtlichen Sender.

Diener der Differenz

Editoren sind Diener der Differenz und zugleich Apostel des Zusammenhalts. Weil sie empathisch sind, nehmen sie Bedürfnisse anderer Menschen wahr und befriedigen Wünsche nach Sichtbarkeit und Repräsentation. Und gerade jetzt, wo jeder dazu neigt, sich seinen eigenen Lebensfilms zurechtzuschneiden, auf den Plattformen der rücksichtslosen Egographie (Twitter, TikTok, YouTube, Instagram) ist ihr Ethos Gold Wert: Dienen, Zusammenhalten, Simultanität denken, Dialoge und Geschichten stiften, Wahrhaftigkeit verteidigen, in Fremdes eintauchen, um es zu umarmen. Freundschaft!

Torsten Körner, Kritiker, Drehbuchautor und Regisseur, hat für die genannten Produktionen mehrere Preise gewonnen, darunter den Grimme Preis und den Civis-Medienpreis für „Schwarze Adler“ und den Gilde-Filmpreis für „Die Unbeugsamen“.

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