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Für den Kabarettisten und Schauspieler Wolfgang Stumph, 74, der in Dresden aufwuchs, kam ein Wechsel in den Westen nie in Frage.

© MDR/DOKfilm/Jan Urbanski

Warum „Go West“ für Wolfgang Stumph kein Thema war: „Man muss das Gute sehen – und das andere kritisch“

Viermal suchte der Kabarettist und Schauspieler Wolfgang Stumph nach Gründen, warum Menschen den Osten verließen. Diesmal hat er mit denen geredet, die geblieben sind. Ein Interview.

Herr Stumph, 2019 haben Sie sich auf Spurensuche begeben zu Menschen, die nach dem Mauerfall den Osten verlassen haben, für die MDR-Dokumentation „Heimatliebe“ haben Sie jetzt neun Menschen aufgesucht, die geblieben sind. Gedreht wurde unter Corona-Bedingungen.

Wir mussten im doppelten Sinn aufpassen. Bei dem, was die Gesprächspartner sagen. Und natürlich in Sachen Gesundheit. Das galt aber noch stärker für die Dreharbeiten zur neuen „Stubbe“-Folge, an der rund 60 Team-Mitglieder sowie Schauspieler und Schauspielerinnen beteiligt waren. Insgesamt wurde ich bestimmt sechs Mal auf Corona getestet und zwanzig Mal zum Abstandhalten und Maske-Aufsetzen ermahnt.

Wann strahlt das ZDF den nächsten „Stubbe“ aus?
Geplant ist das erste Vierteljahr 2021, womöglich gleich zu Jahresbeginn.

Zurück zur Dokumentation. Welche Beweggründe fürs Bleiben haben Sie besonders beeindruckt?
Zunächst muss ich vorausschicken, wie es zu der Dokumentation kam. Nachdem wir vier Dokumentarfilme produziert haben, in denen es um Menschen ging, die das Land verlassen haben, wurden wir gefragt, warum wir nicht auch einen Film mit den Menschen machen, die hiergeblieben sind? Das habe ich als Auftrag verstanden.

Und in welchen Begründungen haben Sie sich stärker wiedergefunden?
Viele Aussagen haben sich in meiner Haltung, warum ich geblieben bin, wieder gefunden. Die Verbundenheit mit der Heimat, in der man aufgewachsen ist, die Eltern, die Erziehung, die Kindheitserlebnisse, die Natur, später die Freundschaften, die geblieben sind. Aber auch das, was man sich unter DDR-Bedingungen erschaffen hat.

Eine andere Erklärung in dem Film lautet: Hier ging es mir im Herzen gut. Was bedeutet Ihnen Heimat?
Meine menschlichen, künstlerischen und kulturellen Wurzeln. Und zu den kulturellen zähle ich nicht nur die Staatskapelle und die Semper-Oper oder den Dresdner Barock, sondern die Menschen und Freunde im Geist. Außerdem: Kabarett spielt man nicht als eine Rolle . Das Einmischen und Einbringen, authentisch mit sich und dem was man öffentlich macht. Das habe ich mein halbes Leben in der DDR gemacht und das ist auch heute meine Aufgabe.

[Die Dokumentation „Heimatliebe“ - Warum ich blieb" wird im MDR-Fernsehen am 3. Oktober um 20 Uhr 15 ausgestrahlt. Sie ist bereits jetzt in der ARD-Mediathek abrufbar]

Hieß es auch für Sie mal „Go West“?
Ich hätte vor 1961 die Möglichkeit gehabt, als ich als Schüler in den Ferien regelmäßig meine Verwandtschaft im Westen besuchte. Aber schon damals hatte ich den Wunsch Schauspieler zu werden. Und ich hatte das Gefühl, das kannst du da nicht werden. Ich durfte schon in der Schulzeit Theater spielen.

Und später?
Die nächste Chance gab es erst 1988 bei einem deutsch-deutschen Kabarettisten-Treffen in München. Aber auch da zog es mich nicht nach Drüben. Das wäre mir so vorgekommen, als würde ich von meinem Kabarettbrettern in Dresden ins Leere, Unbekannte treten. Als ob ich die Menschen verlasse, die mich vielleicht brauchen – und die auch ich brauche.

Sie sind aber nicht allein Kabarettist, sondern auch ein Schauspieler, der nach „Go Trabbi Go“ auch bei den Zuschauern im Westen angekommen ist. Lockte sie nach dem Erfolg nicht die große gesamtdeutsche Karriere?
Ich muss durch meine satirisch-kritische Haltung in der DDR-Zeit dem Produzenten dieses Films aufgefallen sein. Ich habe eine bestimmte Haltung und Emotion der Ostdeutschen verkörpert, die nun mit der Einheit klarkommen müssen. Diesen Weg wollte ich auch unter dem vereinten Deutschland weitergehen.

Viele andere Schauspieler sind einen anderen Weg gegangen. Wäre es nicht richtiger gewesen, wenn auch die ihre ostdeutsche Sicht in den Einheitsprozess eingebracht hätten.
Ich kenne viele, und nicht nur Schauspieler, die sich eingebracht haben. Wir taten das mit 54 Folgen der Satire-Serie „Salto Postale“ und in Filmen, die meinen Stumph-Sinn schon in den Figurennamen haben.

Einige ihrer Gesprächspartner in der Doku haben nach 1989 schwere Schicksalsschläge erlitten, gleichwohl sind es neun positive Geschichten geworden, die sie erzählen. Ist der Zufall oder Absicht?
Das ergab sich aus den Lebenswegen der Protagonisten. Wir wollten keine aalglatten Wege und lauter Glückskinder. Aber die, die 30 Jahren lang vergebens das Tal durchschritten, haben sich auf unseren Aufruf leider nicht gemeldet. Bei denen das Schicksal nicht immer gewogen war, finde ich es besonders bewundernswert, wie sie auch mit dem kleinen Glück zufrieden wurden. Oder wie sie die Ärmel hochgekrempelt haben und risikofreudig waren. Das spiegelt einen großen Teil der Haltung der Ostdeutschen wider.

"In Ostdeutschland sind die stärkeren Männer manchmal die Frauen"

Wie kommt es, dass es eher die Frauen sind, die im Mittelpunkt der Geschichten stehen?
Auch das ist ein Spiegelbild der Kreativität und des Selbstbewusstseins, der Gleichberechtigung und der Stehauf-Mentalität, dass die Frauen uns Männern in Nichts nachstehen. Gerade in Ostdeutschland sind die stärkeren Männer manchmal die Frauen.

Wenn Sie mit Ihrem Bulli durch Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen zu ihren Protagnisten fahren, sieht man lauter blühende Landschaften und hübsch herausgeputzte malerische Orte. Also ist die Vorhersage von Helmut Kohl doch eingetreten?

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Wenn man das auf die Großstädte bezieht, hat das nicht nur mit den staatlichen Fördermitteln zu tun. Und Sie dürfen nicht vergessen: Die Immobilien sind zum Großteil nicht in ostdeutschem Besitz. Aber schauen Sie sich bitte auch außerhalb solcher städtischen Zentren und hübschen Bilder um, da gibt es noch große Sorgen. Denken Sie nur an die Lausitz.

Seit der Wiedervereinigung sind 30 Jahre vergangen, eine neue Generation hat die Verantwortung übernommen. Trotzdem erscheint die Spaltung momentan tiefer als vor zehn Jahren.
Richtig, es gibt die neue Generation, aber die Mischung stimmt nicht, wer Verantwortung übernommen hat. Ein Beispiel: Von über 90 Rektoren ostdeutscher Hochschulen, haben nur drei eine ostdeutsche Biografie. Von den Ministern, Staatssekretären, Vorstandsvorsitzenden will ich gar nicht reden. Oder gar vom Frauenanteil. Apropos blühende Landschaften. Ich bin in ganz Deutschland unterwegs. Wenn ich zum Beispiel in Duisburg oder Hagen bin und mir die Lage dort anschaue, sage ich, dass der Soli-Beitrag, der von allen deutschen gezahlt wird, auch als ein solidarischer Beitrag für alle Bundesländer genutzt werden sollte. So entsteht in Zukunft Gemeinsames.

Auch im Westen sind Einkommen und Besitzverhältnisse nicht gleichmäßig verteilt. Wird es nochmal 30 Jahre dauern, bis Ost und West keine Rolle mehr spielen?
Wenn ich meine Kinder sehe, glaube ich das nicht. Wenn wir von früher erzählen, schauen die uns mit großen Augen an. Die leben im Hier und Heute. Gerade durch die aktuellen Dokumentationen über die Zeit vor und nach der Wende bekommt diese Generation möglicherweise einen kritischeren Einblick in das Zusammenwachsen und deren Probleme. Selbst Im „Magazin der Bundesregierung 2/2020“ stellt der Bundesfinanzminister heute fest, „In manchen Branchen im Westen gab es damals eine Art Goldgräberstimmung. Nicht selten waren die Folgen davon nicht gut“. Ja, das hat bis heute Spuren hinterlassen.

"Die Ostdeutschen haben ganz andere Brüche erlebt"

Sie haben einmal gesagt, „Ich biege ungern rechts ab, ich fahre gern links im Leben“. Warum halten es manche Menschen in den „neuen“ Bundesländern anders?
Ich war schon immer gegen die Verharmlosung rechter und nationalistische Schwärmereien und deren Auswüchse.

Aber warum ist die Zustimmung für die AfD im Osten höher als im Westen?
Erst einmal ist es schön, dass ein westdeutsches Medium feststellt, dass es das auch in Westdeutschland gibt. Man sollte es differenzierter sehen, wo sind Ursachen? Für die westdeutschen Bürger hat sich nach der Wende prinzipiell nicht viel geändert. Die Ostdeutschen haben ganz andere Brüche erlebt. Die Sorge nach Geborgenheit und Verlustängsten ist in solchen unsicheren Zeiten groß. Mangelndes Demokratieverständnis und soziale Unsicherheiten helfen sich zu verirren. Hinzu kommen diese kolossalen Informationsmöglichkeiten und Fake News. Jeder kann im Internet seine eigene Wahrheit finden. Und so kann man verführt werden.

Die Politik und die erstarkende politische Rechte kommen in der Dokumentation trotzdem nicht vor.
An einigen Stellen wird schon auf diese Ursachen eingegangen. Aber mit dem Florett und nicht mit dem Holzhammer. Alles zur richtigen Zeit und zum richtigen Ort. Wir brauchen auch ein bisschen Optimismus, etwas, woraus man Kraft sammeln kann. Deshalb haben wir diesen Film jetzt gemacht. Man muss das Gute sehen und das andere kritisch.

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