zum Hauptinhalt
Gründer, Chefredakteur, Herausgeber: Ebenso wie über Henri Nannens Rolle beim Magazin „Stern“ wird immer wieder über seine Zeit während des Nationalsozialismus und der Kriegsjahre diskutiert.

© Fotoreport Stern Hamburg Bokelma/dpa

War Henri Nannen an antisemitischer Propaganda beteiligt?: Keine Ruhe um den „Stern“-Gründer

Eine „Funk“-Reportage über Henri Nannen während des Zweiten Weltkrieges wirft Fragen auf – auch mit Blick auf die Schlüsse der Rechercheure.

Die Vergabe der Henri-Nannen-Preise 2022 wurde auf den 22. Juni verschoben. Das könnte sich noch als glückliche Fügung erweisen. Dem Vernehmen nach erfolgte die Terminänderung zwar vor allem, weil derzeit der Umbau der RTL-Führungsriege – unter anderem wird Gregor Peter Schmitz neuer Vorsitzender der „Stern“-Chefredaktion – viel Aufmerksamkeit auf sich zieht. Aber Aufmerksamkeit wird dem Journalistenpreis in diesen Tagen auch wegen des Namensgebers Henri Nannen zuteil.

Am Dienstag hat ein Rechercheteam des öffentlich-rechtlichen Jugendkanals „Funk“ ein Video veröffentlicht. Es beschäftigt sich 21 Minuten lang mit dem Gründer, langjährigen Herausgeber und Chefredakteur des Magazins „Stern“ und Namensgeber der Henri-Nannen-Journalistenschule und eben des renommierten Henri-Nannen-Journalistenpreises.

Eine Kategorie trägt diesmal den Namen „Geschichte des Jahres – Das hat uns alle bewegt“. Der Funk-Beitrag „Verleger-Legende Henri Nannen: Wie schlimm war seine Propaganda?“ steht zwar nicht zur Abstimmung, bewegt gleichwohl die Gemüter. „Wir haben etwas gefunden, das richtig schlimm ist“, heißt es in dem Video.

[Wenn Sie aktuelle Nachrichten aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Das Video handelt insbesondere von Nannens Zeit als Kriegsberichterstatter mit Propagandaauftrag in den Endzügen des Zweiten Weltkrieges. Es geht um das von der SS geführte „Unternehmen Südstern“, das den Vormarsch der Westalliierten in Italien zumindest verlangsamen sollte. Und es geht um eindeutig antisemitische und rassistische Flugblätter, mit denen die Kampfmoral insbesondere der amerikanischen Truppen gebrochen werden sollte. Juden werden damit als Kriegsprofiteure dargestellt und das krude Bild einer jüdischen Weltverschwörung gezeichnet. Auf anderen Zeichnungen werden Schwarze GIs als potenzielle Vergewaltiger verunglimpft.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Nach den Recherchen des Funk-Formats „Strg_F“ unter anderem in der Staatsbibliothek Berlin – dort befinden sich die Flugblätter – soll Henri Nannen eine führende Rolle bei dieser Propagandaaktion innegehabt und auch Verantwortung für die antisemitischen Flugblätter des SS-Unternehmens „Südstern“ getragen haben. Zudem wird Nannen vorgeworfen, auch nach dem Krieg enge Verbindungen zu Beteiligten des Unternehmens „Südstern“ – speziell zum ehemaligen SS-Mann und späteren „Jugend forscht“-Wettbewerbsleiter Hans Weidemann und dem Zeichner Heinz Fehling – gehalten zu haben.

Neu sind diese Vorwürfe allerdings nur dann, wenn man an bereits vorhandenen und öffentlich zugänglichen Schilderungen aus dem Leben von Henri Nannen vorbeischaut. Die Journalistin und Historikerin Stephanie Nannen hat sich in „Henri Nannen – Ein Stern und sein Kosmos“ ausführlich mit Leben und Tätigkeit ihres Großvaters beschäftigt. Sie zitiert aus Gesprächen mit ihm, mit prominenten Zeitzeugen und stützt sich zudem auf eigene Archivrecherchen.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Ausführlich wird in dem Buch auch auf die Jahre des Nationalsozialismus und des Weltkriegs eingegangen – auf Nannens Anstellung als Sprecher in Leni Riefenstahls Olympia-Epos ebenso wie auf seine Tätigkeit als Kriegsberichterstatter an der Ostfront und in Italien, wo er nach eigenen Worten „Aktivpropaganda“ und „psychologische Kriegsführung“ betrieben hat.

In ihrer Nannen-Biografie von 2013 schreibt Stephanie Nannen: „Fest steht, dass mein Großvater nie Angehöriger der SS-Standarte Kurt Eggers und des Kommandos Südstern war, wie es auch heute noch hin und wieder behauptet wird. Auch in Italien trug er weiter die Wehrmachtsuniform seiner Kriegsberichter-Kompanie, die dem Oberkommando der 10. Armee unterstellt war.“ Nannen war weder Mitglied der NSDAP noch Angehöriger der SS.

Ein Widerspruch wo keiner ist?

Dass in Nannens Entlastungsbericht der Amerikaner somit für die Zeit in Italien das „Unternehmen Südstern“ nicht auftaucht, muss somit im Gegensatz zum Bericht von „Strg_F“ kein Widerspruch sein. Und auch an anderen Stellen ziehen die Rechercheure Schlüsse, die angesichts der Schwere der Vorwürfe bedenklich sind.

Der Vorwurf, Nannen habe diesen Teil seiner Biografie verschwiegen, wird nicht nur durch die Biografie der Enkeltochter widerlegt. Erfordert die Funk-Recherche dennoch eine Neubewertung der Person Nannen? Nach Ansicht des Hamburger Medienwissenschaftlers Stephan Weichert lässt das Video „die Diskussion um die Vergangenheit Nannens in der Nazi-Zeit neu aufflammen“.

Auf die Frage, wie wichtig es 77 Jahre nach Kriegsende ist, sich in einem journalistischen Beitrag für ein junges Publikum mit diesem Teil der deutschen Vergangenheit und seinen handelnden Personen zu beschäftigen, antwortet der Mitgründer des Instituts für Digitale Resilienz: „Warum denn nicht? Gerade jüngere Zielgruppen haben nachweislich großes Interesse an historischen Stoffen, zumal an der Nazi-Vergangenheit deutscher Unternehmen und Persönlichkeiten.“ Nach Ansicht des Medienwissenschaftlers liefert „die Recherche von ,Strg_F‘, sollte das so zutreffen, damit relevante Denkanstöße, auf welchem Fundament das deutsche Mediensystem ruht“.

Und was bedeutet das Funk-Video für die Vergabe der Nannen-Preise? „Wir haben noch nicht entschieden, ob wir auf die Recherchen von Strg_F eingehen“, teilten die Ausrichter auf Nachfrage mit.

Zur Startseite