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Dieter Wedel am Pranger: Die frühere Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) warnt vor einer Vorverurteilung.

© dpa

Vorwürfe gegen Dieter Wedel - wie reagiert die TV-Branche?: Unschuld? Mitschuld? Schuld?

Der Fall Dieter Wedel: Die TV-Sender kennen keine Übergriffe, die Branche will Beschwerdestellen, eine Ex-Justizministerin warnt vor Vorverurteilung.

Vorverurteilung hin, Unschuldsvermutung her – die Geschichte um Dieter Wedel setzt sich ja irgendwie im Kopf der Leser und Zuschauer fort. Drei ehemalige Schauspielerinnen haben dem Regisseur sexuelle Übergriffe in den 1990er Jahren vorgeworfen, Wedel widerspricht. In der Branche ist man von den Anschuldigungen nicht überrascht. ARD und ZDF haben sich bislang nur recht spärlich zu der #MeToo-Debatte in Deutschland geäußert, nun hat sich Christine Strobl zu Wort gemeldet, Chefin der ARD Degeto, der gemeinsamen Filmeinkaufsorganisation der ARD, die rund 75 Prozent der ARD-Fiktion wie jetzt am Freitag „Krügers Odyssee“ oder auch „Babylon Berlin“ produziert.

Das Benennen und das Sichtbarmachen sei sicher ein guter und richtiger Anfang, Willkür und sexuelle Übergriffe zu verhindern, sagte Strobl dem Tagesspiegel. „Die Degeto behandelt das Thema mit großer Sensibilität und Sorgfalt. Es ist auch Chefsache und wir sensibilisieren die Redakteurinnen und Redakteure entsprechend.“ Die Degeto setze bereits bei der Besetzung von Rollen auf klare Strukturen und transparente Verfahren. „Uns sind keine Klagen oder ähnliches bekannt, wir würden diesen aber konsequent nachgehen.“

Ähnliches sagt auch das ZDF, das auf Nachfrage auf eine „betriebliche Beschwerdestelle“ verweist. Betroffene könnten sich an zwei Kolleginnen beim Personalrat wenden. Es habe sich dort noch niemand gemeldet.

In den Landesrundfunkanstalten gebe es bereits seit Langem eine ganze Reihe von Einrichtungen, Anlaufstellen und Vertrauenspersonen, an die sich Betroffene wenden können, und die unverzüglich auf Vorfälle reagieren, sagt ARD-Sprecher Markus Huber. Bei Auftrags- oder Koproduktionen liege die Vertragsbeziehung und deren -einhaltung gegenüber Schauspielerinnen und Schauspielern grundsätzlich in der Hand der jeweiligen Produktionsfirma. "Dennoch stehen die Anlaufstellen in den Häusern natürlich allen potenziell Betroffenen offen."

Dem ZDF lagen keine Hinweise zu den im „Zeit-Magazin“ geschilderten Vorfällen vor. Dort kommen drei Schauspielerinnen zu Wort, die schwere Anschuldigungen gegen Dieter Wedel erheben, bis hin zu erzwungenem Sex. Der wies die Vorwürfe per eidesstattlicher Erklärung als unzutreffend zurück. Auch eine Sprecherin der ARD-Programmdirektion sagte, dem Sender seien die Vorwürfe nicht bekannt gewesen.

Übergriffe kann es nur dort geben, wo Übergriffe möglich sind

Da können schon mal die Augenbrauen hochgezogen werden, dass die Sender sich so überrascht, ja ahnungslos geben. Gehörte und gehört es nicht zur Sorgfaltspflicht, über die Beauftragung der Produktion hinaus sich auch um die Bedingungen der Produktion zu kümmern? Was immer bei den Dreharbeiten geschah und aktuell bei Dreharbeiten geschieht, muss die Auftraggeber kümmern. Übergriffe kann es nur dort geben, wo Übergriffe möglich sind.

Die frühere Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) hat unterdessen im Fall Wedel vor einer Vorverurteilung gewarnt. Es gelte die Unschuldsvermutung, sagte sie der „Passauer Neuen Presse“. „Wenn man Menschen an einen Pranger stelle, mache man sie kaputt. Dem dürften die Medien keinen Vorschub leisten. Gerichtsreporterin Gisela Friedrichsen spricht in der „Welt“ gar von einer „medialen Hinrichtung“. Mit Wedel steht „der erste deutsche Regisseur am Medienpranger“. Weiter: „Unschuldsvermutung, Verjährung, ja einfach nur Ermittlungsarbeit – all das scheint unwichtig zu sein.“

Auch Schauspielerin Sonja Kirchberger springt Wedel bei. „Es gab sehr viele Gerüchte über Affären, aber ich habe nie etwas über sexuelle Übergriffe gehört oder Derartiges gesehen“, sagte Kirchberger der „Bild“. Sie wisse allerdings nicht, was „hinter verschlossenen Türen“ passiert sei.

Die Branche selbst setzt ihre Hoffnung in die Einrichtung einer überbetrieblichen Beschwerdestelle, bei der sich betroffene Frauen anonym melden können. Die Schauspieler setzen sich zudem für verbindliche Compliance-Regeln ein. Wenn Bewerbungsgespräche stattfinden, dürfe dies nicht unter vier Augen im Hotelzimmer sein. Auch Nacktszenen beim Casting seien nicht nötig. Allerdings wendet sich Heinrich Schafmeister von der Schauspielergewerkschaft BFFS gegen eine Überregulierung. „Wir wollen nicht wie verklemmte Hechte herumlaufen.“

Für die Gewerkschaft geht Anti-Diskriminierung über sexuelle Übergriffe hinaus. Frauen seien in der Film- und Fernsehbranche grundsätzlich nach wie vor benachteiligt, sowohl bei der Bezahlung als auch bei der Besetzung. „Wenn wir die Wirklichkeit künstlerisch darstellen wollen, wie kann es dann sein, dass in Filmen auf zwei Männer nur eine Frau kommt?“, bemängelt Schafmeister.

Eine von der Schauspielerin Maria Furtwänger initiierte Untersuchung hat ergeben, dass in Film und Fernsehen vor allem jüngere Frauen dargestellt würden. Bis zu einem Alter von Mitte 30 kämen Frauen und Männer etwa gleich oft vor, aber ab Mitte 30 lautet die Relation eine Frau/zwei Männer. Ab 50 Jahren kommen auf eine Frau drei Männer.

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