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Verstorben: Dieter E. Zimmer.

© Hergen Schimpf Rowohlt

Vom Suchen und Finden: Dieter E. Zimmer ist mit 85 Jahren gestorben

Joyce, Borges, Intelligenzforschung, vor allem aber Nabokov: Der Übersetzer, Autor und Journalist Dieter E. Zimmer ist gestorben.

Anfang vergangenen Jahres muss es Dieter E. Zimmer gesundheitlich schon nicht gut gegangen sein. Dieter E. Zimmer habe sich sehr zurückgezogen und gebe gar keine Interviews mehr, teilte der Rowohlt-Verlag im Januar 2019 mit. Es handelte sich um eine Anfrage zum Schriftsteller Vladimir Nabokov, eines der Lebensthemen des Autors, Übersetzers und langjährigen Redakteurs der „Zeit“. Zimmer sei das „lebende Nabokov-Lexikon“, sagte der Kritiker Michael Maar.

Im Zweifelsfalle wisse Dieter E. Zimmer alles, und man muss sich nur mal in die Anmerkungen der von Zimmer herausgegebenen 24-bändigen Nabokov-Gesamtausgabe beim Rowohlt-Verlag vertiefen, um zu erahnen, mit welcher Leidenschaft und Akribie der Journalist sich seinem Lieblingsschriftsteller gewidmet hat. Das gerne auch mit Interviewbesuchen bei dem publikumsscheuen Schriftsteller, der seine letzten beiden Lebensjahrzehnte in Montreux in einem Hotel verbrachte.

Und es war ja nicht nur Nabokov. Als Übersetzer hat Zimmer Werke von James Joyce, Edward Gorey, Nathanael West, Ambrose Bierce und Jorge Luis Borges ins Deutsche übertragen.

Der 1934 in Berlin-Pankow geborene Zimmer studierte Literatur- und Sprachwissenschaft in Berlin, Genf und den USA. Ab 1959 lebte er in Hamburg und war über vier Jahrzehnte Redakteur der Wochenzeitung „Die Zeit“, rechte Hand des Feuilletonchefs Rudolf Walter Leonhardt, von 1973 bis 1977 selbst Feuilletonchef. Vielleicht war das nicht seine ureigenste Profession, das war wohl eher die des Wissenschaftsautoren. Seit 2000 ist Zimmer als freier Schriftsteller, Kritiker, Übersetzer und Publizist in Berlin tätig. Die Bezeichnungen „Universalfeuilletonist“ oder „Renaissance-Mensch“ sind wohl nicht übertrieben.

„Wir verdanken ihm mehr als den meisten deutschen Lyrikern und Romanciers unserer Tage."

In Sachen intellektueller Neugier konnte es höchstens noch der 1996 verstorbene Philosoph Hans Blumenberg mit Zimmer aufnehmen. Dieser veröffentlichte Bücher und Zeitschriftenartikel zu Fragen der Psychologie, Biologie, Anthropologie, Linguistik oder Intelligenzforschung.

Seit 1989 war Zimmer Herausgeber der deutschen Gesamtausgabe von Nabokovs Schriften. „Was er in dieser Hinsicht als Übersetzer, Herausgeber und Bibliograph geleistet hat, ist so enorm und so exzeptionell, dass es anmaßend erscheinen mag, seine Arbeit mit den üblichen lobenden Sätzen zu bedenken“, schrieb Marcel Reich-Ranicki.

„Wir verdanken ihm mehr als den meisten deutschen Lyrikern und Romanciers unserer Tage. Wozu haben wir die vielen Literaturpreise, die so gern jenen verliehen werden, die schon zehnmal preisgekrönt wurden?“
Seinen ersten Artikel für die „Zeit“ schrieb Zimmer 1959 über – Vladimir Nabokov. Dessen „Lolita“ galt damals als Schundbuch, durfte nicht in die USA eingeführt werden, erschien aber bereits in deutscher Übersetzung bei Rowohlt. Zimmers offenbar letzter Artikel in der „Süddeutschen Zeitung“ 1996 machte sich auf die Suche „ nach dem gelben Mauerstück – Wie Marcel Proust bei Vermeer etwas sah, das gar nicht da ist“.

Vollkommenes lasse sich nicht sichtbar machen, allenfalls für einen Augenblick herbeiwünschen, schrieb Zimmer. „Man sieht es höchstens im eigenen Innern. Draußen lassen sich solche perfekten Stellen nur suchen, nicht finden.“

Wie mit den Schmetterlingen bei Nabokov. Dieter E. Zimmer, der ewige Sucher, ist bereits am 19. Juni im Alter von 85 Jahren in Berlin gestorben, wie der Zeit-Verlag am Montag in Hamburg bestätigte.

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