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„Village X“ auf Arte: „Wer bist du denn?“

Stadt-Land-Clash um Tradition, Moderne und Identitäten: Ein Berliner Modemacher überrascht mit einer absurden Idee Sorben im Spreewald.

sagt Simon Hufeisen, der gemeinsam mit Dominik Bretsch Regie geführt hat. 

Noch ohne Krawatte. Nicht alle Sorben sind von Jan-Henriks (l.) Plan begeistert.
Noch ohne Krawatte. Nicht alle Sorben sind von Jan-Henriks (l.) Plan begeistert.

© Arte/RBB

Ein Fremder erscheint in einem sorbischen Dorf in der Lausitz, der Region vor den Toren Berlins. Brille, viel Gel im Haar, schicker Anzug, auffälliger geht’s nicht: Der Fremde ist Modemacher und Großstadt-Dandy Jan-Henrik Maria Scheper-Stuke.

Er trifft auf Sorben, die gerade ihrem „Kokot“ nachgehen, einem Sommerbrauch zu Pferd, bei dem einem toten Hahn der Kopf abgerissen wird. Spreewald versus Berlin-Mitte. Können diese beide Welten zusammen kommen? Eine spannende Frage, der „Village X“, ein neues Doku-Format auf Arte, nachgeht.

Wie lässt sich Provinz neu betrachten? „Village X“ unternimmt eine Art soziales Experiment. Jan-Henrik, Geschäftsführer der Berliner Krawatten-Manufaktur Auerbach, will aus den uralten Trachten der Region schöpfen und daraus Mode für die Großstadt kreieren („Village X“, Mittwoch, Arte, 23 Uhr 05, auch in der Arte-Mediathek).

Die Sorben reagieren mit Skepsis: Ist das wieder einer, der sie ausbeutet? Ein Immobilienhai? Jemand von der Presse? Die Region ist mitten im Strukturwandel. Der Braunkohletagebau wird stillgelegt. Für viele Ältere ist das eine Existenzbedrohung, die sich auch in den Wahlergebnissen niederschlägt: Die AfD liegt vielerorts bei über 50 Prozent.

Die Grundanlage des Formats ist also ein bisschen so wie in Dürrenmatts „Besuch der alten Dame“. „Wir wollten ein Format schaffen, dass sich spielerisch mit einem wichtigen Thema auseinandersetzt: dem Konflikt zwischen den sehr unterschiedlichen Lebensweisen im urbanen und ländlichen Raum“, sagt Regisseur Simon Hufeisen, der gemeinsam mit Dominik Bretsch Regie geführt hat. Es gebe bisher kein solches Provinz-Format, in dem die Menschen auf dem Land ihre Sichtweisen diskutieren, ohne gleich ins politische abzuschweifen.

Es wurden ein paar Schnäpse mit dem Bürgermeister getrunken

Mit „Streetphilosophy“, ebenfalls ein Arte-Format, hat Hufeisen bereits mit den Menschen in Berlin über die großen Fragen des Lebens diskutiert. Nun soll es mit einem ähnlichen Ansatz aufs Land gehen.

Man merke es ja an den gesellschaftlichen Diskussionen rund um Klimawandel, Rechtspopulismus oder soziale Gerechtigkeit, so Hufeisen: Oft driften urbane und ländliche Regionen in ihrer Beurteilung weit auseinander. „Für uns ist es eine der großen Fragen unserer Zeit: Wie gehen wir eigentlich mit fremden Einflüssen in unserer Welt um, vor denen man sich auch im letzten Dorf nicht mehr verstecken kann.“

Ein teils humorvoller Clash zwischem geschniegelten Großstädter und traditionsbewussten Sorben, der die gerade auch in diesen Zeiten so wichtige Frage nach Identität verhandelt. Mit Zeitlupen, Musik, verfremdeten Bildern, das Ganze, eher Factual Entertainment denn Doku, zielt auf ein jüngeres Publikum, dass sich an die Erzählweise von Netflix &. Co gewöhnt hat. Ein Unterhaltungsformat, das als Zielgruppe sowohl die Menschen in Berlin-Kreuzberg als auch aus Dissen in der Lausitz im Blick hat.

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Als das Team am ersten Drehtag mit Scheper-Stuke in der Lausitz aufschlug, dachte es, das klappe nie, erzählt der Regisseur, die schmeißen uns gleich wieder raus. „Wer bist du denn?“ „Das ist eine Tracht, kein Kleid!“

Es wurden ein paar Schnäpse mit dem Bürgermeister getrunken. Klappt es mit der neuen Auerbach-Kollektion, inspiriert von sorbischen Mustern? Wird hier nicht verraten.

Das Team hatte jedenfalls das Gefühl, die Menschen dort hätten darauf gewartet, dass jemand kommt, um über ihre Themen aus einer anderen Perspektive zu erzählen und sie in einer besonderen Ästhetik zu inszenieren.

Mit Folgen für die Premierenfeier am Dienstag im Technoclub: Das halbe Dorf Dissen hat sich via Reisebus nach Berlin angekündigt. Das zunächst zweiteilige Experiment kann weiter gehen. Aktuell dreht „Village x“ neue Folgen in Italien und Großbritannien.

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