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Mit Produktionskosten wie für einen Hollywood-Blockbuster wurde eine postapokalyptische Welt erschaffen.

© Kojima Productions

Videospiel „Death Stranding“: Ende des Eskapismus

Immer öfter verhandeln nun auch Videospiele die Verwirrungen der Realität. So etwa in „Death Stranding“.

Mit der Leiche der letzten Präsidentin der USA auf dem Rücken stapfen die Spieler zu einer Verbrennungsanlage. Der tote Körper muss eingeäschert werden, sonst wird er geholt – heruntergezogen in ein Jenseits, das einen großen Teil der Menschen Amerikas ausgelöscht hat. Also laufen die Spieler los, versuchen die Leiche so auf ihrem Rücken zu balancieren, dass sie nicht stolpern. Und das ist erst der Beginn der Verwirrung im neuen Videospiel „Death Stranding“, das gerade für die PlayStation 4 erschienen ist und schon jetzt als eines der wichtigsten dieses Jahres gewertet wird.

Die Welt wird immer verwirrender – zumindest ist das der Modus, in dem die Gegenwart beschrieben wird: Verwirrung. Undurchsichtige Firmen beeinflussen den Alltag, unsere Daten werden zur Ware. Die Politik im Zerrkampf zwischen Globalisierung und Nationalgefühlen. Videospiele jedoch schienen lange der Ort zu sein, der frei von diesen Diskursen war. Ein reiner Eskapismus, der diese Verwirrung fern von den Spielern hielt. Hier wussten sie immer, was sie zu tun hatten. Doch nicht erst mit „Death Stranding“ ändert sich diese Narration. Einige Videospiele verhandeln inzwischen dieses Unbehagen der Welt – wenn viele Publisher auch immer noch einiges dafür tun, das zu verneinen.

Ein Ziel: Verbinden statt trennen

In „Death Stranding“ geht es um ein fragmentiertes Amerika. Um ein Land, das zerrüttet ist und wieder miteinander verbunden werden muss – die isolierten Einzelteile zu etwas Ganzem. Diese Erzählung lässt sich in der Spielmechanik wiederfinden, in der die Spieler einzelne Stationen in der Spielwelt miteinander verbinden müssen. Ist der Kontakt zwischen ihnen wiederhergestellt, kann Wissen über den Untergang des Landes aber auch über dessen Wiederherstellung ausgetauscht werden. Was im Spiel durch unheilige Wesen dargestellt wird, die Menschen heimsuchen, enthält freilich auch die Meta-Erzählung der realen USA. Und die Spieler sind mittendrin, laufen durch eine verlorene Welt und können sich lange keinen Reim machen.

Das Baby, dass der Hauptcharakter von "Death Stranding" auf dem Bauch mit sich herumträgt, warnt den Spielern vor Gefahren.
Das Baby, dass der Hauptcharakter von "Death Stranding" auf dem Bauch mit sich herumträgt, warnt den Spielern vor Gefahren.

© Kojima Productions

Dieses Mittendrin-Sein ist wichtig. Denn anders als etwa in einem Film, sind die Spieler hier aktiv. Sie lassen die Geschichte nicht auf sich einprasseln. Wenn ein Videospiel seine eigene Interaktivität ernst nimmt, lässt es den Spielern eine eigene Agenda. Macht sie zur Instanz, die die Spielwelt verändern kann. Sie können der scheinbar endlosen Verwirrung etwas entgegensetzen. „In einem Film können die Zuschauer einfach den Charakteren Vorwürfe machen für das, was sie tun. In einem Videospiel sind es ihre eigenen Entscheidungen“, sagte Hideo Kojima - von dem unter anderem "Metal Gear Solid" stammt - dem Tagesspiegel.

Kojima ist der Kopf hinter „Death Stranding“ und einer der bekanntesten Entwickler der Videospiel-Industrie. „Das Spiel ist in der Zukunft angesiedelt, aber dennoch eine Reflektion dessen, was gerade passiert“, sagt er. In der Vergangenheit hätten Videospiele oft wie Hollywood-Filme erzählt: Keine Zweifel übriglassen, alles für jeden verständlich auserzählen. Mit „Death Stranding“ habe er sich bewusst dagegen entschieden. Die Spieler sollen zweifeln, verwirrt sein. Das Thema sei die Fragmentierung und Einsamkeit der Menschen. Egal ob in den USA, in Europa oder im Internet, überall sei Fragmentierung und Isolation das vorherrschende Problem. Viele Spielern hätten das Gefühl, dem ausgeliefert zu sein. „Aber wenn sie das Spiel durchgespielt haben, merken sie vielleicht, dass sie etwas in der Welt verändern können.“

Diskursiv: ein neuer Games-Trend

Die verwirrenden Diskurse der Gegenwart werden jedoch nicht nur in „Death Stranding“ verhandelt. Kürzlich erschienen etwa zwei Spiele, die sich mit den psychischen Problemen auseinandersetzen, die durch Unsicherheit, Selbstzweifel und Mobbing entstehen können. In „Sea of Solitude“ und „Concrete Genie“ ist es an den Spielern, sich den oft unaussprechlichen psychischen Schmerzen von Menschen auszusetzen – und durch ihre Entscheidungen, ihre Bewegungen mit dem Controller, einen Ausweg zu finden. Oder zumindest ein Verständnis dafür zu bekommen, was vermeintlich harmlose Worte und Taten für weitreichende Auswirkungen haben können.

In „Outer Wilds“ wiederum versuchen die Spieler, verschiedene Planeten zu erkunden. Ihre Bewohner, die Vegetation, die verschiedenen Besonderheiten jedes einzelnen Planeten zu verstehen. Doch nach 22 Minuten wird das Universum immer wieder im Feuer einer explodierenden Sonne untergehen und jeder vermeintliche Fortschritt ist dahin. „Outer Wilds“ mag ein Erkundungsspiel sein, doch spielt es vor allem mit den Unsicherheiten des Lebens und der Idee, das irgendwie doch alles vergebens ist. „Untitled Goose Game“ schließlich ist eines der beliebtesten Independent-Spiele des Jahres. Viele Memes sind schon aus diesem Spiel hervorgegangen und treiben in den Weiten des Internets herum. In dem Spiel geht es um nichts und doch wieder um alles. Die Spieler nehmen die Rolle einer Gans ein, deren Lebensinhalt es ist, ihre Umwelt zu verwirren. Etwa indem sie einen Gärtner nassspritzt. Oder Menschen mit ihrem schrillen Schrei erschrickt. Das Spiel sagt: Du bist eine Gans, mach was du willst – einen größeren Sinn gibt es doch sowieso nicht.

Es wird also deutlich, dass Videospiele immer häufiger bewusst die Diskurse aufgreifen, die die Welt formen und diese auf ihre ganz eigene Art verhandeln – anders als jedes andere Medium. Doch gehen damit nicht alle Entwickler so offen um wie etwa ein Hideo Kojima. Viel zu oft versuchen gerade die großen Studios, jede Verbindung ihres Spiels zur Realität zu verschleiern: In einem Versuch, Spiele unangreifbar zu machen, machen sie sie oft nichtssagend – uninteressant. Oder, um in der Welt von „Death Stranding“ zu bleiben: Sie verscharren die Leiche lieber direkt, anstatt sie auf die Schultern der Spieler zu schnallen.

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