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John Nettles, 68, ist seit 16 Jahren Detective Chief Inspector Tom Barnaby. Am Sonntag startet das ZDF die letzte Staffel. Foto: ZDF

© All3Media

Very, very british: Wie Agatha Christie, nur auf Speed

Viele Morde in Midsomer und Inspector Barnaby mittendrin. Eine Begegnung mit John Nettles.

Ob mit der eisernen Kurbel einer Camera Obscura oder durch einen Mähdrescher, der mittels Autopilot unbeirrbar auf sein Opfer zusteuert: Der Tod in seiner unnatürlichen bis gewaltsamen Ausprägung ist in der südenglischen Grafschaft Midsomer ein häufiger Gast. „Wird denn überhaupt noch irgendjemand in Midsomer übrigbleiben?“, habe ihn die Queen in Sorge um ihre Untertanen gefragt, erzählt John Nettles alias Inspector Tom Barnaby. In seiner Eigenschaft als Officer of the Order of the British Empire versicherte er Ihrer Majestät, dass die Opferzahl in Britanniens beliebtester Krimiserie in Zukunft auf drei bis vier pro Folge reduziert werde.

Hinter der fiktiven Grafschaft Midsomer verbirgt sich Buckinghamshire nordwestlich von London. In der Folge „Leben und Morden in Midsomer“, die am Sonntag im ZDF eine fünfteilige Staffel eröffnet, wird die liebliche Gegend von Offroad-Touristen in ihren Geländewagen durchpflügt. Im Wald finden sie eine halb verweste Leiche. Die Spur führt zu einem unbeliebten Zeitungsbesitzer und Restaurantkritiker, der schließlich mit seinem eigenen Notizzettel-Spieß erstochen wird.

Wie stets bei Barnaby kollidiert die eher konventionelle, epische Erzählweise mit schwarzhumorigen Mordfällen à la Anglaise. „Es gibt in vielerlei Hinsicht eine direkte britische Traditionslinie von Sherlock Holmes zu Barnaby“, erklärt ein höchst entspannter John Nettles. „Sie sind beide Retter der Gesellschaft. Aber noch eher sehe ich die Vorbilder Dorothy Sayers und Agatha Christie für die ‚Midsomer Murders‘. Bei uns geht es zu wie bei Agatha Christie auf Speed: ähnliche Geschichten, aber mit mehr Morden.“

John Nettles ist zum zweiten Mal in Deutschland. In Hamburg sei er vor „einem großen Teich“ fotografiert worden, erinnert er sich. An München beeindruckt ihn der Wiederaufbau der kriegszerstörten Innenstadt und dass ihm im Hofbräuhaus ein Schließfach für seinen Maßkrug reserviert wurde. Nettles, der in Southampton Philosophie und Geschichte studiert hat, kommt gerade von den Kanalinseln zurück. Dort drehte er einen Dokumentarfilm über die deutsche Besatzung während des Zweiten Weltkriegs. Jersey ist John Nettles eng verbunden: Auf der Insel schlüpfte er bis 1991 in die Rolle des lebenslustigen Polizisten Jim Bergerac. Die BBC-Serie „Bergerac“ wurde erstaunlicherweise auch im DDR-Fernsehen gezeigt.

Für den Abend hat sich der Opernfan Verdis „Nabucco“ vorgenommen. „Er versteht von Opern überhaupt nichts“, zischt sein Produzent Brian True-May dazwischen. In mehr als zweihundert Länder wurde „Inspector Barnaby“, den John Nettles seit 1995 spielt, mittlerweile exportiert. „Hugely pleased“, riesig erfreut, sei er über den Erfolg in Deutschland, das wegen seiner eigenen starken Fernsehkrimi-Tradition ein besonderer Markt sei, versichert Nettles in sonorer Baritonlage.

Sein deutscher Synchronsprecher Norbert Langer trifft die sanfte Ironie und das Understatement des Originals in Perfektion. Seit 2005 laufen die „Midsomer Murders“ nach den Romanen von Caroline Graham im ZDF, und das laut Redakteur Stephan Wiesehöfer mit konstantem Erfolg, sprich mit Marktanteilen von 10,4 Prozent bei den meistbegehrten 14- bis 49-jährigen Zuschauern. Seine Erfahrungen als Prominenter hielt der 68-jährige Gentleman-Ermittler mit den hellblauen Augen in einer Autobiographie mit dem launigen Titel „Nudity in a Public Place – Confessions of a Mini Celebrity“ fest. Besonders hartnäckig stellten ihm Australierinnen nach, sagt Nettles: „Die Frauen im Busch scheinen ziemlich einsam zu sein.“

Tom Barnaby ist der seltene Fall eines Provinzkommissars mit intakter Familie. Von der eigentlichen Polizeiarbeit versteht er wie sein kalifornisches Vorbild Columbo zugegebenermaßen wenig. John Nettles wäre es auch lieber, wenn sich seine Film-Frau Joyce, gespielt von Jane Wymark, weniger einmischte: „Ein echter Polizist würde seine Frau niemals einer solchen Gefahr aussetzen. Es sollte wie bei Peter Falk sein: Columbo erwähnt seine Frau ständig, aber man bekommt sie nie zu Gesicht. Wunderbar!“

Im englischen Fernsehen ist Tom Barnaby kürzlich in den Ruhestand gegangen, hierzulande ermittelt er noch ein gutes Jahr weiter. Toms Nachfolge tritt sein Cousin John Barnaby aus Brighton an. Es bleibt also in der Familie. „Neil Dudgeon ist ein bemerkenswerter Schauspieler, der dem Romanhelden sehr viel näher kommt als ich“, meint John Nettles. Wird er zur Freude seiner Fans in einer Gastrolle auftauchen? „Gut möglich, falls mir mal das Geld ausgeht.“ Katrin Hillgruber

„Inspector Barnaby: Leben und Morden in Midsomer“, ZDF, 22 Uhr

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