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Es werden Tränen fließen. Mutter Beimer (Marie-Luise Marjan) und die „Lindenstraße“ werden sich im März 2020 aus dem ersten Programm verabschieden.

© dpa

Verabredet zur Langeweile: Das Fernsehen geht vor die Hunde – und die Zuschauer sind schuld

"Tatort", Talk, "Traumschiff": Wie sich Macher und Publikum im traditionellen TV verbrüdern und das Programm immer öder wird.

Jan Böhmermann kommt am heutigen Donnerstag nach elfwöchiger Sommerpause mit seinem „Neo Magazin Royale“ auf den Bildschirm zurück. Eine Meldung, die sich in einen Kanon einfügt. Nahezu täglich nimmt ein Fernsehmacher seinen Arbeitsplatz wieder ein: „Tatort“-Teams, Talker, Oliver Welke mit seiner „heute-show“ und all die anderen, die den Sommer über auf Erholung programmiert waren.

Das wird die Freunde der jeweiligen Formate freuen – und doch verfestigt sich ein bedenklicher Eindruck. Das (lineare) Fernsehen steckt fest. Das Erwartbare wird von den Machern mit den Erwartungen der Fans abgeglichen, infolge wird fast zwangsläufig auf erwartbares Programm für die Ultras gesetzt.

Beispiele gefällig? „Wer wird Millionär?“ feiert am kommenden Montag nicht nur 20 Jahre, sondern wird wohl bis zum Sanktnimmerleinstag bei RTL fortgesetzt; 14. Staffel „Dschungelcamp“, die 17. Staffel „Deutschland sucht den Superstar“ wird von der Privat-TV-Konkurrenz mit „The Voice of Germany“ (Pro7/Sat1) gekontert, „Das Traumschiff“ läuft für das ZDF wieder aus, die Reihe „Schuld nach Ferdinand von Schirach“ geht am 13. September weiter, im November gibt es 30 Jahre Lena-Odenthal-„Tatorte“ im Ersten.

Publikum wird Stammpublikum

All diese Sendungen werden zweifelsfrei ihr Publikum finden, und zwar ihr ganz bestimmtes Publikum: das Stammpublikum. Zuschauer und Sender von öffentlich-rechtlichem bis privatem System haben sich verabredet, sich gegenseitig nicht mehr zu überraschen, zu provozieren, ins Offene zu verführen.

Dieses Prinzip funktioniert, das lineare Fernsehen hat seinen festen Stand im Gesamtpublikum. Was umgekehrt beträchtliche Probleme aufwirft: Das Medium mit seinem gewollten Kult- und Klassiker-Überhang ist schier nicht mehr willens und in der Lage, sich von Kult und Klassik zu trennen. Hier sind Zuschauer in Fans transformiert worden, die stets mit demselben Programmbreichen gefüttert sein wollen.

Die „Lindenstraße“ wird sich am 29. März 2020 mit einer letzten Folge aus dem ARD-Programm verabschieden. Die (immer weniger werdenden) Fans werden Trauer tragen, ihnen wird ein gewichtiges Stück vom Sonntagsglück genommen. 35 Jahre „Lindenstraße“ sind Minimum zehn Jahre zu viel, der Weekly ist jede gesellschaftliche Aussagekraft abhanden gekommen, dafür hat sich eine gewichtige Wirkkraft herausgebildet: die Gewohnheit. Ein nicht zu unterschätzendes Einschaltmoment, das nicht nur das Erste sorgsam pflegt. Das ZDF hat sich dazu entschlossen, „Soko München“ nach über 40 Jahren im nächsten Jahr zu beenden. Eine Entscheidung, die fassungslos macht? Mehr fassungslos muss den Beobachter machen, was der Erfolg von „Soko München“ ausgelöst hat: die Sokoisierung des ZDF-Vorabends, seine fortgesetzte Verschlichtung.

Dass sich Fernsehmacher und Fernsehzuschauer in ihrer Mehrheit unterhaken, nimmt dem linearen Medium Freude an und Kraft für Innovation. Dass zum Beispiel die ARD die zuschauerträchtigen Talks aus den Dritten – „NDR Talk Show“ oder „3nach9“ – mit dem 24. September ins Erste transferiert, zeugt doch von erstaunlicher Einfallslosigkeit und allerhand Verzweiflung, wie dem bei Quote und Marktanteil schwächelnden ARD-Programm aufzuhelfen sei.

Kein Schrei nach Innovation

Möglichst herrscht auch die Vorsicht vor der Tapferkeit. Das in Fan-Klientelen fragmentierte Publikum schreit nicht nach Innovation. Und wo keiner schreit, da wird der gemeine Senderedakteur auch nicht aufgeschreckt. Er hat sich mit Fernsehen im „Fernsehgarten“- und „Verstehen Sie Spaß?“-Maßstab abgefunden, die eigene Einfallslosigkeit wird mit Importware kompensiert. „Sorry für alles“ im ZDF wurde dem belgischen Original nachgebildet, der Sommerhit „The Masked Singer“ wurde in Korea entwickelt, das vom Zweiten angekündigte Projekt mit einem Chor aus demenzkranken Menschen adaptiert ein BBC-Vorbild.

Oder ist jede Aufregung unnötig? Das traditionelle Fernsehen kann sich, obwohl sich die jüngeren Zielgruppen mehr und mehr verabschieden, auf stabile Nachfrage verlassen,. Die Zahl der älteren Zuschauer wächst beständig, und deren TV-Abhängigkeit wächst mit. 50plus sitzt aktuell im Schnitt 335 Minuten täglich vor dem Fernsehgerät. Das ist ein Rekord, der sich jährlich erneuert.

Sie treffen sich auf dem Bildschirm mit Menschen ihres Alters, siehe Talkerinnen und Talker. Anne Will und Sandra Maischberger sind 53, Frank Plasberg ist 62 und Maybrit Illner, 54, wird in diesem Herbst ihre gleichnamige ZDF-Talkshow 20 Jahre lang moderieren.

Kurt Krömer wird am 3. September auf den RRB-Schirm zurückkehren. Nicht nach einer Sommerpause, sondern nach vier Jahren Fernsehpause. Noch Fragen?

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