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Hauptsache gut, Hauptsache teuer: Abel (Fritz Karl) und Ursel Hradschek (Julia Koschitz) leben über ihre Verhältnisse. In ihrer verzweifelten finanziellen Situation ersinnen sie – frei nach Fontane – einen mörderischen Plan.

© ZDF und Hannes Hubach

„Unterm Birnbaum“ im ZDF: Fontane mit Smartphone und Coffee to go

Uli Edel verlegt die Kriminalgeschichte „Unterm Birnbaum“ um knapp 200 Jahre in die Gegenwart. Einiges bleibt bei der Modernisierung auf der Strecke.

Im August 1885 begann in dem Leipziger „Illustrirten Familienblatt – Die Gartenlaube“ ein Vorabdruck in Fortsetzungen. Ein paar wenige Monate später, im November desselben Jahres, erschien die Geschichte erstmals als Buch. Die Novelle trägt den Titel „Unterm Birnbaum“, sein Verfasser gilt gemeinhin als bedeutendster Vertreter des poetischen Realismus – Theodor Fontane. 2019 ist Fontane-Jubiläumsjahr – der Schriftsteller wurde am 30. Dezember vor 200 Jahren in Neuruppin geboren. An neuen Biographien, Ausstellungen und Hommagen aller Art besteht kein Mangel. Nun genau passend zum Geburtstag des 1898 in Berlin gestorbenen Autors kommt die Verfilmung eben jener Novelle auf den Fernsehbildschirm. Sie ist für den Schriftsteller allein insofern recht ungewöhnlich, als dass es sich um eine kleine Kriminalgeschichte handelt. [„Unterm Birnbaum“, Montag, ZDF, 20 Uhr 15]

Fontane – dessen Romane „Effi Briest“, „Irrungen, Wirrungen“ oder „Der Stechlin“ zu den großen Werken der deutschen Literatur der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gehören, hat seine Kriminalgeschichte „Unterm Birnbaum“ in den Jahren 1831/32 im Brandenburgischen angesiedelt. Die kleine Novelle erzählt vom Ehepaar Hradschek, das gemeinsam einen Raubmord begeht und letztlich daran zerbricht.

Eingebettet ist die Kriminalgeschichte, die bei Fontane eben und vor allen Dingen auch eine Sozialgeschichte ist, in den historischen Kontext jener Zeit, mit präzisen Milieuschilderungen, Lokalkolorit, Plattdeutsch, Kastendenken sowie dem Alternieren zwischen Religion, Aufklärung und Aberglauben.

Ein Zeitsprung von 190 Jahren

Nun also wurde „Unterm Birnbaum“ verfilmt – Regisseur Uli Edel inszenierte das Drehbuch von Léonie-Claire Breinersdorfer „frei nach der gleichnamigen Novelle von Theodor Fontane“, wie in den Vorspanntiteln zu lesen ist. Frei, das ist hier auf allen denkbaren Ebenen wörtlich zu nehmen: Fontanes Kriminalnovelle wird aus den Jahren 1831/32 in das Jahr 2019 transferiert – ein Zeitsprung von knapp 190 Jahren. Da muss mittels Dramaturgie und Inszenierung alles – Setting, Kostümdesign, Kommunikationsmittel, Sprache, Dialoge, Sozialverhalten, Figurenhabitus – glaubwürdig auf das Hier und Heute gebracht werden. Fontane mit Smartphone, Internet und Coffee to Go.

Ein abgelegenes, sichtlich heruntergekommenes Hotel, irgendwo auf dem Land. Es ist die Gegend im Oderbruch. Das Ehepaar Abel (Fritz Karl) und Ursel Hradschek (Julia Koschitz) führt diesen Gasthof als Familienbetrieb. Hier geschieht nicht viel, ein paar umherstehende alte Häuser, das nächste Dorf ist eine Weile entfernt. Die Hradscheks, sie leben über ihre Verhältnisse: Abel pokert gerne, unten im eigenen Lokal, mit dem Herrn Bürgermeister und anderen Spiel- und Sauf-Kumpanen; Ursel wiederum ist kaufsüchtig, ordert ständig online, shoppt im nicht weit entfernten Berlin. Hauptsache gut, Hauptsache teuer.

Das kann nicht lange gut gehen. Eines Abends – sie sitzen wieder einmal auf den gegenüberliegenden Bettkanten, die Rücken weisen zueinander, lange schon geschieht hier nichts mehr – gesteht Abel Ursel, dass sie pleite sind, dass schlicht nichts mehr da sei. Da klingt es wie eine Vorahnung dessen, was da kommt, als Abel einmal sagt: „Das Glück, das hat mich schon verlassen.“

Als sich Abels Gläubiger Schulze (Peter Schneider) ankündigt, steigt der Druck auf die Hradscheks. Da macht Abel eine grausige Entdeckung: Unterm Birnbaum liegt ein Skelett eines Soldaten aus dem Zweiten Weltkrieg. Der Zufallsfund lässt in ihm den kalten Plan reifen, Gläubiger Schulze, der mit einem prallgefüllten Geldkoffer anreist, umzubringen und sich aller Geldsorgen auf einen Schlag zu entledigen. „Wenn der Mensch sich einmal vom Geld leiten lässt, dann ist er verloren.“ Das sagt der Schulze im Lokal vom Hradschek, am Vorabend des Mordes – es könnte als zentraler Kernsatz dieses Stoffs stehen.

Abel bringt Schulze um, in Rückblenden wird es sukzessive gezeigt, in den Erinnerungen seiner labilen Ursel, die dem Druck des schlechten Gewissens nicht lange standhält, Tabletten nimmt, trinkt, haltlos ist in sich, und schließlich, bald schon, unvermittelt stirbt. Hinzu kommen Missgunst und Verdächtigungen des Dorfpolizisten Geelhaar (Devid Striesow) und der allzu neugierig-neidischen Nachbarin Jeschke (Katharina Thalbach). Das Glück, es hat Abel ganz verlassen.

Mit wechselndem Erfolg

Literaturverfilmungen sind eine delikate Sache: wie nah muss man sich an das Original halten, wie weit darf man sich entfernen, wo befinden sich die Grenzen der Werktreue. Es gibt unzählige Beispiele für gelungene wie für misslungene Adaptionen, eine der herausragendsten dürfte, trotz aller gebotenen Kürzungen der epischen literarischen Vorlage, jene von Umberto Ecos „Der Name der Rose“ durch Jean-Jacques Annaud sein. Auch Uli Edel, der Fontane nun modernisiert, hat Literatur auf Kino-Leinwand und Fernseh-Bildschirm gebracht: gelungen ist ihm das zuletzt mit dem „Club der singenden Metzger“ nach Louise Erdrichs Auswandererroman, misslungen 1989 mit „Letzte Ausfahrt Brooklyn“.

Die aktuelle Fernseh-Neuverfilmung ist die nunmehr fünfte Adaption von „Unterm Birnbaum“: vorausgingen Kino- und Fernsehfilme, in denen etwa René Deltgen und Gisela Uhlen erstmals 1945, Heinz Reincke und Eva Lissa 1963, Paul Esser und Agnes Fink 1964, sowie zuletzt 1973 Erik Klein und Angelika Domröse in den Rollen von Abel und Ursel Hradschek zu sehen waren.

Große Fußstapfen, in die Fritz Karl und Julia Koschitz treten müssen. Und diese beiden stets guten Schauspieler, sie tun wirklich ihr Bestes. Doch der holprige Transfer von anno damals ins Heute mag nicht so recht aufgehen, vieles ist bei der Fontane-Modernisierung auf der Strecke geblieben, all die Details, das Feinziselierte. Auch muten einige der Figuren, etwa die des schlichten Dorfpolizisten oder der krächzenden Nachbarin, wie schablonenhafte Klischees an.

Der Fernsehfilm „Unterm Birnbaum“ mag das Fontane-Jubeljahr beschließen. Jedoch, wie würde Effi Briests Vater, eine der meistzitierten Fontane-Figuren überhaupt, hierzu auch im modernen Heute noch sagen: „Ach, Luise, lass … das ist ein zu weites Feld.“

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