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Hier twittert der Chef persönlich. Christian Lindner (FDP) schreibt viele Tweets selbst - aber nicht alle.

© dpa

Twittern oder twittern lassen?: Bullshit und Blondinenwitze

Manche Promis und Politiker zwitschern selbst, andere holen sich lieber digitale Hilfe. Warum ein Linker nicht für die CDU twittern sollte und Social-Media-Manager gefährlich leben.

Bleibt eine Blondine mit ihrem Auto im Schnee stecken.

Sie wollen wissen, wie der Witz weiter geht? Tja, das hätten Sie 2012 „Freie Wähler“-Chef Hubert Aiwanger fragen müssen. Der twitterte den Kalauer nämlich munter in die Welt hinaus; eine Angelegenheit, die ihm postwendend viel Kritik einbrachte und dem Niederbayern überaus peinlich war. Schon nach wenigen Stunden war der Witz wieder verschwunden, ebenso ein dazugehöriger Link auf Aiwangers Facebook-Seite. Der Parteichef behauptete später, einer seiner Mitarbeiter habe sich klammheimlich seiner Social-Media-Accounts bemächtigt und somit den Blondinen-Eklat ausgelöst. „Das habe ich schon damals nicht geglaubt“, sagt der als „Wahlbeobachter“ bekannte Martin Fuchs, der Politiker insbesondere zu ihren Social-Media-Aktivitäten berät. „Da musste sicher nur jemand seinen Kopf dafür hinhalten.“

"Astro Alex" twitterte nicht aus dem All. Das tat die Bodenstation auf der Erde

Für viele Politiker und Prominente ist Social Media unverzichtbar geworden. Doch insbesondere hinter vielen Twitter-Accounts – blaues Verifizierungs-Häkchen hin oder her – steckt nicht nur der Minister oder Promi persönlich, sondern ein mehrere Personen starkes Team. Sie sind die Mannschaft im Hintergrund, von der das mediale Publikum oft nur in Ausnahmefällen erfährt. So wurde erst vor Kurzem bekannt, das „Astro Alex“, Astronaut Alexander Gerst, gar nicht selbst aus dem All getwittert hatte – ein Coup, der ihm bis heute über 200 000 Twitter-Follower bescherte. Stattdessen wurden seine Postings von der Bodenstation gesendet: Die Tweets aus dem All kamen schnöde von der Erde. Gerst erhielt für seine Leistungen das Bundesverdienstkreuz, auch, weil er als „Kommunikator aus dem All“ immens zur Popularität der deutschen Raumfahrt beigetragen hatte. Die Bodenstation ging ordenstechnisch leer aus.

Doch wie erkennt man, ob wirklich der Account-Inhaber selbst getwittert hat – oder doch sein Team? Ein Politiker, der seinen Account sehr transparent managt, ist FDP-Mann Christian Lindner. Twittert er selbst, sind seine Tweets am Ende mit „CL“ gekennzeichnet – seinen Initialen. Schreibt sein Team, steht hinter den Tweets „TL“ – für „Team Lindner“. Diese Kennzeichnung hält Martin Fuchs für überaus wichtig – und rät auch anderen Nutzern dazu, sofern sie ein Social-Media-Team beschäftigen. Denn zum Fall von Astronaut Gerst, der die Herkunft seiner Tweets nonchalant unter die Raumstation fallen ließ, sagt Fuchs: „Das war unredlich, da wurde die Twittergemeinde belogen. Der Vertrauensbonus von Herrn Gerst ist weg.“ Und: „Eigentlich hätte die Bodenmannschaft auch ein Bundesverdienstkreuz bekommen müssen.“

Angela Merkel mag kein Twitter, Olaf Scholz schon. Er kann es nur nicht

Im Grunde ist es etwas überaus Positives und Nützliches, Unterstützung beim Twittern zu haben. Denn anders als beim Otto-Normal-Twitterer scannt die Netzgemeinde Äußerungen von Politikern und Prominenten besonders genau. „Es ist nicht damit getan, einen Tweet oder ein Posting einfach nur zu schreiben“, sagt Fuchs. Stattdessen muss alles vorbereitet, eingestellt und „überwacht“ werden; etwaige Reaktionen müssen beantwortet oder aufgefangen werden. „Man erwartet von einem Politiker beispielsweise auch, dass er medial erreichbar ist und auf Kommentare oder Kritik reagiert“, so Fuchs. Weil eine Einzelperson das aber nur bis zu einem gewissen Grad selbst leisten kann, holen sich viele Politiker professionelle Twitter-Hilfe. Oder verzichten lieber gleich ganz auf den Dienst – wie etwa Angela Merkel (CDU). „Die Kanzlerin hat sich Twitter bereits vor ein paar Jahren angeschaut und beschlossen, dass das nicht ihr Medium ist“, sagt Fuchs. Das findet der Politikberater völlig in Ordnung. Besser ein guter Twitter-Account weniger als ein schlechter zu viel. Davon gibt es seiner Meinung nach nämlich auch einige – obwohl ein Team dahintersteckt. Den Social-Media-Auftritt von Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) empfindet Fuchs beispielsweise, freundlich ausgedrückt, als „den größten Bullshit, den ich je gesehen habe“.

Während Firmen ihre Social Media-Plattformen oft von spezialisierten Kommunikationsagenturen betreuen lassen, kommen die Berater der Politiker meist aus dem parteinahen Umfeld. „Man muss sehr nah an einem Politiker dran sein, um seinen Netzauftritt kompetent betreuen zu können“, sagt Fuchs. Im Idealfall vertreten die digitalen Manager auch die politische Vorstellung und Parteilinie ihres Chefs. „Jemand Parteifremden zu holen, nur weil er Social Media kann, halte ich nicht für optimal“, sagt Fuchs. Bedeutet: Ein überzeugter Linker sollte nicht zwingend für die CDU twittern.

Auch auf Politiker-Accounts darf es "menscheln" - ohne peinlich zu sein

Es gibt auch Politiker, die auf Beratung verzichten und ihre Social-Media-Accounts im Alleingang bestücken. Der thüringische Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) hält es so, ebenso CSU-Rambo Markus Söder – oder Erika Steinbach (CDU), die lieber eine Klage riskiert, anstatt ihren Twitter-Auftritt in fremde Hände zu geben. Familienministerin Manuela Schwesig (SPD) pendelt fast täglich zwischen Berlin und Schwerin und nutzt ihre zwei Stunden im Auto zum Twittern. Generell gilt: Auch bei Politkern darf gemenschelt werden. Zwischen den Zeilen kann ruhig durchschimmern, dass auch ein Abgeordneter nicht nur ein gefühlskalter Partei-Roboter ist. Wie viel Persönliches in Social Media einfließt, entscheidet entweder der Politiker mit gesundem Menschenverstand selbst – oder: er holt sich eben doch Berater.

Social Media-Manager können schnell zu politischen Sündenböcken werden

Das Leben als Social-Media-Manager ist übrigens gefährlich, nicht nur, wenn man für Hubert Aiwanger arbeitet. Als AfD-Frontmann Bernd Lucke kürzlich in Günther Jauchs ARD-Talkshow mit einem Pegida-freundlichen Post seiner Facebook-Seite konfrontiert wurde, lächelte Kontrollwüterich Lucke milde und behauptete, er wisse auch nicht immer genau, was seine Mitarbeiter dort so alles veröffentlichen würden. Der Social-Media-Manager als politischer Sündenbock? Nicht immer. Aber immer öfter.

Bleibt eine Blondine mit ihrem Auto im Schnee stecken. Obwohl von Hubert Aiwanger gelöscht, ist der Witz im Netz immer noch auffindbar. Kleiner Tipp am Rande: Er ist nicht witzig.

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