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Chaos in Berlin? Bei Maischberger ging es um die komplizierte Regierungsbildung.

© Maischberger

TV-Talk "Maischberger" zur Regierungsbildung: Eine Talkshow sollte kein Tattoo-Studio sein

TV-Talkerin Sandra Maischberger wollte mit ihren Gästen das "Chaos in Berlin" besprechen - und Wege daraus. Doch Konstruktives gab es kaum, dafür reichlich Scharmützel.

Eben noch sondiert, jetzt wird tätowiert. Die Jamaika-Eskapisten legen ihre Kontrahenten und das Land unter ihre Botschaftsnadel. Jeder tätowiert jeden. Jeder kriegt den schwarzen Peter unter die Haut, auf die Stirn geritzt, Narrative des Schreckens und des Schauderns werden verbreitet, der Eindruck entsteht, Sondierung sei wie Dritter Weltkrieg. Framing ist jetzt alles.

Die Redaktion von „Maischberger“ tätowiert kräftig mit. „Chaos in Berlin: Regierung verzweifelt gesucht!“ lautet der Titel der Sendung. Klingt wie ein Katastrophenschocker.

Gibt’s Neuwahlen, will die Moderatorin wissen und wer trägt die Schuld am Scheitern? Die Gäste sind: Wolfgang Kubicki (FDP), alle Märchenonkel außer ihm. Malu Dreyer (SPD), GroKo-Gegnerin. Die Stimme der Besonnenheit, Tina Hassel, ARD, findet das große Gezeter angesichts der Herausforderungen, aber auch der Stabilität des Landes absurd. Anton Hofreiter (Bündnis 90/Die Grünen) tritt dem Merkel-Fanclub bei. Nikolaus Blome (Bild-Chefredaktion) attestiert der FDP ein Merkel-Trauma und Ursula von der Leyen (CDU), die Titanin des Weglächelns, begrüßt Hofreiter huldvoll im Fanclub der Kanzlerin.

Von "Gewürge" und einer anderen Welt

Diese Sendung schreibt Fernsehgeschichte: Niemals zuvor wurde das Wort „Märchen“ so oft von einem Politiker zum Brandeisen umfunktioniert. Eure Welt ein Märchen, meine Welt, die Wolfgang-Welt, ist die einzig wahre Welt. Hofreiter: „Ich glaube, sie leben in einer anderen Welt!“ Kubicki gereizt wie nie. Hofreiter und von der Leyen nehmen ihn in die Samariter-Zange. „Die Tür ist auf, die Hand ausgestreckt. Wir können reden!“ sagen beide fast wortgleich. Der FDP-Mann erweist sich als wenig ministrabel.

Von der Leyen zählt auf, dass bei den Sondierungen viele Pakete „klasse“ geschnürt worden seien, Kubicki hält sarkastisch dagegen, es sei ein „Gewürge" gewesen. Der Mann auf dem gelben Wagen kriegt von allen Seiten Prügel, das gefällt Blome nicht: „Es macht keinen Sinn, Herrn Kubicki unterzupflügen, alle sind Schuld. Am Ende sind alle Verlierer.“ Der Journalist betätigt sich auch als Chef-Dramatiker: „Es wird dramatisch. Neuwahlen heißt ja, ihr seid zu bescheuert!“

Und wer ist Schuld? Merkel? Ja, auch, sagt Malu Dreyer, die Kanzlerin sei als Moderatorin zu sehr in Details abgesoffen und nein, wir drücken uns nicht und nein, wir haben noch nicht über Kandidaten gesprochen, falls es denn zu Neuwahlen kommt. Maischberger versucht zu moderieren, doch Kubicki und von der Leyen liefern sich schwer verständliche Insider-Scharmützel.

„Haben wir nicht Glück gehabt, dass die nicht regieren?“ fragt Frau Maischberger Frau Hassel mit Blick auf die Verbalkanonaden der abgestürzten Sondierungsartisten. Frau Hassel spricht den schönsten Satz des Abends gelassen aus: „Mein Oma hat gesagt, man tanzt mit den Bräuten, die im Saal sind.“ Die verkrampften Körper der Talkgäste entspannten sich für Sekunden, ein winziger Moment Heiterkeit.

Neuwahl als unkalkulierbares Risiko

Die Journalistin macht auf den grundsätzlichen Widerspruch in der Talkrunde aufmerksam. Niemand will wirklich Neuwahlen, doch andererseits „stehen alle Schlange, um in die Opposition zu gehen.“ Sie setzt auf den Faktor Zeit, auf den öffentlichen Druck, der sich aufbauen wird und auf die Rolle des Bundespräsidenten.

Blome analysiert, dass die Ergebnisse von Neuwahlen unkalkulierbar seien, daher müssen sich die Parteien ihrer Verantwortung jetzt stellen und einen neuen Anlauf nehmen. Zur Verantwortung des Bürgers, insbesondere aber auch der öffentlich-rechtlichen Medien gehört auch, sich jetzt nicht von der großen Gereiztheit und dem schrillen Gezeter anstecken zu lassen.

Schon die „Hart-aber-fair“-Sendung am Montag verlief im Destruktionsmodus, Maischberger zog nach, kaum konstruktiver. Der Moderationsstil war zu atemlos, die Gästezusammensetzung zu konfrontativ. Jetzt gilt es, genau hinzuschauen: Wer will mir was ins Bewusstsein ritzen? Politische Talkshows jedoch sollen keine Tattoo-Studios sein, sondern Orte, an denen Politik entziffert wird und Argumente unterhaltsam aufeinander prallen.

Fazit: Wenig Argument, dafür Stachelrochen, Tintenfische, Märchenonkel und Bräute ohne Tanz.

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