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Anne Will und ihre Gäste diskutieren über den Sozialstaat.

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TV-Talk "Anne Will" zum Sozialstaat: "Wer bezahlt das?"

Bei Anne Will ging es um den Wandel in der Arbeitswelt, vor allem aber um Hartz IV. Und darüber schwebte ein Begriff, der alles und nichts bedeuten kann.

Deutschland kränkelt zwar an löchrigem Mobilfunknetz und lahmem Breitband-Ausbau, trotzdem soll die Digitalisierung bis 2035 etwa 1,5 Millionen Arbeitnehmer ihren Job kosten. Diese "Arbeitswelt im Wandel" war am Sonntagabend Thema bei Anne Will - inklusive der Frage: Wie muss deshalb der Sozialstaat reformiert werden?

Der Sozialstaat, soviel stand nach wenigen Minuten fest, manifestiert sich für alle Gäste vor allem in Hartz IV. Die SPD, vertreten durch Generalsekretär Lars Klingbeil, will das von ihr selbst eingeführte System umbauen: weniger Sanktionen für versäumte Termine, dafür mehr Weiterbildung.

Jens Spahn, CDU-Gesundheitsminister, der sich spätestens im März dieses Jahres mit seinem "Hartz IV bedeutet nicht Armut"-Zitat ein eher positives Verhältnis zur Grundsicherung bescheinigt hat, will nicht in großem Maßstab an Hartz IV rütteln. "Das Prinzip fordern und fördern muss bleiben", sagte er - übersetzt: Weiterbildung ja, aber auch die Sanktionen sollen aufrecht erhalten werden. Er findet es auch für Akademiker zumutbar, nachts in einer Backstube zu arbeiten. Anne Will und ihre Gäste verpassten die Chance zu fragen, ob Spahn das auch selbst tun würde.

Für Sahra Wagenknecht, Fraktionsvorsitzende der Linkspartei, macht es wenig Sinn, einen Ingenieur um Mitternacht Brot backen zu lassen. Sie kritisierte vor allem, dass Hartz IV so den Niedriglohnsektor fördere - indem Arbeitslose gezwungen würden, Zeitarbeit, nicht passende und untertariflich bezahlte Beschäftigungen anzunehmen. Mit einem bedingungslosen Grundeinkommen von 1000 Euro für jeden Bürger, das Gründer und Aktivist Michael Bohmeyer vorschlägt, kann sich Wagenknecht aber auch nicht anfreunden: Wenn es tatsächlich eingeführt werde, würden ihrer Rechnung zufolge alle anderen Sozialleistungen wegfallen müssen. Die Menschen hätten dadurch also sogar weniger Geld in der Tasche als aktuell.

Jens Spahn hat ganz andere Sorgen: "Wer bezahlt das?" Auf diese berechtigte Frage konnte Bohmeyer nur "alle" antworten, die genauen Erklärungen blieben recht schwammig. Aber: Sein Verein hat bereits 246 Menschen ein Jahr lang ein bedingungsloses Grundeinkommen finanziert. Resultat: "Die Leute sind gesünder, bilden sich weiter, gründen." Zumindest die in Deutschland grassierende Existenz- und Abstiegsangst werde dadurch bekämpft.

Die undefinierbare Wolke "Digitalisierung"

Simone Menne, ehemalige Finanzchefin der Lufthansa und heute Unternehmensberaterin, hatte am meisten Sympathie für Bohmeyers Vorschlag, sieht aber auch die Konzerne in der Pflicht: Die meisten Unternehmen machen zu wenig, um sich und ihre Angestellten auf eine disruptive, durchdigitalisierte Arbeitswelt vorzubereiten. Sie können manchmal tatsächlich nicht - weil der Begriff "Digitalisierung" wie eine große, undefinierbare Wolke über allem schwebt, die alles und nichts bedeuten kann. Dagegen kommt auch das von Lars Klingbeil propagierte "Recht auf Weiterbildung" nur schwer an - immer vorausgesetzt, die Menschen akzeptieren es so begeistert, wie von der SPD vermutet.

Jens Spahn verschließt zwar nicht seine Augen vor Künstlicher Intelligenz, Computern und Robotern, hält es aber für falsch, den Bürgern ständig zu sagen: "In fünf Jahren ist dein Job weg!" - "Fast jede Branche sucht Fachkräfte", sagte er. Allerdings ist es zumindest in einigen Berufen unwahrscheinlich, dass die Fachkräfte von heute auch die Fachkräfte der Zukunft sind. "Es fallen Berufsbilder weg", bestätigte Simone Menne - ein Fakt, dem man nur schwer mit Sanktionen Herr werden kann. Fazit: Nur die Digitalisierung soll definitiv nicht sanktioniert werden.

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