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Überfordert: Die zweifache Mutter Jenni (Josefin Asplund) kommt ohne Tabletten nicht mehr aus.

© SVT/Johan Paulin

TV-Serie „Snow Angels“: In bester skandinavischer Krimi-Tradition

Die gesellschaftskritische Mini-Serie „Snow Angels“ wirft Fragen auf, die oft tabuisiert werden.

So deprimierend wie „Snow Angels“ war lange keine Nordic-Noir-Serie mehr, und das nicht nur wegen der winterlich-düsteren Lichtverhältnisse in der dänisch- schwedischen Koproduktion. Vor allem stehen die „Spuren im Schnee“ für eine Krimi-Serie, die eigentlich keine sein will, sondern vielmehr ein „vielschichtiges Gesellschaftsdrama, das Elternschaft, Kinderwunsch und Verantwortung aus unterschiedlichen Blickwinkeln thematisiert“.

Dabei hat die sechsteilige Mini-Serie genügend Krimi-Bestandteile, vor denen in Streamingdiensten inzwischen gewarnt wird – von expliziter Gewaltdarstellung über Drogenmissbrauch bis zu sexuellen Inhalten. Es geht um Raub mit Todesfolge, unterlassene Hilfeleistung, Tablettensucht und Verletzung der Aufsichtspflicht, die zu einer groß angelegten Such- und Rettungsaktion für ein vermisstes fünf Wochen altes Baby führt, was wiederum für die nötige Spannung sorgt.

[„Snow Angels“, zweimal drei Teile bei One an diesem und nächsten Samstag ab 21 Uhr 55 Uhr und komplett ab Sonntag in der ARD-Mediathek]

Im Zentrum der Handlung steht die tablettenabhängige Jenni (gespielt von „Vikings“-Darstellerin Josefin Asplund), die nach der Geburt ihres zweiten Kindes komplett von den Lebensumständen überfordert ist. Lucas ist anders als es seine fünfjährige Schwester Nicole war kein einfaches Baby. Dabei unternimmt ihr Mann Salle (Ardalan Esmaili) alles nur erdenkliche, um Jenni trotz der prekären beruflichen Situation so weit wie möglich zu entlasten. In der Nacht vor Heiligabend nimmt Jenni so starke Schlaftabletten, dass sie einen Filmriss hat. Als sie aufwacht, fehlt von Lucas jede Spur. Ihre Hoffnung, dass Salle mit seinem kleinen Sohn unterwegs sei, erfüllt sich nicht. Jenni schaltet die Polizei ein.

Hier Verantwortung, dort Verwahrlosung

Damit nimmt das Drama erst recht seinen Lauf. Denn erst Polizistin Alice (Eva Melander, „Rebecka-Martinsson“-Reihe) nimmt den Hilferuf von Jenni ernst. Die Ermittlerin ist gerade in den Dienst zurückgekehrt, nachdem sie sich wegen des Schlaganfalls ihres Mannes eine Auszeit nehmen musste. Während Jenni für eine gewisse Verwahrlosung und Vernachlässigung ihrer Kinder steht, verkörpert Alice Verantwortung und Empathie, auch wenn ein Seitensprung mit einem Kollegen sie vor Probleme stellt.

Ein extrem ausgeprägtes Verantwortungsbewusstsein ist auch Kinderkrankenschwester Maria (Maria Rossing) zu eigen, sowohl im Beruf als auch sonst. Sie kann keine Kinder bekommen, möchte sich aber stärker um ihren erwachsenen, aber autistischen Bruder David kümmern. Doch der lässt das nicht zu, wird sogar gewalttätig, wenn sie ihn anfasst. Zur Familie von Jenni wird sie gerufen, weil das Baby im Kinderwagen in den kalten Hausgang geschoben wurde.

[Tatort Berlin heißt der True-Crime-Podcast des Tagesspiegels. Die aktuellen Folgen können hier angehört oder heruntergeladen werden]

Autorin Mette Heeno und Regisseurin Anna Zackrisson erzählen die Serie sowohl aus der Vergangenheit heraus als auch in die Zukunft hinein. So soll vermieden werden, dass die Suche nach dem Baby und somit der Krimiaspekt im Vordergrund steht. „Dafür bin ich nicht die richtige Person. Das können andere besser“, sagt Heeno, die „Snow Angels“ als Serie um das Thema Mutterschaft angelegt hat.

Auch oft tabuisierte Fragen, wie es sich anfühlt, ein eigenes Kind zu verlieren oder gar nicht zu wollen, will sie stellen – ohne dabei anzuklagen. „Mir war es wichtig, dass es in dieser Geschichte keine Bösen gibt, sondern nur Menschen mit Fehlern.“ Und Fehler macht nicht nur Jenni, die ihr zweites Kind nicht stillen will, weil Nicole dabei ihre inzwischen mit Silikon unterlegten Brüste „zerstört hat“. Wer ist verantwortlich für solche Umstände, das Schicksal oder eine kaputte Gesellschaft?, fragt Heeno und bleibt damit in der sozialkritischen Krimi-Tradition von Maj Sjöwall und Per Wahlöö bis Henning Mankell.

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