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Der Rapper Sido kommt zu der Premiere von Familiye im Cinemaxx am Potsdamer Platz. (Archivbild)

© Gerald Matzka/zb/dpa

TV-Kritik „Hier spricht Berlin“: Wenn Jauch und Sido über historische Gedenktage diskutieren

Der RBB traut sich wieder an eine Talkshow. Der Auftakt von „Hier spricht Berlin“ zeigt gute Ansätze. Doch weniger mundgeblasene Berlinseligkeit täte gut.

Berlin ist eine Stadt, in der vieles geht, aber noch mehr misslingt, in der vieles gedeiht, aber wenig reift. Ein Mysterium bleibt, warum der RBB es bis heute nicht geschafft hat, eine funktionierende Talkshow zu kreieren.

Vor einigen Jahren hatte es mit „Dickes B“ beachtliche Ansätze gegeben, ein zweistündiger, selbstbewusster Talk mit dem wunderbar schnörkelisierenden Jörg Thadeusz und dem Filmorchester Babelsberg. Nur fehlte dem Format der Atem, eine überzeugende zweite Gastgeberin und letztlich wohl auch die Quote.

Nun also greift Berlin wieder an, die Talkonauten kommen. Natürlich ist die weitere Talkshowisierung der ARD keine gute Idee und man wird sehen, ob die Dritten Programme darunter leiden, dass Ankerpunkte wie „3nach9“ oder „Kölner Treff“ nun auch im Hauptprogramm laufen. Eine Identitätsschmelze könnte die Folge sein.

Kluge Gästeauswahl zur Premiere

Nun aber zum Eigentlichen: Der RBB schickt jetzt eine eigene Talkshow ins große diensttägliche Geplauder. Zunächst erschrickt man: Heißt die Sendung jetzt „Hier spricht Berlin“ oder doch „Hier brüllt Berlin“? Soll man, schlaftrunken wie man ist, wachgerüttelt werden? Das Studiopublikum johlt entfesselt, als gelte es, Berlin in der Dezibel-Liga auf den ersten Platz zu setzen. Lautstärke ist hier Leidstärke.

Gegen diesen bestellten Jubel müssen die Gastgeberinnen Jessy Wellmer und Eva-Maria Lemke beinahe anschreien und prügeln ihre Fragen ins Studiorund. Das ist graphisch übrigens ansprechend gestaltet, die Silhouette von Berlin ummantelt die Gäste, das sitzt. Nachzumessen bleibt, ob die Zuschauer nicht in zu großer Distanz zu den Gästen sitzen, es fehlte die Intimität des Lauschens, des Lagerfeuers.

Auch der Abstand zwischen den beiden Gastgeberinnen wird auszuloten sein, sowohl räumlich als auch stilistisch. In dieser ersten Sendung sitzen sie unmittelbar nebeneinander, was Vor- und Nachteile gebiert. Anfänglich sind sie selbst dadurch blind füreinander, sie sehen sich nicht, weil sie zu nah beieinander sitzen. Andererseits bilden sie so das visuelle Bildzentrum, signalisieren Eintracht oder können handfester untereinander agieren.

Die Gäste der Auftaktsendung sind klug gewählt und allesamt Routiniers: Günther Jauch, Sido, Petra Schmidt-Schaller, Thomas Quasthoff, Else Buschheuer und Daniel Krause, der als Deutschland „bekanntester Tätowierer“ angekündigt wurde. Ein verbindendes Thema ist das Monsterjubiläum „30 Jahre Mauerfall“, zu dem fast alle interessante Anekdoten beizutragen haben.

Besser nicht alles ansprechen wollen

Viel spannender als das verbindlich-unverbindliche Anekdotengewimmel ist in diesem Fall das Gastgeberinnen-Duo. Haben sie eine eigene Tonalität? Wie agieren sie? Ist Menschenerkundungstalent erkennbar? Noch, noch fragen beide zu invasiv, in ihren Fragen stecken schon halbe bis ganze Antworten, beide sollten versuchen, offener zu fragen.

Beide wollen zu vieles in die 10 bis 15 Minuten packen, die sie jeweils für einen Gast haben. So handelt sich Jessy Wellmer einmal einen sanften Tadel von Günther Jauch ein: „Sie bringen im Moment einiges durcheinander!“ Mut zur Lücke wäre hier angesagt, nicht alles ansprechen wollen, lieber einen Moment, lieber ein Thema ausreizen. Wenn man so bekannte Gäste hat, Gäste, die mitunter wie zu oft gespielte Schallplatten klingen, dann sollte man sie lieber monothematisch abtasten.

Wellmer und Lemke sind forsch, nicht nassforsch, aber noch fehlt es ihnen am Zwischen- und Kammerton. Beide sind selbstbewusst, gut so, beide haben Präsenz, beide wirken konfliktfreudig. Ihren bilateralen Groove müssen sie noch finden, klar, das wird man erst auf der Strecke beurteilen können, aber sie wirken so, als könnte es was werden. Da sie beide wirken, als hätten sie Rückgrat, sollten sie versuchen, dem Format selbst widerspenstig, souverän entgegenzutreten. Berlin ist eine originelle, raue, mitunter chaotische Stadt, diese Farbe wünscht man sich auch hier.

Dann hätte Jessy Wellmer den spannendsten Moment der Sendung vielleicht noch länger stehen lassen. Günther Jauch und Sido diskutieren kontrovers, wie man mit historischen Gedenktagen, Zäsuren umgeht. Jauch, ganz Bildungsbürger, plädiert für Erinnerungskultur, Sido hingegen für das große Vergessen. Jauch will historische Sensibilität schulen, Sido hasst Oberlehrer. Das wird gerade richtig, richtig spannend, als Wellmer dazwischen geht, den Dialog abbricht, um das neue Album von Sido zu promoten. Das war Panne!

Wenig überzeugen kann der dritte Gastgeber, der Sicherheitsbeauftragte Mangold, der nur als Stimme aus dem Hintergrund tönt und einen humoristischen Sicherheitscheck vornimmt, der auf die Ohren der Gäste gegossen wird. Das klingt wie weichgespülter Kurt Krömer und müsste auch variabler geschrieben sein, um wirklich zu überzeugen.

Auch an dieser Stelle gilt: Hütet Euch vor dieser mundgeblasenen Berlinseligkeit, vor diesem künstlichen Kieztonfall. Wenn „Hier spricht Berlin“ eine Marke werden soll, die sich mit dem Stadtraum und Berlins Image verbindet, dann sollte man versuchen, sich auch gesprächsstrategisch, thematisch, dramaturgisch von anderen Talks abzusetzen. Berlin ist eine Wundertüte, das wünscht man sich von dieser Sendung und den Gastgeberinnen auf Dauer auch. Seid, bleibt, werdet anders!

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