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Nicht anecken. Im öffentlich-rechtlichen Krimi wird von Hanseatisch bis Oberbayrisch fast alles gesprochen. Ostdeutsche Akzente sind tabu, in der „Soko Leipzig“ redet niemand sächsisch.

© ZDF und Uwe Frauendorf

TV-Krimis und ihre Stereotypen: Es droht akuter Vitamin-D-Mangel

Zu wenig Diversität, Hang zu Neurosen und Schwermut: Über Macken und Maschen des deutschen Fernsehkrimis.

Vor nun fünfzig Jahren hat Reinhard Mey gesungen „Der Mörder ist immer der Gärtner“. Das war die Parodie einiger Stereotype damaliger deutscher Film- und Fernsehkrimis. Natürlich mordeten auch Anfang der 1970er Jahre nicht nur die Gärtner oder die Butler. Doch in der pointierten Übertreibung liegt immer ein gutes Gran Wahrheit. Inzwischen haben sich deutsche Krimis zwar längst von der betulichen Anlehnung an angelsächsische Vorbilder à la Agatha Christie und Edgar Wallace emanzipiert. Aber viele Abziehbilder grassieren in neuen Formen auch weiterhin. Besonders im öffentlich-rechtlichen Krimi (ÖRK), dem dominanten deutschen TV-Spielfilmtypus.

Zunächst einmal plagiiert sich der föderale ÖRK nach zentralistischen Mustern gerne selbst. Das bedeutet von Konstanz bis Sylt im Normalkriminalfall: Entdeckung einer Leiche, Anruf bei den Ermittlern, Sprung aus dem Bett oder Büro und ab in den Dienstwagen; mit Banderolen eingezäunter Tatort, am Boden knieender Gerichtsmediziner (hierzulande im Unterschied zu ausländischen Krimis fast immer ein Mann); Kommissar oder Kommissarin oder beide (schlecht ausgeschlafen) schlüpfen unter der Banderole durch und fragen: „Was wissen wir über den Toten/die Tote? Was über den Todeszeitpunkt?“ Gerichtsmediziner murmelt etwas Vorläufiges, Kommissarin oder Kommissar findet beim kurzen Stöbern am Ort sogleich einen fitzeligen Gegenstand, den die Spurensicherung geflissentlich übersehen hat. Dann zurück aufs Revier.

Das ist das Anfangsschema. Mit Variationen. Zu ihnen gehören immer häufiger kurze Rückblenden mit dem Insert „Vor zwei Wochen/Monaten“ und so weiter. Natürlich geschieht Ähnliches auch bei britischen TV-Krimi-Dauerbrennern wie etwa „Inspector Barnaby“.

Nur mit dem Unterschied, dass selbst dort, wo es zwischen Pub, Kirche, Landsitzen, Sport- und Kulturvereinen noch traditionell zugeht, mit jeder Episode auch so etwas wie ein Gesellschaftsbild, ein Stück Großbritannien im Kleinen, entsteht. Bei dem in den 1960/70er Jahre angesiedelten „Jungen Inspektor Morse“ ist es oft sogar ein Spiel mit der Zeit(unterschieds)geschichte.

Im deutschen „Tatort“, „Polizeiruf 110“, den „Sokos“ und vergleichbaren Formaten wird Gesellschaft dagegen eher auf Individual- und Spezialfälle reduziert. Der britische Nebel, den Reinhard Mey noch besang, ist dabei einer weniger romantischen Düsternis gewichen. Denn ARD- und ZDF-Produktionen sind spätestens seit der Jahrtausendwende eher von den skandinavischen Erfolgsserien beeinflusst.

Bäume und Büsche sind meist kahl und die Himmel grau

Figuren wie die dänische Kommissarin Lund oder ihr schwedischer Kollege Wallander haben zwar keine direkten deutschen Nachfolger gefunden, doch orientiert man sich atmosphärisch gerne an dem mittlerweile als „Scandi-Noir“ bezeichneten Nordland-Mordland-Genre.

Das heißt auch für die deutschen Tat- und Spielorte: Sonne und Sommer gibt’s eher selten, Bäume und Büsche sind meist kahl und die Himmel grau, egal ob über der Ruhr oder auf Sylt. Es droht akuter Vitamin-D-Mangel. Und selbst drinnen agiert man meist unter Schwachstrombeleuchtung. Die Fenster der TV-Kommissariate sind ohnehin fast überall blind – weil man in Studios dreht und sich offenbar keine zumindest animierten, geschweige denn animierenden Ausblicke in die Welt leisten kann.

Auch nach Feierabend brüten die deutschen Ermittler am liebsten in Räumen, die außer einem fahlen PC-Schirm gerade noch eine 25-Watt-Bürolampe erhellt. Oder sie sitzen zu Hause in der durchaus schicken Wohnküche vorm Bier oder Rotwein auch nur wie bei Kriegsverdunkelung. Vieles wirkt so: depressiv unterbelichtet.

Nicht übernommen hat der öffentlich-rechtliche Krimi von den Scandi-Noires allerdings die oft kühne, scharf gesellschaftkritische Verbindung von Politik und Verbrechen. Dafür aber den Mangel an Charme und Humor und stattdessen den Hang zu Neurosen und Schwermut. Komödiantische Lichtblicke bot da viele Jahre der Münsteraner „Tatort“ mit Axel Prahl, Jan Josef Liefers und der wunderbaren Christine Urspruch als „Alberich“.

Im Vergleich zu älteren Folgen gehen den Münster-Drehbüchern inzwischen freilich Luft und Witz aus. Amüsante Ausnahmen im ÖRK waren bis jüngst auch Nora Tschirner und Christian Ulmen als Weimarer „Tatort“-Kommissare Dorn und Lessing. Zumindest bis zu Ulmens Krimi-Abgang durch Lessings Tod. So liefert den fast letzten Running Gag in Sachen deutscher Krimi-Humor gerade noch Oliver Wnuk als Kommissar Feldmann in „Nord Nord Mord“: ein schlaumeiernder Polizeiintellektueller und wandelnder Wikipedianer.

Im „Tatort“ (Carol Schuler) aus der Schweiz beispielsweise gibt es andere Stereotypen.
Im „Tatort“ (Carol Schuler) aus der Schweiz beispielsweise gibt es andere Stereotypen.

© ARD Degeto/SRF/Sava Hlavacek

Aber dramaturgisch wird da Humor gleich zur Macke und dient, teutonisch betont, als Markenzeichen. Seit die ermittelnden Grand Old Ladies Hannelore Hoger, Iris Berben oder Senta Berger im wohlverdienten Ruhestand sind und die ergrauten Münchner Tatortler Miroslav Nemec und Udo Wachtveitl als Batic-Leitmayr kurz davor, herrscht dagegen das eher Mürrisch-Depressive oder bestenfalls Knorzig-Eigenbrötlerische. Kommissarin und Kommissar geben sich, apropos Scandi-Noir, als leicht trivialisierte Strindberg-Paare und siezen sich meist nach Jahren noch.

Ermittler Felix Murot in Gestalt des hierfür schauspielerisch runtergedimmten Ulrich Tukur musste im „Tatort“ Wiesbaden gar eigens von einem Hirntumor befreit werden, um auf weniger verquälte Gedanken zu kommen. Und in den „Toten vom Bodensee“ leidet die so smart grimmig guckende Kommissarin Hannah Zeiler (Nora von Waldstätten) noch immer an einem Vater-Mutter-Unfalltrauma.

Kein Wunder, dass in solchen Umfeldern auch in unzähligen Details die Stereotype auffallen. Besonders gefährdete Personen agieren nach Einbruch der Dunkelheit buchstäblich im Glashaus, gut einsehbar hinter erleuchteten bodentiefen Fenstern. Irgendwelche Wohnungstüren, Verandatüren, Kellerfenster stehen für Täter oder Ermittler stets offen; Laptops springen (oft passwortfrei) immer gleich an und in Fernsehern laufen wie vorausgeahnt gerade Berichte zum aktuellen Fall.

Reporter lauern hierfür kreischend vor Polizeistationen. Überhaupt gibt es merkwürdige Vorstellungen von Journalismus. Enthüllungsstorys werden den Betroffenen nie online, sondern immer noch erst mit der Morgenzeitung bekannt.

Warum passiert nie ein Mord im Umkreis des Bundestags?

Oder: bloß nicht anecken. Im öffentlich-rechtlichen Krimi wird vom Hanseatischen bis zum Oberbayrischen fast alles gesprochen. Nur ostdeutsche Akzente sind tabu. In der „Soko Leipzig“ redet niemand je sächsisch. Trotz einiger People of Color unter den Darstellern, trotz Migranten in Opferrollen fehlt es fast völlig an Diversität. Auch der Milieus. Warum passiert nie ein Mord im Umkreis des Bundestags, eines Landtags, im Rathaus, an einem hohen Gericht?

Politik kommt entweder nur, via dubiosen Staatsanwalt, als diffuse „Weisung von oben“ vor oder maximal als Pappnase eines aalglatt korrumpierten Staatssekretärs. Und warum wohl hat es noch nie eine große Rundfunkanstalt zum Tatort, zum eigenen Spiegelbild gebracht?

Härte, gesellschaftskritischen Scharfsinn auch für Clans, Terrorismus, Mafia, überhaupt das moderne organisierte Verbrechen, das existiert fast nur in den Regiearbeiten von Dominik Graf. Erkennbar zuletzt wieder beim zweiteiligen Jubiläums-„Tatort“ aus Dortmund und München. Aber Graf hatte man nur die erste Folge anvertraut, die Fortsetzung fiel sofort ab. Darum wird es Zeit, einmal nachzudenken, was die schiere Überproduktion der immer gleichen Formate ergibt. Not tut eine selbstkritische Befragung, mit dem Blick auch auf den Fantasiestrom der Streamingserien.

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