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Ellen (Susanne Wolff) ist zwar Vormund des kleinen Franz, das Sorgerecht hat sie ohne Adoption aber nicht.

© WDR/Martin Valentin Menke

TV-Film mit Susanne Wolff: Kindergram

Ehe für alle, die sich lieben - noch ist das große Reformvorhaben nicht vollendet. Da kommt der sorgfältige TV-Film "Unser Kind" zur rechten Zeit.

Ein schwarz gekleideter Mann mit schlohweißem Haar tritt ins Freie. Vor seinem Haus öffnet Johannes (Ernst Stötzner) seine Hose und erleichtert sich. Seine Frau Evelyn (Victoria Trauttmansdorff) tritt hinzu, Johannes erklärt, es sei ihm drinnen zu voll gewesen. Kein Strafgericht, keine Entschuldigung, nur Verständnis. Das Paar veranstaltet eine Trauerfeier für seine bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommene Tochter Katharina (Britta Hammelstein). Konventionelle Grenzen haben da für einen Moment keine Bedeutung mehr.

Kristl Philippi (Buch) und Nana Neul (Regie) erzählen eine Geschichte, die von Szene zu Szene durch die Zeiten springt, aber nichts vergisst, was der Zuschauer wissen muss. Am Beginn steht der Tod, der eine Beziehung zerstört, aber nicht deren Liebesverpflichtung. Franz, das Baby, gezeugt aus einer Samenspende, aber ins Leben gerufen durch die Zuneigung zweier Frauen – neben der umgekommenen leiblichen Mutter Katharina deren Freundin Ellen (Susanne Wolff) – kann froh sein, dass er den Wahnsinn um sein Laufgitter herum nicht bewusst erleben muss.

Autorin und Regisseurin leisten perfekte Arbeit. Keine der vielen Tragödien in dieser leisen Tragödie verstecken sie hinter kindlichen Kulleraugen, politischer Empörung oder den Klischees von Helden und Buhmännern. Vielmehr triumphiert die einst als entscheidungsscheue „Süßstoff“-Affinität verunglimpfte weibliche Fernsehkunst: Keine Figur wird verraten. Nicht mal kindisch kindersüchtige Männer oder familienüberdrüssig gewordene Großmütter. Die biologische Entstehung des kleinen Franz schildert der Film mit mitleidiger Ironie. Die Freundin des lesbischen Paares, Natalie (Lisa Wagner), stellt ihren Mann Wolfgang (Andreas Döhler) als Samenspender vor. Das Kind soll künstlich, aber nicht anonym gezeugt werden. Wolfgang verzichtet vorab auf jeden Kontakt.

Die Samensspenderausleiherin Natalie gibt als Begründung für die Ermunterung des Ehemanns zu außerehelichem Lebensdienst den Zeitgeist an: Das Leben solle bunter werden. Die ganze Wahrheit ist der edle Satz nicht, Natalie will, anders als ihr Mann, kein zweites Kind mehr. Vielleicht lenkt die Zeugungsaktion ihn ja irgendwie ab.

Der Film zeigt die Sängerin als Romantikerin

Um den Laufstall des kleinen Franz herum stehen von Anfang an nicht nur gute Feen und altruistische Menschen, sondern die Vertreter einer Gesellschaft, die den Kinderwunsch einer homosexuellen Beziehung und dessen Folgen zu begreifen, erst lernen muss. Die misstrauischste Fee ist das geltende Recht. Es verlangt von lesbischen verheirateten Paaren noch immer, was es bei heterosexuellen Beziehungen als Selbstverständlichkeit ungeprüft voraussetzt: die Überprüfung der Sorgerechtseignung der (nicht gebärenden) Mitmutter durch das Jugendamt.

Im Fall Katharina, die Franz zur Welt brachte, verschärft deren Unfalltod die Lage. Der Film zeigt die Sängerin als Romantikerin, die fällige Unterschriften zur rechtlichen Regelung der Sorge um Franz verzögert, weil sie ihr Glück mit Ellen und dem Sohn ungestört genießen will. Dann ist es zu spät: Unterlagen sind verschwunden, Witwe Ellen bekommt ihre rechtliche Unbehaustheit zu spüren. Die Behördenüberprüfung stört die Trauerbewältigung der verwitweten Mitmutter, die Eltern der toten Katherina beginnen zur Erlangung des Sorgerechts ein falsches Spiel gegen ihre Schwiegertochter Ellen, der biologische Samenvater meldet sich nach dem furchtbaren Unglück aus seiner selbstgewählten Reagenzglaseinsamkeit ins Leben des Kindes zurück und verlangt zumindest Besuchsrechte, denen er ja zuvor abgeschworen hatte.

Dass kein Gemetzel ausbricht, keine Kleistsche Tragödie, keine lautsprecherische Rebellion gegen die schleppende Reform des hergebrachten Abstammungsrechts, liegt an der Spielintelligenz dieses Films. Der Zuschauer muss nachdenken und verstehen lernen. Den trostsüchtigen Großvater beispielsweise, den Stötzner mit verschlagener Bedürftigkeit spielt. Oder dessen Frau: Trauttmansdorff stellt brillant eine zerrissene Spielverderberin dar, die mit verdeckten Karten spielt und ihre Lust an der Berufstätigkeit gegen die Erwartung ewiger weiblicher Kinderliebe verteidigt.

Und auch der vertragsbrüchige Samenspender Wolfgang bekommt Gewicht. Sein Darsteller Andreas Döhler rettet die Figur durch glaubhafte Gefühlsredlichkeit vor den Stereotypen weiblicher Reserve gegenüber Männern, die Vaterschaft ernst zu nehmen versuchen.

„Unser Kind“, ARD, am Mittwoch um 20 Uhr 15

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