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Lauter Narren, lauter Narrative. Elena (Christine Schorn) und Rudolf Gombrowski (Thomas Thieme, v.l.n.r.) sowie Hilde (Dagmar Manzel) und Betty Kessler (Sarina Radomski) bilden einen Teil des zerrissenen Dorfes.

© Stefan Erhard/ZDF

TV-Dreiteiler „Unterleuten“: Im Dorf der Niedertracht und Lügen

Die dreiteilige ZDF-Verfilmung des Juli-Zeh-Romans „Unterleuten“ ist ein intrigenverliebtes Trauerspiel über deutsch-deutsche Seelenabgründe. Und ein Glanzstück.

Am Anfang und am Ende dieser viereinhalb Stunden Fernsehen im fiktiven Ort Unterleuten – er könnte auch Untergeiern heißen, aber Karl May kommt ja nicht aus Brandenburg – sind merkwürdige Warnungen zu hören. Sie klingen nach Brechtscher Zuschauerbelehrung. „Lassen Sie sich nichts erzählen“, spricht eine Off-Stimme über Kornfeldern. „Jeder erzählte seine eigene Geschichte“.

Wie bitte? Keine Wahrheit, nur Narren und ihre Narrative? In der Tat. Eine liebt ihren Zuchthengst mehr als ihren Freund und dessen Anstandsbegriffe. Einer verqualmt mit brennenden Autoreifen seine zugezogenen Nachbarn aus dem Westen. Zwei DDR-Veteranen spielen Klassenkampf, als hätte es die Wende nie gegeben. Ein abgehalfterter Soziologieprofessor aus West-Berlin sucht als Vogelwart einen beruflichen Neuanfang und wird fast zum Totschläger. Eine rachsüchtige Ehefrau befördert eine außereheliche Rivalin und Katzennärrin heimtückisch ins Krankenhaus.

[„Unterleuten – Das zerrissene Dorf“, läuft am Montag, Mittwoch und Donnerstag jeweils um 20 Uhr 15 im ZDF]

Ein Wessi-Investor (Alexander Held) flieht vor den Drogenproblemen seines Sohnes in Grundstücksgeschäfte, ohne Land und Leute im Osten zu verstehen. Die saufende Angestellte (Mina Tander) des luftigen Windmühlenunternehmens Vento Direct spielt mit den Grundstücksbesitzern des Dorfes Unterleuten Monopoly. Dann macht sich die Windsbraut über Los, Vento Direct vom Acker und zieht viel mehr als 4000 Euro ein.

Alle haben einen Schuss

Ein ehemaliger Tierarzt der einstigen LPG „Gute Hoffnung“ (Jörg Schüttauf) steht der Gemeinde Unterleuten als resignierender Bürgermeister vor und wird von einem mäßig begabten Möchtegerndichter (Bjarne Mädel) mit angeblich die Kreativität beförderndem Rasenmähen dauerhaft genervt. Wir sehen, wie der lahmende Poet am Titel seines neuen Stücks feilt: Soll das nutzlose Werk „Freiwild“ oder „Fallwild“ heißen? Die grundlos geduldige Dichtersgattin (Bettina Lamprecht) schneidet derweil als Pathologin Leichen auf. Eine muss schließlich so blöd sein, das Geld ranzuschaffen. „Nutzwild“ könnte da vielleicht noch dem dauermähenden Stückeschreiber als Titel einfallen.

Ja, sie haben alle einen Schuss, die da in Juli Zehs 2016 erschienenen und bestens besprochenen Erfolgsroman „Unterleuten“ durch Brandenburg irrlichtern. Er spielt im Jahr 2010. Ein Nährboden wird da gezeigt, aus dem herauswachsen wird, was die Nation heute aktuell bedrängt: AfD-Versimpelung, Fremdenfeindlichkeit, westliche Arroganz.

Juli Zehs „Unterleuten“ kommt noch ohne Schilderung eines entstehenden Rechtsradikalismus aus. Aber man sieht, anders als Hegel, wie die Gestalt des Lebens alt geworden ist, ohne weise zu werden und im Grau in Grau des Alltags die Eulen der Minerva sich zu Raubvögeln unserer Gegenwart entwickeln.

Dass diese deutschen Menschen, die da im Osten ihre Wunden lecken und die als vom Westen her einwandernde Großstadtflüchtlinge oder als Heuschrecken sich einstmals über die Wiedervereinigung gefreut haben könnten, ist in diesem ausgedachten Dorf der Niedertracht und der Lügen unvorstellbar. Vergiftete Tragik, gebrochene Helden, verlorene Moral – es sind der Dichterin Wille und deren Prophetie. Es gehört Mut dazu, aus einer solchen hoffnungsarmen Vorlage Fernsehen zu machen, ohne an ihrem Pessimismus Schönheitsoperationen vorzunehmen. Mit einem Drehbuchautor wie Magnus Vattrodt ( „Ein großer Aufbruch“, „Zeugenhaus“) und dem Regisseur Matti Geschonneck wäre eine solche Happy- End-Verschmalzung auch gar nicht möglich.

Der ZDF-Produzent Reinhold Elschot und seine Kollegin Silke Pützer haben das auch nicht gewollt und eine ost-west- deutsche Schauspielerelite zusammengebracht. Ökologica-Chef und einstiger Vorsitzender der LPG „Gute Hoffnung“, Rudolf Gombrowski (Thomas Thieme), und der rachsüchtige Ideologie-Loser Krohn (Hermann Beyer) spielen unbeeindruckt von jeder Wendegegenwart das gruftige Drama „Wer hat die DDR verraten?“ weiter. Thieme als unverstandener, unter der Last der Verantwortung ächzender Kümmerer. Beyer, der andere, als ewiger Querulant mit scheuem Angsthasenblick – alte unweise Männer von Gestern. Das Amoral erzeugende Hin- und Her um den Bau der Propeller – es nimmt den Hauptteil der Handlung des Dreiteilers ein – verwirbelt das Denken der ehemaligen DDR-Granden. Wind, ein himmlisches Kind oder eine Kapitalismushexerei? Die alten Hänsels sind ratlos.

Kein Licht, nur Gift

Die neuen vom Westen mit ihren Gretels auch. Ein Klasse-Schauspieler wie Ulrich Noethen als professoraler Westeinwanderer vermag die Selbstverwirrung eines Neu-Ossis zu zeigen. Er baut seine Rolle konsequent als Weg in die Verbitterung auf und wandelt sich beeindruckend vom trägen, ewig beleidigten Ökotheoretiker zum wütigen Machtchaoten. Er verweigert seiner vom Qualm des bösen Nachbarns (Charly Hübner) gequälten Frau (Rosalie Thomass) jede wirkliche Hilfe.

Zwei Westler, die sich erst im wilden Osten als Seelenverwandte entdecken: Der Investor Meiler (Held) und die pathologische Hengstfetischistin Linda Franzen (Miriam Stein, die Rossfrau). Sie zeigen, wie ihre rücksichtslose und egozentrische Kälte im Osten wachsen kann.

Kein Licht, nur Gift? Fast schafft es Dagmar Manzel – sie spielt die Seelenfreundin Hilde des Ökologica-Leithammels Gombrowski – zum Herzen des Zuschauers. Leider wird sie aber das Opfer der vom Ökologica-Paten vernachlässigten Ehefrau Elena (Klischee, zugleich herrlich fies: Christine Schorn). Hildes Gefühlskräfte reichen nur für die Sorge um viel zu viele Katzen, nicht zur Sorge für sich selbst. Leichtes Spiel für eine emotionsgestörte Eifersüchtige.

Aus den Bildern (Kamera: Theo Bierkens, Filmarchitekt: Bernd Lepel) des in 75 Drehtagen entstandenen Films strömt die Hitze des nicht enden wollenden Sommers 2018 heraus, dieser Wetterexplosion, die dem letzten Menschen klar machte, dass etwas nicht mehr mit dem Klima stimmt. „Ein Menetekel“, wie Produzent Elschot im Programmheft schreibt. Die Brandspuren in der Natur passen zur Tragödie der inneren Schrecken.

Wie gerne würde der Zuschauer der Anfangswarnung folgen: „Lassen Sie sich nichts erzählen“. Geht aber nicht.

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