zum Hauptinhalt
Almila Bagriacik als Hatun Aynur Sürücü.

© rbb/Vincent T

TV-Drama über den Mord an Hatun Sürücü: Die Kriegerin

„Ich lag auf der Straße, wo Hatun Sürücü umgebracht wurde“ – eine Begegnung mit der Schauspielerin Almila Bagriacik.

Ein grauer Tag im Januar. Man ist früher dran als verabredet. Die Schauspielerin Almila Bagriacik wartet in einem Café in Mitte. Sweatshirt, Jeans, Turnschuhe, fast ungeschminkt. Die Schauspielerin müsste eigentlich gestresst sein – am Tag zuvor ist sie von einer Theateraufführung aus Mannheim zurückgekommen. 24 Stunden später fliegt sie nach Rio, um eine Rolle zu promoten.

Nicht irgendeine Rolle, sie liegt der 29-Jährigen wohl näher als viele der Produktionen in ihrer noch jungen Karriere: „Nur eine Frau“, die Geschichte der Hatun Aynur Sürücü, die am 7. Februar 2005 von ihrem Bruder an einer Bushaltestelle in Berlin-Tempelhof erschossen wurde, weil sie sich gegen die Traditionen der Familie gestellt hatte.

Ein Film, der einen nicht loslässt. Und das nicht nur wegen des Stoffs. Hatun Sürücü ist 17, als sie aus ihrer arrangierten Ehe in der Türkei nach Berlin flieht, sich mit ihrem Sohn vom gewalttätigen Ehemann trennt, das Kopftuch ablegt, eine Lehre als Elektroinstallateurin beginnt und einen deutschen Freund hat. Das ist ihr Todesurteil. Regisseurin Sherry Hormann lässt Bagriacik im Film diese – Hatuns – Geschichte aus dem Off erzählen. Ein packender Ansatz.

Almila Bagriacik schaut aus dem Fenster, erinnert sich an den Dreh. „Ich weiß noch ganz genau, wie ich da auf der Straße auf dem Boden lag, wo Hatun Sürücü umgebracht wurde. Dann kam das Leichentuch. Ich dachte nur: Und jetzt? Jetzt ist es vorbei oder was?“

Und dann? „Dann kam dieser Drang, zu sprechen. Wenn jemand stirbt, kommen alle zum Reden. Aber die Person, um die es geht, hat nichts mehr zu melden. Es ging nicht darum, die Geschichte eines Opfers zu erzählen.“ Man dürfe nicht vergessen, dass beim Thema Zwangsheirat auch Männer involviert sind. Die wollen das vielleicht auch nicht und hören auf ihre Familien.

Das Thema hat Bagriacik gepackt. Das Müsli, das sie bestellt hat, wird während des einstündigen Gesprächs nicht angerührt. „Aynur sagt im Film, meine Familie ist nicht wie viele andere türkische Familien. Sie ist streng traditionell.“

Da sind auch andere türkische Familien. So wenig schwarz-weiß gedacht sollte es sich beim Thema Kopftuch verhalten. „Hatun Sürücü hat angefangen, die Zwangssituation, auch die mit dem Kopftuch, zu hinterfragen.

Es gibt aber Frauen, die das Kopftuch tragen wollen.“

„Das sind die Traditionellen!“

Dann fände sie es fast genauso schlimm, wenn die Gesellschaft sagt: „Du armes Mädchen, du weißt nicht, wie du unterdrückt wirst“. Das sei auch Bevormundung. In „4 Blocks“ zum Beispiel trage Bagriacik das Kopftuch wie eine Krone. Es gehe nicht darum, zu sagen: „Das sind die Traditionellen!“ Es gehe um gesellschaftlichen Druck, unter dem sogar Hatuns Familie leidet, Vater, Mutter, Brüder. Das könne man auf andere Kulturen übertragen.

Andere Kulturen – natürlich wird die deutsch-türkische Schauspielerin nach eigenen Erfahrungen gefragt. Bagriaciks Familie lebte in Kreuzberg, wie die Sürücüs. Im Juli 1990 in Ankara geboren, mit fünf Jahren nach Berlin gekommen, ihre Eltern Journalisten, bilingual, deutsch-türkisch aufgewachsen.

Sie hat sich nicht für eine Kultur entscheiden müssen? „Gar nicht. In meiner Familie wurde das als Reichtum angesehen, sowohl die eine Kultur auszuleben als auch die andere. Wir Muslime haben ja auch schöne Traditionen, nicht nur Traditionen, die uns Regeln vorschreiben, Feste zum Beispiel, die man feiert. Türkische Kultur, Musik und Gedichte.“

Auf der anderen Seite gebe es Dinge in Deutschland, die sie wirklich schön findet. Dazu gehörte der Weihnachtsbaum, den sie gegen den Willen ihres deutschen Freundes haben wollte, und der Schrebergarten, in dem sie gerne sitzt und ihre Texte lernt.

Almila Bagriacik hat eine uneitle, angenehme Art, die einen vergessen lässt, dass man es mit einer der angesagtesten Schauspielerinnen ihrer Generation zu tun hat. Der Gedanke greift hier nicht: Nur weil Schauspieler ihren Job gut machen, heißt das nicht, dass sie Dinge sagen, die es wert wären, öffentlich verbreitet zu werden.

Der Film musste offenbar zu ihr kommen. „Bei uns zu Hause war es immer politisch, ich bekam alles mit, weil meine Eltern journalistisch davon berichteten, auch vom Fall Sürücü.“

Als 14-Jährige habe sie da komplett zugemacht. „Ich hatte permanent damit zu tun, zu zeigen, dass es auch zivilisierte Türken gibt.“ Immer dieses Sich-beweisen-Müssen. Sie ging auf Tunnelblick. „Das war pubertäre Arroganz von mir.“ Umso schöner, dass das Thema mit „Die Fremde“ 2008 und mit „Nur eine Frau“ auf sie zurückgekommen ist, sodass sie sich heute damit befassen muss, und zwar unglaublich intensiv. „Jetzt gehen die Scheuklappen auf.“

„Beim ,Tatort‘-Casting wurde eine Schwedin Ende 30 gesucht."

Hoffentlich auch bei einem Millionenpublikum am Mittwochabend im Ersten [„Nur eine Frau“, Mittwoch, ARD, 20 Uhr 15]. „Nur eine Frau“ lief im vergangenen Jahr mit guten Kritiken in den Kinos, Höhepunkt eines rasanten Jahrzehnts. Nachdem sie 2006 in einem Kreuzberger Klub von einem Fotografen entdeckt wurde, ging es steil bergauf: das Drama „Die Fremde“, die Rolle der Semiya Simsek in der NSU-Trilogie „Die Opfer – Vergesst mich nicht“, 2017 der Deutsche Schauspielpreis, die Serie „4 Blocks“, seit 2018 an der Seite von Axel Milberg im Kieler „Tatort" als Mila Sahin, als jüngste „Tatort“-Ermittlerin. Fast immer die Rolle der Türkin, der Araberin.

Keine Angst vor Rollen-Schubladen? Sie schmunzelt. „Beim ,Tatort‘-Casting wurde eine Schwedin Ende 30 gesucht. Das bin ich offenbar nicht.“

Natürlich gebe es bei ihr den türkischen Background. Die Gemeinsamkeiten bei ihren Rollen seien doch vielmehr: die starken Frauen, die auferstehen. Auch demnächst in der Berlinale-Perspektive-Reihe im deutsch-griechischen Film „Im Feuer“: Almila Bagriacik als Bundeswehrsoldatin und gebürtige Kurdin im Irak, die kurdische Soldatinnen ausbildet, die gegen den IS kämpfen.

Sie überlegt kurz, rührt zum ersten Mal an diesem Morgen in ihrem Müsli. Diese Rollen, das seien ja alles Kriegerinnen: die Hatun Sürücü in „Nur eine Frau“, die Amara Hamady in „4 Blocks“, die stolz ihr Kopftuch trägt, die Soldatin, sie kämpfen für das, was sie als richtig empfinden. „Privat wünschte ich, ich hätte ein bisschen mehr die Kraft, die meine Rollen haben.“ Das kann man kaum glauben.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false