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Klaus Barbie, der "Schlächter von Lyon", bei seinem Prozeß

© Arte

TV-Dokumentation: Warum "Schlächter" Klaus Barbie erst nach 40 Jahren vor Gericht kam

Klaus Barbie, Gestapo-Chef von Lyon, galt als einer der größten Kriegsverbrecher. Nach Kriegsende lebte er unter falschem Namen in Bolivien. Erst 1983 wurde er nach Frankreich ausgeliefert - das Ergebnis eines politischen Deals.

Das Aufspüren eines Kriegsverbrechers ist das eine. Die Überstellung in das Land und an den Ort seiner Gerichtsbarkeit ist das andere. Dazwischen liegen häufig Welten und Zeiten. Im Falle von Klaus Barbie, der während des Zweiten Weltkriegs als Gestapo-Chef von Lyon Tausende von Folterungen, Morden und Deportationen persönlich verfügt hatte, waren es gleichsam tektonische Verschiebungen der politischen Konstellationen von Regierungen und Geheimdiensten beiderseits des Atlantik. In Europa involviert waren Frankreich und die Bundesrepublik Deutschland, in Amerika Bolivien und die USA. Dabei soll es sich um eine "affaire d’Etat" in einem doppelten Wortsinn gehandelt haben, um eine "Staatsaffäre" und um einen "Kuhhandel" — so die These einer Dokumentation von Bertrand Delais, die nach der Idee des mehrfachen Präsidenten und Vizepräsidenten von Arte, Jérôme Clément, unter dem Titel "Operation Barbie" heute zur Ausstrahlung kommt.

Barbie wurde 1971 unter falschem Namen lebend in Bolivien ausfindig gemacht — seit Kriegsende erhielt er immer wieder Zahlungen und Protektion nicht nur von dortigen Ministerien, sondern auch von der CIA und vermutlich vom BND. Aber erst 1983 wurde er an Frankreich ausgeliefert. Ursprünglich hatte es auf eine Entführung hinauslaufen sollen: Die unermüdlichen Aufklärer von Nazi-Verbrechen Serge und Beate Klarsfeld, der einstige Che Guevara-Gefährte Régis Debray und der bolivianische Journalist Gustavo Sánchez Salazar hatten einen Fahrer und ein Auto organisiert, mit denen Barbie Anfang 1973 gekidnapt und über Chile nach Frankreich zu verbringen war. Möglicherweise hatten sie unterschiedliche Motive, das machen mehrere Interviews in Delais’ Film deutlich: Den einen ging es vor allem um eine Symbolfigur brutaler Verfolgung und Vernichtung der französischen Juden, den anderen um eine Verkörperung blutiger Unterdrückung von Résistance und politischer Opposition. Doch Barbie wurde zeitig für ein paar Wochen in bolivianische Schutzhaft genommen, und Chile war bald, mit dem Putsch gegen Präsident Allende im September desselben Jahres, als Transferland ausgeschlossen. Die Monate dazwischen lässt der jetzige Dokumentarfilm leider im Unklaren.

Waffen gegen Barbie - so lautet der Kuhhandel

Bewegung in die Verfolgungssache Klaus Barbie kommt nun zu Beginn der 1980er Jahre. In Frankreich regiert erstmals ein Kabinett der sozialistischen Partei, in Bolivien nach jahrelanger Selbstzerfleischung mehrerer Militär-Juntas erstmals ein Linksdemokrat. Nun komme endlich, so die herrschende Meinung, der Ethos der Gerechtigkeit zum Zuge, zumal im Elysée-Palast ein "romantisches Zeitalter" anbricht. Ausschlaggebend ist allerdings Profaneres, wie der jetzigen Dokumentation zu entnehmen ist: Die USA, bis dato Protektoren der bolivianischen Juntas und ihrer Dienstlinge, unter ihnen Barbie, lassen diese aufgrund ihrer Verbindungen mit den dortigen Drogenkartellen fallen. Und der neugewählte bolivianische Präsident braucht schwere moderne Waffen für seine Polizeikräfte, um sich gegen das putschbereite Militär im Lande zu schützen. Es ergeht ein Hilferuf nach Frankreich, und dort ist man zu umfänglicher Bereitstellung der Waffen bereit — vorausgesetzt, Klaus Barbie werde nach Frankreich abgeschoben. Es gibt offenbar so etwas wie einen lange geheimgehaltenen "Deal". Dass auch Staatspräsident François Mitterrand schließlich zustimmt, ist wiederum auf ein Streben nach Machterhalt zurückzuführen: Er habe gespürt, so der zeitgenössische Justizminister Robert Badinter, dass ein großer Prozess gegen Barbie in Frankreich die eigene Regierung zu stärken vermag.

"Operation Barbie: Kuhhandel, Staatsaffäre", Arte, Dienstag, 21 Uhr 45

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