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Drogen, Vaterhass, Sexualität. Eric Stehfest und die Therapeutin Livia Brandão. Das Format soll auch aufzeigen, wie wichtig Psychotherapie ist, in einer Zeit, in der viele Menschen durch Auswirkungen der Pandemie unter psychischen Störungen leiden.

© TVNow

TV-Boom der Therapie-Formate: Seele in Serie

Heilung als öffentlicher Prozess und Streamingserie: Schauspieler Eric Stehfest lässt sich bei der eigenen Psychotherapie filmen.

Der Vater als Feindbild, die Sexualität gestört, große Angst, andere Menschen zu enttäuschen, nicht mehr zu funktionieren – was den Schauspieler Eric Stehfest beschäftigt, ist so oder so ähnlich Thema von Tausenden Therapiesitzungen jeden Tag auf der Welt. Auch Autoren treiben diese Fragen und Stoffe um. Erst die US-Serie „In Treatment“ nach der mehrfach ausgezeichneten israelischen Vorlage „Be Tipul“, dann die französische Version „In Therapie“, eines der meistgesehenen Formate in der Arte-Mediathek.

Bei Eric Stehfest ist es keine Fiktion, sondern Wirklichkeit, und mit der wagt sich der Schauspieler ab Montag in eines der ungewöhnlichsten TV- und Streamingserien der jüngeren Vergangenheit an die Öffentlichkeit: die Doku „Eric gegen Stehfest: In Therapie“ auf TVNow (ab Montag).

Seelische Heilung als öffentlicher Prozess: Zwölf Sitzungen à 45 Minuten, zusammen- und quer geschnitten auf 15, 20 Minuten pro Folge mit Szenen aus dem Leben des Mannes, der vor allem auch mit Drogeneskapaden von sich reden machte. 31 Jahre alt, zweifacher Vater, bekannt wurde Stehfest mit der Soap „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ und Shows wie „Dancing on Ice“.

Er besuchte die Leipziger Schauspielschule, kaufte zwischen zwei Kursen in Tschechien schnell mal Drogen für den Eigenkonsum. Später schrieb er die Autobiografie „9 Tage wach“, die 2020 von ProSieben mit Jannik Schümann verfilmt wurde. Das Buch war ein Bestseller, der Film erhielt überwiegend gute Kritiken.

Nun diese krasse Geschichte also als Seelenerkundung im  Streaming. Viel Er-Klärungsbedarf. Stehfest und seine Frau Edith haben sich nach dem Finale besagter Show vor anderthalb Jahren aus der Öffentlichkeit zurückzogen. Das junge Paar musste sich vor Gericht mit einer Vergewaltigung Edith Stehfests auseinandersetzen. Vor sieben Jahren wurde sie von einem 35-jährigen Mann mit K.O.-Tropfen betäubt und vergewaltigt. Hinzu kamen die Pandemie und die Geburt ihres zweiten Kindes.

Toxische Männlichkeit auflösen

In den Sitzung erzählt Stehfest dies alles der Therapeutin Livia Brandão. Und den Zuschauern von TVNow. Warum tut er das? „Ich überprüfe vor allem mein Bild von Männlichkeit, Hierarchien in einer Partnerschaft und Gleichberechtigung“, sagt der Schauspieler dem Tagesspiegel. Er denke, dass darin der Schlüssel liegt, seine eigene toxische Männlichkeit aufzulösen.

„Das Format zeige auf innovative Art, wie wichtig psychotherapeutische Arbeit ist, in einer Zeit, in der viele Menschen durch die Auswirkungen der Pandemie unter psychischen Störungen wie Depressionen oder Angstzuständen leiden.“

Das Format zur richtigen Zeit? Der Titel ist ein wenig Etikettenschwindel für diejenigen, die bei den hypnotischen, süchtig machenden Serien wie „In Therapie“ auf den Geschmack gekommen sind, in der die besten Autoren Frankreichs die unterschiedlichsten psychischen Folgen der Terroranschläge im Pariser Bataclan 2015 mit den unterschiedlichsten Protagonisten auf der Couch zusammen geführt hatten.

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TVNow ist näher am RealDoku-Format, Privatfernsehen. Keine Reflektion über die therapierte Gesellschaft. Die Streamingshow mit Stehfest spielt nicht nur im Behandlungsraum und steht unter Narzissmusverdacht (wer tut das nicht im Fernsehen?).

Als sie mit den Dreharbeiten begonnen hatten, sagt Stehfest, bekam er den Hinweis, sich die US-Serie „In Treatment“ anzuschauen, die Version mit Gabriel Byrne als Psychotherapeuten Paul Weston, der jedermanns Probleme löst, aber mit seinen eigenen überfordert ist. Der Look habe Stehfest gut gefallen, doch nach wenigen Minuten machte er die Serie wieder aus. „Ich wollte verhindern, dass das auf mich Einfluss nimmt.“ Was ihm sofort auffiel war, dass er als Zuschauer emotionalen Schutz hatte, da er unterbewusst wusste, das sind Schauspieler*innen, und es gab ein Drehbuch. Diesen Ausweg gibt es auf TVNow nicht.

Klar, das hat auch was Exhibitionistisches, sich in der medialen Form so zu öffnen, „Ich fühle mich sehr oft so, als würde in mir ein Amerikaner stecken“, sagt der Schauspieler. Ein derartiges Format habe es noch nicht gegeben, wenn, dann nur in Amerika. Er sehe sich als Meinungsmacher für viele Jugendliche. Stehfest möchte sich als positives Beispiel zeigen, dass es immer einen Weg gibt, gesund und lebensfroh seinen Weg zu finden.

Eine Reise auch ins Bewusstsein einer Trennung von privater und öffentlicher Figur. Hier will sich jemand auf intime und ehrliche Weise heilen, indem ihm alle zuschauen. Warum auch nicht?

Schwer zu sagen, ob dabei die Darstellung der Real-Therapeutin gegenüber ihrem prominenten Patienten glaubwürdiger ist als die von Paul Weston (Gabriel Byrne), um dessen Therapeuten-Lizenz im wahren Leben wohl zu fürchten wäre. Andererseits: Den Richtern im GerichtsFormaten des Privatfernsehens hat man auch nicht jedes Wort geglaubt. So oder so, gerade unter der Einwirkung der Corona-Pandemie dürfte das TherapieThema noch des öfteren auf den Bildschirm kommen.

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