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Amerikaner, weiß, männlich, breitschultrig. Auch bei John Krasinski als Jack Ryan fehlen diese Attribute nicht. Wenngleich seine Figur nuancierter ist.

© Jan thijs/Amazon Studios

"Tom Clancy's Jack Ryan": Der Moment des Patrioten

Action-Analyst: John Krasinski spielt „Tom Clancy’s Jack Ryan“ für Amazon Prime Video. Eine Thrillerserie, überlegter als "Homeland" und "24"

Alec Baldwin, Harrison Ford, Ben Affleck, Chris Pine und jetzt John Krasinski. Wenige Blockbuster haben sich so sehr mit den Attributen „Amerikaner, weiß, männlich, breitschultrig“ verbunden wie die Figur des Jack Ryan. Ein Charakter den der 2013 verstorbene US-Großschriftstellers Tom Clancy wieder und wieder in die Bestsellerliste platziert hat. Jack Ryan, der vom Marine zum CIA-Analysten zum US-Präsidenten mutierte und sich dabei zwischen das amerikanische Volk und all die Bösen in aller Welt gestellt hat. Er schafft das ohne die (übernatürlichen) Qualitäten anderer Superhelden wie Batman, Superman oder Spiderman – er schafft es durch seinen Intellekt, durch Entschlossenheit bis zur Verbissenheit, durch Führungspersönlichkeit, einen klaren moralischen Kompass. Mr. Normal goes Mr. Superhero.

Big man, big movie picture, aktuell: little big man, big TV picture. Amazon Studios hat Carlton Cuse und Graham Roland mit „Tom Clancy's Jack Ryan“ beauftragt. Cuse und Roland, das sind ausgebuffte TV-Profis, deren Marktwert mit „The Venture“ und „Lost“ mehr als fixiert ist. Cuse sagte nach der Weltpremiere der achtteiligen Serie beim Fernsehfestival in Monaco, „erst wollten wir ein Buch von Clancy verarbeiten, dann aber fanden wir es deutlich herausfordender, interessanter, die Serie mit aktuellen Ereignissen, mit dem Terrorismus im Mittleren Osten zu verbinden“. Sein Co-Autor Graham Roland – beide sind auch als Executive Producer engagiert – ergänzte, „unsere Jack-Ryan-Produktion ist mehr ein Feature-Film, sehr real, von hoher Authentizität“.

Serie wie ein Acht-Stunden-Film

Die Autoren wie auch John Krasinski, der die Titelrolle spielt, betonten, die Serie sei mehr ein Acht-Stunden-Film, weil die Figuren breiter, tiefer und dreidimensionaler entwickelt werden können als in einer zweistündigen Kinoversion. Nach Aussage von Carlton Cuse zeigt dies auch, wie sehr die Kino- und Serienwelten miteinander verschmelzen. Ein Jack Ryan funktioniert auf beiden Ebenen.

Der von John Krasinski (Sitcom „The Office“, 2018 Regisseur des Horrorerfolgs „A Quiet Place“) ist vielleicht Anfang, Mitte 30. Als Marine hat er einen Hubschrauberabsturz überlebt, was ihm permante Schmerzen im Rücken und ein ordentliches Trauma eingebracht hat. Der Doktor der Ökonomie hat den Finanzsektor verlassen, seit vier Jahren arbeitet er bei der CIA, als Analyst. Dr. Ryan fährt mit dem Fahrrad zum Arbeitsplatz, wie es Analysten in der zweiten, dritten Reihe eben so tun. Und er rudert, um seinen ruhelosen Geist zu kalmieren.

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Dabei kann es selbstredend nicht bleiben. Ryan deckt ein Muster in der Kommunikation und in den finanziellen Transaktionen von mutmaßlichen Terroristen auf. Sein Vorgesetzter James Greer (Pierce Wendell) ignoriert ihn arrogant, Ryan umgeht ihn stante pede, plötzlich finden sich beide im Konfliktfeld Jemen wieder. John Krasinski sagte beim Gespräch über seine Figur, der Zuschauer könne ihr beim Wachsen zusehen. Jetzt erlebt er ihn bei seinem ersten Einsatz im Feld.

Die Transformation des Jack Ryan beginnt, weg vom Schreibtisch-Fleißigen und hin zum Tat-Menschen. Nicht mit der Superknarre, sondern mit dem Superhirn. Es wird ordentlich viel geschossen, die Actionszenen sind dank des Amazon-Investments aufwendig, doch diese Jack-Ryan-Version stellt nicht Shoot-andKill ins Zentrum, ihr Ehrgeiz liegt bei den Figuren. Jack Ryan ist ein nuancierter Charakter. Die Terrorgruppe, die mit Zerstörung auf globaler Ebene droht und deswegen quer durch Europa und den Mittleren Osten – weitgehend an Originalschauplätzen gefilmt, darunter macht es Amazon nicht – gejagt wird, ist mehr als ein Haufen zähnefletschender Araber. Menschen werden nicht als Terroristen geboren, Menschen werden zu Terroristen, wenn nicht gar zu Terroristen gemacht. Der Islam ist keine Kultur des Bösen, es gibt radikalisierte Muslime, die Böses tun. „Jack Ryan“ ist da überlegter und weiter als „Homeland“ und „24“.

Terroristen werden gemacht

Der Weg des Bruderpaares Suleiman (Ali Suliman und Karim Zein) in den Terror wird skizziert, sie reagieren auf den Terror, der ihnen widerfahren ist, damals, 1983, als die US-Luftwaffe im Libanonkrieg Bomben auf Unschuldige warf. Die Brüder überlebten, einer rettete den anderen, sie werden sich immer aufeinander verlassen können. Suleiman wird von den Amerikanern festgenommen, auf einem Stützpunkt im Yemen gefangen genommen/gefoltert. Bruder Samir tritt zur Befreiung an. Jack Ryan und Suleiman begegnen sich, sie kämpfen auf Leben und Tod, sie werden sich wieder begegnen.

Und auch Hani, die Ehefrau von Topterrorist Suleiman ist individuell akzentuiert. Darstellerin Dina Shihabi betonte, ihre Hani sei nicht das „medienübliche Opfer“ einer arabischen Frau: „Sie ist smart, sie hat ihren eigenen Kopf, den sie auch einsetzen wird.“ Sie wird mit ihren beiden Töchtern ihren Mann verlassen; der Sohn wird bei ihm bleiben, die Flucht wird zum Abenteuer, Hani und ihre Kinder werden zu Flüchtlingen. „Jack Ryan“ ist ein geopolitisch interessierter Thriller.

Die Schauspielerin Shinan stammt aus Saudi-Arabien. Sie habe sich drei Mal überlegt, diese Rolle zu spielen: Eine Ehefrau, die sich gegen ihren Mann wendet, eine Mutter, die sich entschließt, ihren Töchtern und sich eine Zukunft jenseits der terroristischen Verwicklungen ihres Mannes zu geben – das braucht Mut.

Die Serie hat weniger Ambition darin, Ideen zu visualisieren als auch vorzuführen, wie Menschen handeln können und warum. Wendell Pierce, der seine Vorstellung des US-Auslandsgeheimdienstes und seine Darstellung des CIA-Oberen James Greer an Begegnungen und Gesprächen mit Geheimdienstlern abgeglichen hat, sagte, seinen Erfahrungen nach folgen die CIA-Mitarbeiter einem klaren Ziel – dem Schutz Amerikas und der westlichen Werte, „da mögen die Politiker in Washington kommen und gehen“. Nicht warten, bis etwas getan wird – selber tun.

Blockbuster soll Prime-Kunden ziehen

Solches liegt hinter und unter „Tom Clancy's Jack Ryan“. Die Produktion bleibt in ihren Bildern und in der Inszenierung eine PS-getriebene Serie, hier werden nicht die Skrupel eines Antihelden ausverhandelt, Figuren werden über ihre Handlungen definiert. Jack Ryan will (moralisch) sauber bleiben, schwierig, wenn einer seine Hände in den Dreck stecken muss.

Amazon Studios ist überzeugt, vom 31. August an einen Blockbuster streamen zu können. So überzeugt, dass in Südamerika bereits die zweite Staffel gedreht wird. Jack Ryan, keine Überraschung, wird weiterhin und dringender denn je gebraucht. Auch für Amazon Prime Video. Das erste Wagnis des Streaming-Anbieters im Spy-Genre war die schrullige Anti-Thriller-Produktion „Patriot“. „Jack Ryan“ bestätigt den Move des Unternehmens zur Unterhaltung, die den finanziellen, wirtschaftlichen Zielen von Amazon dienen soll. Möglichst hohe Zugriffszahlen, die sich in möglichst hohen Abozahlen niederschlagen. Da ist die überzeitliche Figur eines Jack Ryan von willkommenem Nutzen.

„Tom Clancy’s Jack Ryan“, Amazon Prime Video, 1. Staffel, verfügbar ab 31. August

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