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Ein Statement. 70 Frauen, ein Mann und eine Institution haben sich an der Verlustanzeige beteiligt, die im Tagesspiegel vom 4. April 2021 erschienen ist.

© Tsp

„Todesanzeige“ im Tagesspiegel: „Zeitpunkte“, unvergessen

Joachim Huber liest die „Todesanzeige“ für die „Zeitpunkte“ und erinnert den RBB an die Gleichwertigkeit von Radio und Podcast

Diese Aktion ist außerordentlich. Wer kann sich denn an eine Anzeige erinnern, die das Ende einer Radiosendung betrauert? So geschehen in der Osterausgabe dieser Zeitung. In der Anzeige wird mitgeteilt: „Voller Trauer geben wir das Ableben der frauenpolitischen Sendung auf rbbKultur bekannt. Zeitpunkte.“ Die Sendung sei 42 Jahre alt geworden. Und: „Sie war das Beste, was Radio kann: informativ, innovativ, kontrovers und seriös.“

An der Anzeige haben sich 70 Frauen, ein Mann und eine Institution beteiligt. Es finden sich Namen aus allen Denk- und Himmelsrichtungen: Seyran Ates, Frauenrechtlerin, Anwältin und Leiterin der liberalen Ibn-Rushd-Goethe-Moschee, die Schriftstellerin Pieke Biermann, die Publizistin und Hochschullehrerin Ines Geipel, Christina von Braun, Kulturwissenschaftlerin und GenderTheoretikerin. Mit ihnen und mit all den anderen Engagierten formiert sich die Liste zu einem Who’s Who feministisch orientierter und interessierter Frauen.

Ihre Trauerarbeit ist den „Zeitpunkten“ gewidmet, die vor 42 Jahren, also 1979 beim SFB starteten und seit der Fusion mit dem ORB vom RBB fortgeführt wurden. Die letzte „Zeitpunkte“-Sendung lief im Sommer 2020, unvergessen und unersetzlich, wie es scheint.

Der RBB betont, dass der gewohnte Sendeplatz am Sonntag um 17 Uhr weiter für feministische Inhalte gesetzt sei, aktuell mit „Clever Girls“ bestückt und dann im Mai mit „Weltbewegend“ fortgeführt, zehn Geschichten über Frauen mit Macht. „Den Sommer wird rbbKultur im Radio für weitere feministische Formatentwicklungen nutzen, es soll dann über einzelne Reihen hinaus wieder ein klares feministisches Format im Programm geben“, sagte Sprecher Justus Demmer.

Und auf diese Klage der Frauen will er eingehen. In dem Memento mori heißt es, die Sendung „Zeitpunkte“ hinterlasse „eine schmerzliche Lücke in der Medienlandschaft von Berlin und Brandenburg, die kein Podcast füllen kann“. Demmer dazu: „Das ZB-Magazin hatte zwar einen Podcast-Ausspielweg, aber schon die ,Clever Girls’ haben auf den unterschiedlichen Plattformen wie Spotify, iTunes oder in der Audiothek eine bessere Reichweite und Sichtbarkeit erzielt.“ Was der RBB will, das ist, mit einer Digital-firstStrategie feministische/LGBT+-Themen zu forcieren und dabei das diversifizierte Interesse über eine Diversität der Ausspielwege besser zu bedienen.

Nicht wenige Rundfunkanstalten sind mit dieser Absicht unterwegs: Der WDR oder ZDFKultur beispielsweise suchen via Plattformen der Literatur größere Aufmerksamkeit zu verschaffen. Was dabei, und dafür spricht die Anzeige in Ton und Inhalt, schnell übersehen wird: Radio ist auch und unverändert linear ausgestrahltes Programm mit festen Sendeplätzen. Für das Gesamtpublikum muss es gelingen, Innovation mit Kontinuität zu verbinden. Bei den „Zeitpunkten“ scheint der RBB nur bis zur Verlustrechnung gekommen zu sein.

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