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Zeitsprung. Vor 50 Jahren erschien der „tip“ noch in Schwarz-Weiß und Regiegenie Alfred Hitchcock zierte das Cover. 50 Jahre später treibt es das Stadtmagazin bunt.

© tip

„tip“ feiert 50. Geburtstag: Das Biotop in der Potse

Das Berliner Stadtmagazin „tip“ feiert 50. Geburtstag. Eine Erinnerung an den Mythos und die Macher.

Rüdiger Schaper war in 1980er und 1990er Jahren Redakteur und freier Autor beim „tip“.

Wenn es ein Internet vor dem Internet gegeben hat, dann lag das „Tip–Magazin“, kurz „Tip“, mittendrin. Ausführliches Kulturprogramm plus „Lonely Hearts“-Kontaktanzeigen plus „minitips“, dazu meinungsstarker Szenejournalismus, das war lange die unschlagbare Rezeptur, Großstadt-Service alle zwei Wochen am Kiosk. In den 1980er Jahren erreichte die Auflage die 100 000-Marke. Es war eine starke Phase des deutschen Autorenfilms, und die Neue Deutsche Welle schwappte.

Die Geschichte beginnt in der Schöneberger Hauptstraße in einer Küche. „Tip“-Gründer Klaus Stemmler hatte sich mit Programmkinos wie Notausgang, Filmkunst 66, Klick zusammengetan. Die erste Ausgabe hatte sechs Seiten, gedruckt auf einer kleinen Offsetmaschine, und wurde kostenlos verteilt.

Eine typische West-Berliner Nummer: Die Stadt zog Wehrdienstverweigerer, Künstlernaturen, alternative Menschen an, die sich im Mauerpark ausleben konnten. Und wie viele Geschäftsleute, die auf diesem Humus clever ihre Ideen anbauten, kam Klaus Stemmler aus Schwaben. Seine Sparsamkeit war so legendär wie seine Passion für Flugzeuge und Porsche-Sportwagen. Die bis zu 60 festangestellten Mitarbeiter des Verlags wurden eher bescheiden bezahlt, dafür genoss man gewisse Freiheiten. Stemmler verkaufte „Deutschlands größtes Stadtmagazin“ in den Neunzigerjahren an den Berliner Verlag. (Die große Geburtstagsparty von „tip“ und „ExBerliner“ steigt am Samstag beim Haus Zenner, Infos unter www.tip-berlin.de.)

2013 wurde das Heft von Raufeld übernommen. Heute wird das seinem Konzept weitgehend treu gebliebene Magazin von der Tip Berlin Media Group herausgegeben. Die Auflage liegt noch um die 13 000 Exemplare.

Klaus Wowereit auf dem Cover
Klaus Wowereit auf dem Cover

© tip

Doch zeigt der „Tip“ erstaunlichen Überlebenswillen. „Zitty“, der alte Erbfeind“, liegt auf dem Friedhof der Alternativpresse. Dass beide Publikationen eine Zeitlang im selben Verlag erschienen, ist von großer Ironie. Wer „Zitty“ (angeblich auf Umweltpapier gedruckt) las, fasste den „Tip“ nicht an, der seltsamerweise als Hochglanz galt. Und umgekehrt. Die Redaktionen pflegten einen „Kalten Krieg“, sie teilten die Stadt untereinander auf.

„Zitty“, das waren die Linksalternativen, „Tip“ erschien etwas arrivierter. Dabei saß die Readaktion in der abgeranzten Potsdamer Straße: zunächst im vierten Stock, über dem „Quartier Latin“ (heute „Wintergarten“), dann gegenüber als Nachbar des Tagesspiegels und des „Abend“, der 1981 verblichenen Boulevardzeitung. Die „Potse“ galt Poeten und Jungjournalisten als Schule des Lebens: Der Sunset Boulevard West-Berlins endete im Niemandsland der Mauer und am traurigen Strich in den Nebenstraßen.

Jörg Fauser, der früh verstorbene Schriftsteller, war hier unterwegs in den Kneipen und Etablissements. Fauser gehörte – wie der legendäre, schrullige Umzugsunternehmer Klaus Zapf, auch er ist nicht mehr unter uns – zur frühen „Tip“-Familie um den Redaktionsleiter Werner Mathes. In Fausers hard-boiled Romanen („Der Schneemann“, „Das Schlangenmaul“) spiegelt sich das „Tip“-Milieu – so cool, wie man gern gewesen wäre.

Die Stadtmagazine haben den Journalismus verändert

Natürlich verführt der Blick zurück zur Romantik. Berüchtigt waren die Produktionswochenenden. Der Umfang des Hefts lag bei 280 Seiten, und die Druckvorlagen mussten sonntags über die Transitautobahn auf den Weg nach Westdeutschland gebracht werden, wie das in jenen Jahren hieß. Layout und Alkohol, Schlussredaktion und Bier waren Synonyme. Das war im Tageszeitungsbetrieb damals nicht anders. Es wurde getrunken, geraucht und früh gestorben. Der Alkoholismus hat in der „Tip“-Belegschaft seine Opfer gefordert.

Es gab viel Innovatives – wie die Film- und Theaterspiegel mit den Punktebewertungen. Subkultur, Hochkultur: Grenzen spielten keine Rolle. Das Wort „Kult“ entstand in seinem kommerziellen Zusammenhang; Kultfilm, Kultband. Das Magazin hatte zuweilen auch diesen Status. „Tip“ war ein Sprungbrett.

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Man konnte, man durfte, man musste drauflos schreiben, sich ausprobieren. Die Stadtmagazine haben den Journalismus verändert. Viele wollten ein deutscher Hunter S. Thompson sein. Große Klappe und manchmal auch etwas dahinter, so trat man auf in der Stadt: Junge Journalisten wie Matthias Matussek, der im „Tip“ ausgezeichnete Feuilletons schrieb, später zum „Stern“ und „Spiegel“ ging und schließlich scharf rechts abgebogen ist.

Wolfgang Brenner schrieb nachher Krimis und Sachbücher, Christoph Terhechte, einst Filmredakteur, wurde Festivalmacher, auch Alfred Holighaus, der langjährige Redaktionsleiter des „Tip“, stürzte sich in die Filmbranche.

Premiere mit Hitchcock.
Premiere mit Hitchcock.

© tip

Als Autor gehörte auch Wolf Donner dazu, Filmkritiker und Leiter der Berlinale von 1977 bis 1979. Qpferdach war von der „taz“ zum „Tip“ gekommen, ein immer gut gelaunter Kollege, der auch so früh gestorben ist – wie der Musiker und Musikredakteur Hagen Liebing, der auf den frühen Songs der „Ärzte“ Bass spielte.

Als läge ein Fluch auf den drei Buchstaben. So viele Autoren und Redaktionsmitarbeiter sind nicht mehr dabei, wenn der „Tip“ jetzt sein 50-Jähriges feiert.

Eine Avantgarde des urbanen Journalismus sind die Stadtmagazine kaum mehr. So wie ihr lockerer, persönlicher Stil prägend war, die Film- und Pop-Themen von den Feuilletons der großen Tageszeitungen übernommen wurden, so stehen diese Zeitungen selbst in tiefen Umbrüchen und nehmen Internetformate auf. Online-Gewohnheiten haben das Blattmachen und Leseverhalten noch einmal viel grundsätzlicher verändert, als die Stadtmagazine das auf ihre Art einst taten.

Der „tip“ hat Filmjahrbücher und etliche Sonderhefte auf den Markt gebracht und die „Fisch sucht Fahrrad“-Partys organisiert. Es war schon eine recht fluide Zeit, damals auf der Potse, in einem Biotop namens „tip“, wo auf wundersame Weise zweimal im Monat dann doch irgendwie ein pralles Heft zusammenkam mit Berichten und Kritiken und Portraits aus dem großen, kleinen Filmpark zwischen Dreilinden und Potsdamer Platz.

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