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Hat viel vor: Tina Hassel, 57, Leiterin ARD-Hauptstadtstudio.

© ARD-Hauptstadtstudio

Tina Hassel im Interview: „Der Fernsehrat lässt sich von der Politik keine Kandidaten reinmauscheln“

Tina Hassel will ZDF-Intendantin werden. Ein Interview über Parteiferne in Rundfunkgremien, die Stimmung im Lande und Chancen auf dem Lerchenberg.

Tina Hassel, seit 2015 Leiterin ARD-Haupstadtstudio hat Großes vor: Sie will ZDF-Intendantin werden. Der 60-köpfige Fernsehrat des Mainzer Senders wählt am 2. Juli den Nachfolger, die Nachfolgerin von Thomas Bellut, der im März 2022 aus dem Amt scheidet. Hassels Konkurrent ist ein Hausinterner: ZDF-Programmdirektor Norbert Himmler. Hassel, 57, volontierte nach dem Studium der Germanistik und Politikwissenschaft beim WDR, war ARD-Korrespondentin in Paris und Leiterin des ARD-Studios in Washington.

Frau Hassel, ist Mainz so viel schöner als Berlin?
Schöner als Berlin geht eigentlich kaum, finde zumindest ich. Aber das ZDF dort ist der einzige große nationale öffentlich-rechtliche Sender. Mir geht es bei meiner Bewerbung nicht um die Stadt, sondern um die Herausforderung. Ich finde es sehr reizvoll, wenn es da bei der Intendantenwahl einen Wettbewerb gibt.

Danach sah es lange Zeit nicht aus. Das mit Ihrer Bewerbung zur ZDF-Intendantin kam Ende Mai überraschend.  Sie sollen aus dem 60-köpfigen Fernsehrat angesprochen worden sein.
Das ist richtig. Ich wurde aus dem Fernsehrat angesprochen und eben nicht aus der Mainzer Staatskanzlei. Es sollte normal sein, dass es bei einer solchen Top-Positionen nicht nur einen In-House-Kandidaten gibt.

Der langjährige Programmdirektor Norbert Himmler. Mussten Sie lange überlegen, dagegen anzutreten?
Preußische Beschwerdeordnung, einmal eine Nacht drüber schlafen, einmal mit dem Familienrat besprechen. Dann war es schnell klar, dass ich das sehr reizvoll finde und aus Überzeugung antrete zu einem Wettbewerb der besten Ideen für ein modernes, starkes ZDF.

Es heißt aus dem Fernsehrat, es habe den Wunsch nach einer weiblichen Alternative zu Himmler gegeben. Klingt das, mit Verlaub, nicht schon auch nach „Quotenfrau“?
Da kann ich Ihnen ganz selbstbewusst sagen: Ich war die erste Frau in diversen ARD-Systemen, die erste WDR- Auslandschefin,  die erste Leiterin des ARD -Hauptstadtstudio. Ich weiß, was ich kann und wie gut ich bin. Die von Ihnen angesprochene Karte spiele ich nicht. Aber ob es noch zeitgemäß ist, dass im ZDF alle leitenden Positionen von Männern besetzt sind, kann man sich schon fragen.

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Himmler ist Favorit. Sie haben den Hut in den Ring geworfen. Da gehört Mut zu.
Anscheinend ja. Seitdem ich mich beworben habe, sagen mir das jedenfalls unheimlich viele Menschen, auch aus dem ZDF, wie mutig das war. Für mich gehört vor allem ein klarer journalistischer Kompass und Leidenschaft dazu.

Leidenschaft wofür?
Meine Leidenschaft für den Öffentlich Rechtlichen Rundfunk und seine Aufgabe, die in Zukunft nicht leichter wird. Worum geht es denn? Die Öffentlich-Rechtlichen stehen unter Druck. Es gibt eine Art Wechselstimmung weg von uns, auch aus der Mitte der Gesellschaft, von den Leuten, die uns eigentlich wohlgesonnen sind. Das beunruhigt mich. Dagegen möchte ich mich mit allem, was ich zu bieten habe, angehen. Denn unsere Aufgabe ist es, die Gesellschaft kontinuierlich und allumfassend mit seriösem Journalismus zu informieren. Bei diesen entscheidenden Weichenstellungen bin ich lieber am Steuerrad als auf dem Sozius.

Tina Hassels Mitbewerber: Norbert Himmler, Programmdirektor ZDF.
Tina Hassels Mitbewerber: Norbert Himmler, Programmdirektor ZDF.

© dpa/Jan Woitas

"Die Räte sind nach der Causa Brender noch diverser und parteiferner aufgestellt."

Sie sprachen von diesem Gerede über etwaige Einflussnahme der Staatskanzlei. Es ist bei solchen Wahlen immer die Rede von den roten und den schwarzen Freundeskreisen im ZDF-Fernsehrat. Sie werden zu den roten gezählt. Was halten Sie von diesen Links-Rechts-Debatten?
Sie bringen einen nicht weiter. Es gibt beim ZDF nun mal nur zwei Freundeskreise. Der eine ist angeblich schwarz, der andere angeblich rot. Ich würde Herrn Himmler nie unterstellen, dass er schwarz gepusht ist und erbitte für mich zu akzeptieren, dass ich nicht rot gepusht bin. Gewählt wird von selbstbewussten Fernsehräten. Und zwar das beste Konzept, mit einem hohen Quorum.

Eine Drei-Fünftel-Mehrheit.
Genau. Ich kenne kaum ein System, dass eine so hohe Mehrheit verlangt. Die 60 Räte sind doch spätestens nach der Causa Brender noch diverser und parteiferner aufgestellt.

Sie wissen, dass das mit der Parteiferne in Rundfunkgremien von draußen oft anders gesehen wird.
Aber es ist so. Die lassen sich im Fernsehrat doch nicht von schwarzen oder roten Staatskanzleien Kandidaten reinmauscheln. Ich führe da vorher auch keine Gespräche mit den Beteiligten, um bereits etwas anzubieten. Und noch mal, ich hätte es wirklich seltsam gefunden, wenn es überhaupt keinen Gegenkandidaten, keine Gegenkandidatin gegeben hätte.

Nikolaus Brender, Chefredakteur des ZDF (Archivfoto).
Nikolaus Brender, Chefredakteur des ZDF (Archivfoto).

© DPA/Andreas Gebert

Stört es Sie, dass Ihre Kandidatur von vornherein als aussichtslos dargestellt wird?
Ich bin gut darin, Dinge von angeblich aussichtslosen Posten zu drehen. Mir macht es Spaß, Dinge aufzuwirbeln. Wenn es scheinbar so klar gesetzt wäre, dann wäre da auch viel  Druck auf dem Gegenkandidaten. Schauen wir mal.

 Eine Sache, die Ihnen immer wieder nachgetragen wird: 2018  hatten Sie sich parteiisch pro Grüne geäußert. Begleitend zu ihrer Berichterstattung hatten Sie über die „frische grüne Doppelspitze“ getwittert und die damit verbundene  „Aufbruchsstimmung“ gelobt.
Dass ein Tweet aus 2018 immer noch hoch gebracht wird, zeigt doch, dass danach anscheinend nicht viel zu finden ist. Auf so einem Parteitag ist eine besondere Atmosphäre, da lässt man sich mal hinreißen. Ich breche mir aber überhaupt keinen Zacken aus der Krone, wenn ich sage, ich würde diesen Tweet ganz bestimmt nicht noch mal so absetzen. Ich habe danach eine ganz klare Twitter-Etikette fürs ganze Hauptstadtstudio eingeführt.

Wissen Sie, wieviel Follower Sie haben?
Irgendwas über 50 000.

Darunter Kevin Kühnert.
Und viele viele andere. Herr Maaßen folgt mir auch. Sie suchen sich ihre Follower ja nicht aus

Kommen wir zu Ihren Konzepten fürs ZDF. Es soll einen Zehn-Punkt-Plan geben, den Sie dem Fernsehrat vorgestellt haben. Was wird mit Intendantin Tina Hassel im ZDF besser?
Es braucht beim klassischen Fernsehen unbedingt formatsprengende Aufschläge im linearen Programm, so was wie mit Joko & Klaas bei ProSieben, mit der Pflegestory zur besten Sendezeit, stundenlang.. Das ist mir ganz wichtig. Das müssen wir auch hinkriegen. Ob bei ARD oder ZDF, wir brauchen eine andere Idee von Audience Flow. Und bei Online First müssen ARD und ZDF auch noch viel mehr machen

„Wir müssen uns der Kritik und dem Austausch mit den Zuschauern stellen.“

Was geht gegen Netflix & Co.?
In Sachen Streaming tut sich ja was mit der gemeinsamen Mediathek von ARD und ZDF, die die zuständigen Intendanten Anfang der Woche ja vorgestellt haben. Das ist ein ganz wichtiger Schritt. Aber der sollte noch konsequenter umgesetzt werden, unser non-lineares Schaufenster muss viel interaktiver und kommunikativer werden. Wir müssen uns der Kritik und dem Austausch mit den Zuschauern stellen. Mediathek muss social gehen und interaktiv werden, wir brauchen einen Rückkanal dafür, wie unsere Arbeit ankommt.

Der ZDF-Zuschauer ist immer noch über 60.
Das stimmt. Und dieses Stammpublikum muss man unbedingt halten. Aber eben junge Menschen parallel an Bord holen. Mein Ansatz wäre zu fragen: Habt Ihr schon die neue „heute-show“, den neuen Böhmermann? Damit es da nicht zu einer Abrisskante kommt, wie einst bei „Wetten, dass...?“. 

Was schauen Sie denn gerne beim ZDF?
Neben den hervorragenden Informationssendungen, schätze ich die „heute-show“, Böhmermann, aber auch Wissenschaftssendungen, wie „Terra X“ oder Dokus, wie „37 Grad“.

Sie haben naturgemäß keine ZDF-Erfolge vorzuweisen, wie Norbert Himmler, bringen aber eine andere Idee mit: Bis 2025 soll das ZDF weitgehend klimaneutral sein. Gute Idee, praktisch umsetzbar?
Absolut. Beim Lerchenberg stehen immer wieder größere Bauvorhaben an, da muss alles auf den Prüfstand in Sachen Klimaverträglichkeit und Nachhaltigkeit. Auch mit  E-Autos bei den Dienstwagen, klimaneutralen Dienstreisen und dem Thema green productions lässt sich viel machen.

 Ihr gegenwärtiger Job, Leiterin ARD-Hauptstadtstudio, wird ja in den kommenden Wochen noch wichtiger, Stichwort Bundestagswahl, Kandidatenduelle im TV. Wie sportlich nehmen Sie die neue Konkurrenz von RTL und Pro7, siehe Wahl-„Triells“? Müssten sich ARD/ZDF nicht was Neues, Frischeres einfallen lassen als das ewige „Was nun…?
Es geht doch darum, die Fragen zu stellen, die nicht nur die Berliner Hauptstadtblase interessieren. Viele Menschen im Land meinen, da werde über Dinge geredet, die sie überhaupt nicht mehr interessieren, die mit ihrer  Lebenswirklichkeit nichts mehr zu tun haben. Da müssen wir multiperspektivisch mehr andocken.

Richtig flott klingt das noch nicht.
Wir sind dran in der ARD und im Hauptstadtstudio. Wir denken an junge Formate à la „Wir wollen hier rein“ mit jungen Kandidaten und deren Biografien. Um nur eines zu nennen.

Es gibt im Land die Idee, den Youtuber Rezo auf Armin Laschet loszulassen.
Die Parteien müssen wissen, wo Sie sich hinbegeben. Wir haben genug spannende Formate zur Bundestagswahl. Viel flotter als Rezo ist für meinen Geschmack Mai Thi Nguyen-Kim, die Wissenschaftsjournalistin und Youtuberin, die vom WDR zum ZDF gegangen ist. Die ist flott und hintergründig. Das öffentlich-rechtliche Fernsehen braucht mehr Mai Thi's.

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Die könnten Sie ja nach Mainz holen und entwickeln, wenn es denn was wird, mit der Intendantenwahl nächste Woche. Und was, wenn es nicht klappt?
Dann bin ich als Polit-Journalistin am schönsten, spannendsten Platz in der Republik, im Megawahljahr mit anschließender Regierungsbildung. No bad feelings.

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