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Vielleicht ist es erklärungsbedürftig, das hier gerne zu schauen. Seit zehn Jahren kämpft Michonne (Danai Gurira) gegen Untote.

© Sky

"The Walking Dead", Staffel zehn: Gewissensbisse eines Zombie-Fans

Warum Zombieserien einfach nicht totzukriegen sind: „The Walking Dead“ geht in die zehnte Staffel. Ein Erklärungsversuch.

Zugegeben, ich bin Zombie-Fan. Genauer gesagt, ich schaue seit fast zehn Jahren die Serie „The Walking Dead“ (TWD). Dabei bin ich eigentlich ein recht friedlicher Zeitgenosse, habe mit Blutrünstigkeiten in Serie und Film nicht allzu viel am Hut. Es darf schon mal ein Bergman-Film sein, „scobel“ oder die LGBT-Serie von Jane Campion. Wenn auf Fox bei Sky allerdings am Montag die nächste Staffel ansteht und dann auch noch die zehnte, setzt es bei mir gewissermaßen aus. Dann sind wiederum 16 mal 45 Minuten Lebenszeit verloren – und es stellt sich die Frage, was die Faszination dieses Grusel-Formats ausmacht, das sogar „Game of Thrones“ überdauert hat. Und das, obwohl die Comicvorlage von Robert Kirkman längst eingestellt ist.

Wer „TWD“ noch nie gesehen hat: Es geht im Wesentlichen um eine Gruppe von Menschen um den Anführer und Ex-Polizisten Rick Grimes (Andrew Lincoln), die in einer post-apokalyptischen Welt auf der permanenten Suche nach einer dauerhaften und vor allem sicheren Unterkunft sind. Dabei stellen die fast überall präsenten Untoten, auch als Beißer oder Streuner (nie als „Zombies“) bezeichnet, eine ständige Bedrohung dar, die jederzeit ohne Vorwarnung zuschlagen kann.

Infolge diverser Todesfälle, Ab- und Neuzugänge verändern die Größe und Konstellation der Gruppe permanent. Um treue Zuschauer beim Ableben einer geliebten Figur bei Laune zu halten, werden neben Beißern ständig neue Feinde geschaffen, in der neunten Staffel beispielsweise „Die Flüsterer“. Die Gefahr durch die als Beißer getarnten Nomaden, man ahnt es, ist auch in der zehnten nicht gebannt.

Nicht allein mit Eskapismus zu erklären

Zugegeben, die Lust am Zuschauen ist erklärungsbedürftig. Niedere Beweggründe? Nein, so was lässt sich auf vielerlei Arten sehen. Dem Phänomen Zombieserie ist mit Eskapismus-Theorien allein nicht beizukommen. Wenn es darum geht, den nächsten Tag zu erleben, ohne dass ein Untoter um die Ecke wackelt und mir in die Schulter beißt – kann es dann noch eine Welt dahinter geben, unabhängig von der eigenen Existenz? Ist Weltflucht die einzige Lösung, oder lohnt es sich, über den Tellerrand zu schauen, Verantwortung zu übernehmen, wie es Rick Grimes und seine Leute tun? Wie lebt es sich in einer Welt, die von Zombies überlaufen ist, wie sollen wir uns gegenseitig verhalten, wie wollen wir die Arbeit aufteilen? In einer Art Naturzustand des Menschen, ohne Regierung, Polizisten und fest vorgegebene Moral, bester Thomas Hobbes – sind wir dann wirklich alle gleich? Oder dürfen wir uns einfach so nehmen, was wir wollen?

Das sind ja keine ganz dummen Fragen angesichts von Klimawandel, Trump & Co. „Angst ist gefährlich. Angst kann uns wieder auseinanderbringen“, heißt es in „The Walking Dead“/Staffel zehn. Autor und Regisseur Frank Darabont hat da tatsächlich eine eigene Welt geschaffen, eine Verbindung von, bei aller Zeit- und Raumlosigkeit, durchaus aktuellen Bezügen und großen amerikanischen Erzähltraditionen: Western, das Drama getrennter Familien und post-apokalyptische Geschichte. Mit ausgedehnten Handlungssträngen und weiten Erzählbögen.

Seit 2010 geht das mit „TWD“ nun schon so. Und nicht nur da. Zombieserien sind einfach nicht totzukriegen, tauchen auf in vielen Variationen: „Fear the Walking Dead“ bei Amazon Prime, „Black Summer“, „Kingdom“ und, am 24. Oktober startend, „Daybreak“ bei Netflix, eine schwarzhumorige Graphic-Novel-Adaption. Die Fortsetzung des George-A.-Romero-Klassikers „Die Nacht der lebenden Toten“ von 1968 ist im Gespräch. All diese Geschichten sind, im Unterschied zu anderen Horrorformaten (Aliens, Monster) dadurch aufgeladen, dass wir es bei den Beißern im Kern mit Unseresgleichen zu tun haben. Mit Freunden und Verwandten. „Gestorben“ aufgrund einer rätselhaften Infektion, auferstanden, grunzend, nur durch Kopfschuss oder Stich aus dem Weg zu räumen, komplett weg von dem, was Menschsein ausmacht. Nicht diskursfähig – ein Gefühl, was einen in diesen Zeiten öfters mal beschleichen kann.

Fox spricht bereits von Staffel zwölf

Es geht also um mehr als bloße Blutrunst. „The Walking Dead“ ist eine der erfolgreichsten Serien im deutschen Pay-TV, eine der wenigen, die es, anders als das ähnlich eskapistische „Game of Thrones“, auf eine zweistellige Staffelzahl gebracht hat. Aufgrund schwankender Zuschauerzahlen wurde „TWD“ schon mehrfach des Ende prophezeit. Nach einem furiosen Start in Staffel acht im linearen Fernsehen mit fast einer Million Zuschauen haben sich die Quoten in der Folgestaffel laut Fox stabilisiert, so- dass bei den Showrunnern schon von Staffel zwölf gesprochen wird, zudem die Verträge mit den Protagonisten noch zwei Jahre laufen. Da mag Grimes’ Hauptwidersacher, „Negan“-Darsteller Jeffrey Dean Morgan, noch so sehr klagen: „Ich will nicht, dass es bis zur vollständigen Erschöpfung weitergeht. Ich persönlich würde aufhören, wenn es am besten ist. Lasst uns gehen, solange wir noch die Nummer-eins-Serie in der Welt sind.“

Vielleicht hat Morgan recht. Vielleicht reicht es wirklich bald. Die besten Serien haben nach sechs, sieben Staffeln Schluss gemacht. „Es wird schlimmer, bevor es besser wird“, verspricht der „TWD“-Trailer. Ich werde in den nächsten Wochen im Wohnzimmer wieder sehnsüchtig in Postapokalypse schwelgen, den Ton am Fernseher dabei aber leiser drehen. Damit sich die Nachbarn keine Sorgen machen.

„The Walking Dead“, Staffel zehn, jeden Montag läuft eine neue von insgesamt 16 Folgen auf Fox bei Sky.

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