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Visite von „Dr. Zuckerberg“: Ohne Daten und Künstliche Intelligenz läuft kaum noch etwas im Gesundheitswesen.

© Artline Films

Tech-Riesen in Goldgräberstimmung: Fit durch Algorithmen?

Warum die Internet-Giganten das Gesundheitssystem als das nächste große Ding betrachten. Ein Arte-Dokumentation.

Mark Zuckerbergs Rechnung klingt einleuchtend: „Unsere Gesellschaft gibt heute fünfzig Mal mehr aus, um Kranke zu behandeln als für die Gesundheitsprävention. Das ergibt keinen Sinn. Wir können das ändern!“ Gemeinsam mit seiner Frau, der Kinderärztin Priscilla Chan, hat der Facebook-Chef eine Stiftung ins Leben gerufen. Deren ehrgeiziges Ziel ist es, „bis zum Ende des Jahrhunderts alle Krankheiten zu heilen“.

Hinter dieser vollmundigen Ankündigung steckt ein lukratives Kalkül, das auch Microsoft, Google, Apple und Amazon antreibt. David Carr-Brown, bekannt durch seine Dokumentation „Der unaufhaltsame Aufstieg von Amazon“, wirft einen Blick auf jenen Bereich, den die IT-Giganten als neue Goldgrube auserkoren haben: den Gesundheitssektor.

Das gilt besonders für die Prävention. Bislang war dies eine Domäne großer Pharmakonzerne. Zu ernsthaften Konkurrenten wurden die Internetriesen durch ihren Datenschatz. Ein schlagendes Beispiel veranschaulicht die Relevanz der Thematik: Wenn es irgendwo zwickt, wird zunächst einmal gegoogelt. Muss ich zum Arzt? Oder ist es nur eine Lappalie?

[„Praxis Dr. Zuckerberg – Gesund mit Algorithmen?“, Dienstag, 21 Uhr 45, Arte]

Die Daten dieser Selbstdiagnosen landen in der Cloud. Aus dieser Informationsflut filtern Künstliche Intelligenzen langsam aber sicher den gläsernen Patienten heraus. Aus diesem Grund hat auch Amazon durch den Kauf der Online-Apotheke PillPack schon vor Jahren die Weichen auf E-Health gestellt. Der Sprachassistent „Alexa, check meine Symptome“ wird mittelfristig zum virtuellen Doktor, der niedergelassenen Ärzten Konkurrenz macht.

Besonders die Genealogie-Tests, ein immer beliebter werdendes Geschenk, haben die Welt der Gesundheitsdaten verändert. Neben der Abstammung fallen bei diesem DNA-Kit für Ahnenforschung eine Fülle weiterer Daten an, etwa über Erbkrankheiten. Die Firma 23andme, mit über zehn Millionen Kunden Marktführer auf diesem Sektor, kann in den USA über diese Informationen frei verfügen. Informationen über Diabetes können so in die Hände des Arbeitgebers geraten.

Digitale Wild-West-Manier

Dieser digitalen Wild-West-Manier wird in Europa Einhalt geboten. Die Dokumentation führt vor Augen, dass die Datenschutz-Grundverordnung, welche die Weitergabe sensibler medizinischer Informationen unterbindet, auch eine Zwickmühle sein kann. Denn „als im Frühjahr 2020 die Pandemie ausbrach, stellten die meisten unserer Regierungen fest, dass ihnen zur Eindämmung die technologischen Mittel fehlten“.

Viele europäische Staaten haben aus diesem Grund die Verwaltung ihrer Gesundheitsdaten an US-High-Tech-Firmen weitergereicht. Das Vordringen in das staatliche Britische Gesundheitssystem NHS, dessen Datenschatz laut Experten etwa zehn Milliarden Pfund wert sein soll, ist für die Privatwirtschaft besonders reizvoll. Doch über den Deal mit dem Sofwarekonzern Palantir, der Geschäfte mit Militärs und Geheimdiensten macht, gibt es keine Transparenz.

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Wie man den Giganten aus dem Silicon Valley die Stirn bieten könnte, zeigt der Blick in das Schwarzwälder Kinzigtal. In diesem verschlafenen Idyll haben IT-Spezialisten und Ärzte etwas geschaffen, was es so in Deutschland kaum gibt: die lokal begrenzte, effektive Vernetzung aller gesundheitsrelevanten Patienten-Informationen bei voller Datensouveränität.

Dieses System ist unabhängig von Google & Co. Es ist kostengünstig, effizient, jeder behandelnde Arzt aus der Region kann sich anschließen. Betreut werden in diesem Modell maximal 100 000 Versicherte. Die Anzahl kooperierender Partner bleibt daher überschaubar. Wird diese lokale Optimierung des Gesundheitswesens dem Ansturm der Tech-Riesen noch lange standhalten? Die komplex und vielschichtig argumentierende Dokumentation gibt hierzu eine düstere Prognose.

Manfred Riepe

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